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Oscar ergriff das Wort. »Sie sind kein Krimineller, Alcott. Schauen Sie sich nur mal die Umfragen an. Die Leute stehen hinter Ihnen. Sie haben sie gewonnen. Die vertrauen Ihnen, die mögen Sie.«

Bambakias ließ sich heftig auf den Stuhl niederfallen, der sogleich wachsam zu summen begann. »Dann sagen Sie mir eines«, knurrte er. »Was ist mit Moira?«

»Weshalb interessieren Sie sich für das Thema?« fragte Oscar.

»Moira ist im Gefängnis, Oscar. Sagen Sie mir, was das bedeutet. Wollen Sie uns nicht alles darüber erzählen?«

Oscar kaute mit höflicher Entschlossenheit auf einem Brötchen. Es herrschte Totenstille im Raum. Vor dem Hintergrund der Glasblöcke hatte sich ein Mosaik gebildet, das sich im Tageslicht allmählich veränderte. Ein Labyrinth verschwommener Rauten, die wie haftende Dominosteone umherkrochen und über das Glas flatterten.

Oscar deutete auf ein Netzgerät. »Könnten wir uns bitte mal die Nachrichten ansehen? Schalten Sie den Ton ein.«

Einer von Bambakias Angestellten meldete sich zu Wort. »Die kommen aus Frankreich.«

»Dr. Penninger spricht französisch. Bitte helfen Sie mir, Doktor.«

Greta wandte sich dem Bildschirm zu. »Es geht um Desertion«, sagte sie. »Um einen französischen Flugzeugträger.«

Bambakias stöhnte auf.

»Das französische Außenministerium hat eine Erklärung abgegeben«, meinte Greta zögernd. »Es geht um amerikanische Offiziere… Elektronisch gesteuerte Kampfjets… Zwei amerikanische Air Force-Piloten sind mit ihren Maschinen im Golf von Mexiko auf einem französischen Flugzeugträger gelandet. Sie bitten um politisches Asyl.«

»Ich hab’s gewusst!« verkündete Oscar und warf die Serviette auf den Tisch. »Ich hab gewusst, dass Huey Leute eingeschleust hat. Darauf habe ich bloß gewartet. Das ist eine neue Wendung.«

»Oh, das ist schlimm«, ächzte Bambakias. Er war aschfahl im Gesicht. »Das ist eine bodenlose Erniedrigung. Eine Riesenschande. Das ist das Ende.« Er schluckte geräuschvoll. »Mir wird schlecht.«

»Helfen Sie dem Senator«, kommandierte Oscar und sprang auf. »Und holen Sie Sosik, aber schnell.«

Bambakias verschwand in einer Traube aufgeregter Angestellter. Der Raum leerte sich so rasch wie ein U-Bahnabteil in Tokyo. Greta und Oscar waren auf einmal allein.

Oscar blickte auf den Bildschirm. Einer der amerikanischen Deserteure war soeben vor die Kamera getreten. Der Mann wirkte sehr vertraut und äußerst zynisch und war schwer betrunken. Oscar erkannte ihn wieder; es war der PR-Offizier vom Luftwaffenstützpunkt in Louisiana. Er gab eine vorbereitete Erklärung ab, die mit französischen Untertiteln versehen war. »Welch ein genialer Schachzug! Huey hat den französischen Spionen ein trojanisches Pferd untergeschoben. Die Franzosen werden diese Luftrowdies in einen Pariser Banktresor einsperren. Wir werden nie wieder von ihnen hören. Sie haben ihr Land verraten, und von nun an werden diese Hurensöhne wie Könige leben.«

»Die Unterbrechung kam ja wie gerufen«, meinte Greta. Sie aß noch immer und handhabte die Essstäbchen mit chirurgischer Geschicklichkeit. »Der Senator hätte dich sonst an die Wand genagelt. Erstaunlich, dass du den Nerv hattest, ihn abzulenken.«

»Eigentlich habe ich den Bildschirm die ganze Zeit über im Auge behalten, bloß für den Fall, dass ich das Thema wechseln muss.«

Greta probierte das Dim Sum und lächelte skeptisch. »Nein, hast du nicht. Das schafft niemand.«

»Doch, ich schon. Sowas mache ich ständig.«

»Also, mich lenkst du nicht ah. Was hat es mit dieser Moira auf sich? Sie ist bestimmt sehr hübsch. Das hab ich rausgehört.«

»Moira ist nicht unser Problem, Greta.«

»Ha! Für meine Probleme interessiert sich hier niemand.« Sie runzelte die Stirn, dann nahm sie noch ein wenig Soyasauce. »Schmeckt wirklich gut. Erstaunlich gut.«

»Schade, dass er’s nicht bei sich behalten hat.« Greta seufzte. »Aber das war jedenfalls sehr erhellend. Ich hatte keine rechte Vorstellung vom Senator. Irgendwie hatte ich geglaubt, er wäre so ähnlich wie du.«

»Wie zum Beispiel?«

»Also… ich dachte, er wäre ein macchiavellistischer, protziger, ultrareicher politischer Crack. Aber Alcott ist ganz anders. Alcott ist ein wahrer Idealist. Er ist ein Patriot! Tragisch nur, dass er eine klinische Depression hat.«

»Glaubst du wirklich?«

»Aber gewiss doch! Das ist doch offensichtlich! Der Hungerstress war zu viel für ihn. Und dieses Zittern in den Händen – das rührt von einer Überdosis Appetitzügler her.«

»Eigentlich hätte er die Pillen längst absetzen sollen.«

»Dann hat er sie gehortet und schluckt sie heimlich. Das ist typisch für das Syndrom. Die wiederholte Anspielung auf seine so genannte Kriminalität… die weit hergeholten Schuldgefühle… Er hat eine schwere Depression. Und als du ihn dazu gekriegt hast zu essen, da ist er durchgedreht. Seine Affekte sind völlig durchgeknallt! Du solltest ihn mal auf kognitive Defizite hin untersuchen lassen.«

»Also… er war einfach vom Hunger geschwächt. Normalerweise hätte er eine solche Kinderei wie die mit der Fischsuppe auf der Stelle durchschaut.«

Greta legte die Essstäbchen weg und senkte die Stimme. »Beantworte mir eine Frage. Sag die Wahrheit. Ist dir schon mal aufgefallen, dass er in der Öffentlichkeit ausgesprochen freimütig und energisch auftritt, sich ansonsten aber zurückzieht und sich einigelt? Sagen wir, zwei, drei Tage lang?«

Oscar nickte widerwillig. »Doch, ja.«

»Eine Zeit lang ist er sehr gewinnend und charmant, arbeitet vierundzwanzig Stunden am Tag, sprüht eine Menge Funken. Dann ist er einfach nicht mehr da. Er meint, er müsse nachdenken oder brauche ein wenig Ruhe – im Grunde aber gräbt er sich ein Loch und verkriecht sich darin. Bei kreativen Persönlichkeiten ist das nicht ungewöhnlich. Dein Senator ist manisch depressiv. Ich könnte mir vorstellen, dass das schon immer so war.«

»Er ist ›hinten im Bus‹.« Oscar seufzte. »So haben wir das immer genannt, wenn er die Nummer während des Wahlkampfs abgezogen hat.«

»Hinten im Bus mit Moira.«

»Ja. Genau. Moira hat es verstanden, immer dann zur Stelle zu sein, wenn seine Abwehr geschwächt war.«

Greta kniff die Augen zusammen. »Du hast Moira irgendetwas Schreckliches angetan, hab ich recht?«

»Hör mal, der Mann ist US-Senator. Ich habe ihn ins Amt gebracht, ich muss seine Interessen vertreten. Er hatte im Wahlkampf eine Affäre. Na und? Wer bin ich denn, darüber zu urteilen?« Er zögerte. »Und wer bist du, was das betrifft?«

»Also, ich bin hergekommen, um mir ein Urteil über den Senator zu bilden«, sagte sie. »Ich hatte gehofft, er könnte mir helfen. Zum einen wäre uns ein redlicher, anständiger Senator im Labor von Nutzen. Alcott ist in der Lage, echtes Verständnis für uns aufzubringen. Aber jetzt ist er erledigt, denn er hat sich mit Huey angelegt – mit einem Mann, der Leute wie ihn zum Frühstück verspeist. Leute wie er werden immer von der Politik gefressen.« Sie schaute frustriert und grimmig drein. »Schau dir nur mal an, was er aus diesem hoffnungslos veralteten Gebäude gemacht hat, das ist einfach wundervoll. Er muss eine Art Genie sein, und jetzt hat man ihn zerschmettert. Das macht mich wirklich fertig. Welch ein Verlust. Er hat den Verstand verloren. Das ist eine nationale Tragödie.«

»Also, ich muss zugeben, das ist ein Rückschlag.«

»Nein, es ist vorbei. Er wird sich nicht bloß deshalb, weil du ihn zwangsernährt hast, wieder erholen. Weil er nämlich schwachsinnig ist. Er kann dir nicht mehr helfen – und das bedeutet, dass auch du mir nicht helfen kannst. Alles ist aus, und ich sollte die Sache aufgeben.«