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»Ja, du hast uns dazu gekriegt, wie die Maultiere zu schuften – das brauchst du mir nicht extra zu sagen. Die Frage ist bloß, reicht das auch?«

»Nun ja, reichen tut nie was… Politik ist keine Präzisionsmaschine, sondern die Kunst der Darstellung. Dabei geht es um Bühnenmagie. Das Jahr hat gerade erst begonnen, und der Vorhang hebt sich. Wir haben unsere Gerätschaften im Publikum vorbereitet, wir haben Tücher und bunte Bänder in den Ärmel gesteckt, wir haben das Spielfeld mit Hüten und Kaninchen präpariert…«

»Es gibt viel zu viele Hüte und Kaninchen.«

»Nein, keineswegs! Es kann gar nicht zu viele geben! Wir verwenden einfach so viele, wie wir brauchen, und zwar dann, wenn wir sie brauchen. Das ist die Schönheit des Multitasking. Das ist der fraktale Aspekt, die Selbstähnlichkeit verschiedener politischer Schichten…«

Pelicanos schnaubte. »Hör auf, wie Bambakias zu reden. Dieser hochgestochene Netzjargon bringt uns auch nicht weiter.«

»Aber es funktioniert! Sollte uns die Unionsregierung im Stich lassen, dann haben wir immer noch die Informanten im texanischen Rechnungshof. Der Stadtrat von Buna hält große Stücke auf uns! Ich weiß, politisch sind sie nicht viel wert, aber hey, wir haben ihnen in den vergangenen sechs Wochen mehr Aufmerksamkeit zuteil werden lassen als das Laboratorium in fünfzehn Jahren.«

»Dann hältst du dir also alle Optionen offen.«

»Genau.«

»Früher hast du immer gesagt, das missfiele dir.«

»Was? Das habe ich nie gesagt. Du bist einfach schlecht drauf. Ich bin ausgesprochen optimistisch, Yosh – wir hatten ein paar kleinere Rückschläge zu verzeichnen, aber es war eine kluge Entscheidung, diesen Auftrag anzunehmen. Das ist eine bereichernde Erfahrung.«

Sie blieben stehen und ließen ein Yak passieren. »Weißt du, was mir an dieser Kampagne wirklich gefällt?« fragte Oscar. »Sie ist so überschaubar. Zweitausend politische Analphabeten, eingeschlossen in eine Kuppel. Wir verfügen über komplette Wählerprofile und haben Dossiers über jeden einzelnen Mitarbeiter, sodass wir ihn einer Interessengruppe zuordnen können! Das Labor ist so abgeschlossen und weit ab vom Schuss – politisch betrachtet, ist das Ganze einfach perfekt und magisch.«

»Es freut mich, dass du deinen Spaß hast.«

»Ich bin entschlossen, meinen Spaß zu haben, Yosh. Wir könnten hier zerschmettert werden oder in den Ruhmeshimmel aufsteigen, aber eine solche Chance bietet sich uns so schnell nicht wieder.«

Ein mit mutierten Saatpflanzen beladener Lieferwagen rumpelte an ihnen vorbei. »Soll ich dir was sagen?« meinte Pelicanos. »Ich war so damit beschäftigt, hinter all ihre schmutzigen Tricks zu kommen, dass mir gar nicht klar ist, was die hier eigentlich machen.«

»Ich glaube, du weißt wesentlich besser Bescheid als die Leute hier.«

»Ich rede nicht von den Finanzen, sondern von der Forschung. Über kommerzielle Biotech weiß ich einigermaßen Bescheid – in Boston waren wir schließlich gemeinsam in der Branche tätig. Aber der eigentliche Knackpunkt, was diese Hirnexperten und Kognitionsforscher angeht… Ich glaube, irgendetwas Wichtiges entgeht mir da.«

»Ach ja? Ich persönlich habe mich bemüht, mich über ›Amyloidfibrillen‹ zu informieren. Greta schwärmt dafür.«

»Es ist nicht bloß so, dass das ein schwieriges Gebiet ist. Aber ich habe auch das Gefühl, die verbergen was.«

»Klar. Das ist Wissenschaft im Stadium der Dekadenz. Man kann seine Entdeckungen nicht mehr patentieren oder mittels Copyright schützen lassen, deshalb machen sie ein solches Geheimnis draus.« Oscar lachte. »Als ob das heutzutage noch funktionieren könnte.«

»Vielleicht forschen die an etwas, das Sandra helfen könnte.«

Oscar war gerührt. Auf einmal verstand er die düstere Stimmung seines Freundes; sein Seelenleben hatte sich ihm geöffnet wie eine Origamiblume. »Wo Leben ist, da ist auch Hoffnung, Yosh.«

»Wenn ich bloß mehr Zeit hätte, mich um sie zu kümmern, wenn da nicht so viele Ablenkungen wären… Nichts als Hüte und Kaninchen. Nichts ist vorhersagbar, nichts ergibt mehr einen Sinn, überall Fußangeln und Schlaglöcher. Die Gesellschaft hat kein Fundament mehr. Die Zeiten sind wahrhaft düster, Oscar. Manchmal glaube ich, das Land ist dabei, den Verstand zu verlieren.«

»Weshalb sagst du das?«

»Schau dich doch bloß mal um. Ich meine, schau dir an, mit welchen Problemen wir es zu tun haben.« Pelicanos zog die Schultern hoch und zählte an den Fingern ab. »Meine Frau ist schizophren. Bambakias hat eine schwere Depression. Die arme Moira ist in der Öffentlichkeit durchgedreht und hat einen Anfall bekommen. Dougal ist Alkoholiker. Green Huey leidet an Größenwahn. Und dann diese Verrückten, die dich umbringen wollten – der Vorrat an diesen Leuten ist schier unerschöpflich.«

Oscar ging schweigend weiter.

»Interpretiere ich da vielleicht zu viel hinein? Oder gibt es wirklich einen Trend?«

»Ich würde eher von Tiefenströmung sprechen«, meinte Oscar nachdenklich. »Die ist für die traumhaften Umfrageergebnisse seit Bambakias’ Zusammenbruch verantwortlich. Er ist der klassische politische Charismatiker. Seine Schwächen lassen seine politischen Stärken umso deutlicher hervortreten. Die Menschen spüren, dass er authentisch ist, sie erkennen, dass er der Richtige ist in dieser Zeit. Er repräsentiert das amerikanische Volk. Er ist die geborene Führerpersönlichkeit.«

»Ist er derzeit in der Lage, für uns in Washington tätig zu werden?«

»Also, sein Name wirkt noch immer Wunder… Aber realistisch gesehen, nein. Lorena hat mich informiert, und offen gesagt, ist er momentan richtig weggetreten. Er hat Wahnvorstellungen, den Präsidenten und einen heißen Krieg mit Europa betreffend… Er glaubt, unter jedem Bett seien holländische Agenten versteckt… Man probiert verschiedene Antidepressiva bei ihm aus.«

»Wird es funktionieren? Wird es gelingen, ihn zu stabilisieren?«

»Tja, die Behandlung findet starken Widerhall in den Medien. Seit dem Hungerstreik hat Bambakias eine große medizinische Fangemeinde… Die haben eigene Sites und Server… Jede Menge Genesungswünsche per E-mail, Hausrezepte, Wetten auf die Totenwache… Das klassische Massenphänomen. Du weißt schon, T-Shirts, Sticker, Kaffeetassen, Kühlschrankmagneten… Ich weiß nicht, irgendwie läuft das aus dem Ruder.«

Pelicanos rieb sich das Kinn. »Die Aasgeier von der Boulevardpresse haben anscheinend einen Popstar aus ihm gemacht.«

»Genau. Gut gesagt. Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen.«

»Müssten wir uns deswegen nicht Vorwürfe machen, Oscar? Ich meine, im Grunde ist das doch alles unsere Schuld, oder?«

»Glaubst du wirklich?« sagte Oscar überrascht. »Ich bin so dicht dran, dass ich nicht mehr urteilen kann, weißt du.«

Ein Fahrradbote hielt bei ihnen an. »Ich habe ein Paket für einen Mr. Hamilton.«

»Das ist der im Rollstuhl«, sagte Oscar.

Der Bote warf einen Blick auf den Satellitenempfänger. »Ah, ja. Stimmt. Danke.« Er radelte weiter.

»Jedenfalls warst du nie sein Stabschef«, sagte Pelicanos.

»Ja, das stimmt. Das ist ein Trost.« Oscar beobachtete, wie der Fahrradbote mit seinem Sicherheitschef sprach. Kevin quittierte zwei folienverschweißte Pakete. Er warf einen Blick auf den Absender, dann sprach er ins Mikrofon.

»Wusstest du, dass er sich von diesen Paketen ernährt?« fragte Pelicanos. »Große weiße Stangen, wie Stroh und Kreide. Er kaut ständig drauf herum. Eine Art Wiederkäuer.«

»Wenigstens isst er«, meinte Oscar. Sein Telefon klingelte. Er zog es aus dem Ärmel hervor und sagte: »Hallo?«

Er vernahm eine ferne, kratzige Stimme. »Ich bin’s, Kevin.«

Oscar drehte sich um und schaute zu Kevin hinüber, der ihnen in zehn Schritten Abstand mit dem Rollstuhl folgte. »Ja, Kevin? Was gibt’s denn?«