»Warum haben Sie das getan, Kevin? Weshalb sind Sie ein solches Risiko eingegangen?«
»Ich hab es wegen der Vertrauensrate gemacht. Und, na ja, weil die Sache stank.« Kevins Augen funkelten. »Weil die Herrschenden Schnüffler sind, weil sie lügen und betrügen und uns ausspionieren. Diese Hurensöhne sind reich, sie haben die Macht. Sie haben alle Trümpfe in der Hand, und trotzdem halten sie es für nötig, uns heimlich zu hintergehen. Sie haben es verdient. Ich werd’s wieder tun, wenn’s meinen Füßen wieder besser geht.«
Oscar konnte sein Zittern kaum mehr beherrschen. Das alles klang überzeugend. Kevin hatte sich soeben geoutet, und die Fakten fügten sich endlich zusammen. Die Lage war jetzt sowohl klarer als auch gefährlicher, als er geahnt hatte.
Oscar wusste nun, dass er recht daran getan hatte, seinem Instinkt zu folgen und den Mann einzustellen. Kevin war die Art politisches Wesen, das in einem Zelt besser aufgehoben war als im Freien. Es musste eine Möglichkeit geben, ihn auf Dauer auf seine Seite zu ziehen. Mit etwas, das ihm wichtig war. »Erzählen Sie mir mehr von Ihren Füßen, Kevin.«
»Ich bin ein Weißer. Weißen passieren heutzutage merkwürdige Sachen.« Kevin lächelte schwach. »Zumal wenn einen vier Cops mit Schlagstöcken dabei erwischen, wie man an Verkehrsampeln herumschraubt… Und jetzt bin ich ein Dropout im doppelten Sinn. Ich musste mich arrangieren, ich konnte nicht länger auf der Straße leben. Deshalb hab ich mir in so ‘nem stinkvornehmen Viertel von Beantown ‘nen Sicherheitsjob besorgt. Das frühere Leben hab ich zum größten Teil hinter mir gelassen. Hey, ich hab sogar mal gewählt! Ich habe für Bambakias gestimmt.«
»Das ist wirklich sehr interessant. Warum haben Sie das getan?«
»Weil er Häuser für uns baut, Mann! Er baut sie mit eigener Hände Arbeit und verlangt nie einen Cent dafür. Und es tut mir auch nicht leid, dass ich ihn gewählt habe, denn wissen Sie was, der Mann ist echt! Ich weiß, dass er durchgeknallt ist, aber das ist auch echt – das ganze Land ist durchgeknallt. Er ist ein reicher Intellektueller und ein Kunstsammler und was sonst noch, aber wenigstens ist er kein solcher Heuchler wie Huey. Huey behauptet, er sei die Zukunft Amerikas, dabei mauschelt er mit den Europäern.«
»Er hat unser Land verkauft, nicht wahr?« Oscar nickte. »Das ist unverzeihlich.«
»Ja. Genau wie der Präsident.«
»Und weiter? Wo liegt das Problem bei Two Feathers?«
»Eigentlich ist der Präsident auf seine Weise gar nicht so übel. Im Westen hat er gute Flüchtlingsarbeit geleistet. Dort hat sich die Lage wirklich gewandelt; seit den großen Bränden und den Umsiedlungen werden ganze Städte und Counties von Nomaden übernommen… Aber das überzeugt mich nicht. Two Feathers ist ein niederländischer Agent.«
Oscar lächelte. »Da kann ich Ihnen nicht folgen. Der Präsident soll ein niederländischer Agent sein?«
»Klar, die Niederländer haben ihn jahrelang unterstützt. Holländische Spione verstehen sich prima auf unzufriedene ethnische Gruppen. Anglos, amerikanische Ureinwohner… Amerika ist ein großes Land. Die alte Teile-und-Herrsche-Geschichte.«
»Hören Sie, wir reden hier nicht von Geronimo. Der Präsident hat mit Bauholz Milliarden gemacht und war Gouverneur von Colorado.«
»Doch, wir reden von Geronimo, Oscar. Amerika ohne Geld ist ein Land der Stämme.«
Sobald die Anzeige gegen Norman-den-Praktikanten zurückgenommen war, veranstaltete Oscars Team eine muntere Abschiedsparty. Für alles war gesorgt. Im Hotel drängten sich die Unterstützer des Laboratoriums, die ihrer aufrichtigen Bewunderung für Norman Ausdruck verliehen und den freien Getränken und Speisen lebhaft zusprachen.
»Das Hotel ist wunderschön«, sagte Albert Gazzaniga. Gretas Majordomus war in Begleitung von Warren Titche und Cyril Morello erschienen – zwei der permanent unzufriedenen Aktivisten des Labors. Titche kämpfte wie ein radikaler Vielfraß um Kaffeefilter und Cafeteriapreise, während Morello der einzige Angehörige der Personalabteilung war, der als ehrlich bezeichnet werden konnte. Oscar freute es, dass die drei sich spontan zusammengeschlossen hatten. Dies deutete darauf hin, dass die Trends in die richtige Richtung wiesen.
Gazzaniga umklammerte ein Cocktailglas mit einem kleinen Papierschirmchen darin. »Auch das kleine Restaurant ist klasse. Wenn ich dabei nicht die schmutzige Außenluft einatmen müsste, würde ich täglich hier essen.«
»Das mit Ihren Allergien tut mir leid, Albert.«
»Wir haben alle Allergien. Aber mir ist eben eine prima Idee gekommen – was halten Sie davon, die Straße, die von hier zur Kuppel führt, einfach zu überdachen?«
Oscar lachte. »Warum immer nur halbe Sachen? Überdachen wir doch gleich die ganze verdammte Stadt.«
Gazzaniga blinzelte. »Ist das Ihr Ernst? Ich merke nie, wann es Ihnen ernst ist.«
Norman zupfte Oscar am Ärmel. Sein Gesicht war scharlachrot, und seine Augen waren feucht von Abschiedstränen. »Ich breche gleich auf, Oscar. Das ist die letzte Gelegenheit, Ihnen auf Wiedersehen zu sagen.«
»Was?« sagte Oscar. Er fasste Norman beim Ellbogen und bugsierte ihn in einen ruhigen Winkel. »Sie müssen bis nach der Party bleiben. Dann spielen wir eine Runde Poker.«
»Damit Sie mich mit einem hübschen kleinen Geldgeschenk nach Boston entlassen können, das nicht über die Bücher läuft?«
Oscar starrte ihn an. »Mann, Sie sind der Erste, der jemals ein Wort über diese traurige kleine Angewohnheit von mir verloren hat. Sie sind jetzt ein großer Junge, okay? Sie müssen Takt lernen.«
»Nein, das will ich nicht«, sagte Norman, der bereits schwer betrunken war. »Ich kann so grob sein, wie ich will, denn Sie haben mich gefeuert.«
Oscar tätschelte Norman den Rücken. »Das war zu Ihrem eigenen Besten. Sie haben da ein größeres Ding gedreht, deshalb sind Sie jetzt ausgebrannt. Man würde Sie ständig auf dem Kieker haben.«
»Ich wollte Ihnen bloß sagen, das ist schon okay. Ich bedaure nichts. Ich habe wirklich eine Menge über Politik gelernt. Und ich habe einen Professor niedergeschlagen und bin damit durchgekommen. Mann, das allein war’s schon wert.«
»Sie sind ein braver Kerl, Norman. Ich wünsche Ihnen viel Glück beim Studium. Und nehmen Sie das mit dem Röntgenlaser leicht.«
»Draußen wartet ein Wagen auf mich«, sagte Norman, von einem Fuß auf den anderen tretend. »Meine Eltern werden sich freuen, mich zu sehen… Ist schon okay, dass ich fortgehe. Ich tu’s nicht gerne, aber ich weiß, es ist am besten so. Bevor ich gehe, möchte ich bloß noch eines mit Ihnen klären. Weil ich nämlich nie mit Ihnen darüber gesprochen habe… Sie wissen schon, was ich meine.«
»Mein persönliches Vergangenheitsproblem‹«, sagte Oscar.
»Ich hab mich nie dran gewöhnt. Ich hab’s weiß Gott versucht. Aber ich hab mich nie dran gewöhnt. Niemand gewöhnt sich jemals daran. Nicht mal die Leute aus Ihrem eigenen Team. Sie sind einfach zu seltsam, Sie sind ein sehr, sehr seltsamer Mensch. Sie denken eigenartig. Sie verhalten sich eigenartig. Sie schlafen nicht einmal. Sie sind kein richtiger Mensch.«
Er seufzte, schwankte leicht auf der Stelle. »Aber wissen Sie was? In Ihrer Umgebung passiert wenigstens was, Oscar. Sie setzen Dinge in Bewegung, Sie rütteln die Leute auf. Sie bewirken etwas. Das Land braucht Sie. Bitte lassen Sie uns nicht hängen, Mann. Lassen Sie uns nicht im Stich. Ich bin jung, und ich brauche eine Zukunft. Kämpfen Sie den gerechten Kampf für uns. Bitte.«