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Oscar betrachtete den klein gedruckten Plan mit zusammengekniffenen Augen. »Das Archer Parr Institut für kompetitive Verstärkung?«

»Ja, genau, die Spin-offs.«

Oscar schaute hoch und drückte die Hutkrempe zurecht, um sich vor der texanischen Sonne zu schützen. Ein System miteinander verwobener Streben durchschnitt den Himmel wie das Exoskelett einer riesigen Kieselalge. Die fernen Streben waren aus massivem Beton und dienten als Halterung für Plastikgewächshausscheiben von der Größe eines Hockeyplatzes. Das staatliche Labor war zu einer Zeit gegründet und erbaut worden, als man die Genmanipulation für so gefährlich wie Atomkraftwerke gehalten hatte. Die Kuppel des Buna National Collaboratory vermochte Tornados, Wirbelstürmen, Erdbeben und selbst dem massivem Einsatz von Bomben zu trotzen. »Ich war noch nie in einer abgeschlossenen Umgebung, die so groß gewesen wäre, dass man eine Karte braucht, um sich darin zu orientieren«, sagte Oscar.

»Man gewöhnt sich dran.« Ihr Führer zuckte die Achseln. »Man gewöhnt sich an die Leute, die hier drinnen leben, und selbst an das Kantinenessen… Das Labor wird zur zweiten Heimat, wenn man nur lange genug dabei ist.« Der Mann kratzte sich im Bart. »Von Osttexas, das außerhalb der Schleusen liegt, kann man das nicht behaupten. Viele Leute gewöhnen sich nie daran.«

»Es ist wirklich nett von Ihnen, dass Sie uns den Tierbestand zeigen«, meinte Pelicanos. »Ich nehme an, Sie sind sehr beschäftigt.«

Der Zoologe griff eifrig zum Handy, das er am Gürtel trug. »Soll ich die Dame von der PR-Abteilung anrufen?«

»Nein«, sagte Oscar zuvorkommend, »nachdem sie die Freundlichkeit hatte, uns an Sie weiterzureichen, glaube ich, dass wir auch allein hinausfinden.«

Der Wissenschaftler schwang sein veraltetes, klobiges staatseigenes Handy, das mit grünen Fingerabdrücken verschmiert war. »Möchten Sie vielleicht lieber fahren? Ich könnte Ihnen einen Buggy rufen.«

»Wir möchten uns ein wenig die Beine vertreten«, zierte sich Pelicanos.

»Sie haben uns sehr geholfen, Dr. Parkash.« Oscar hatte ein hervorragendes Namensgedächtnis. Dabei gab es eigentlich keinen speziellen Grund, sich unter den zweitausend staatlich angestellten Forschern und den vielen beigeordneten Handlangern, Werbefritzen, Mitarbeitern und dem übrigen Gefolge ausgerechnet den Namen Dr. Averill Parkash zu merken. Oscar wusste jedoch, dass er sich die Namen, Gesichter und Dossiers des Personals in kurzer Zeit einprägen würde. Das war beinahe schon eine Obsession. Er konnte einfach nichts dagegen machen.

Ihr Führer entfernte sich Richtung Veterinär-Verwaltungszentrum, begierig darauf, wieder in sein enges, schmutziges kleines Büro zurückzukehren. Oscar winkte ihm lächelnd zum Abschied.

Parkash rief ihm noch etwas zu. »In der Nähe liegt eine ausgezeichnete Weinbar! Gegenüber dem Fließ-NMR und dem Gerätelager!«

»Danke für die Empfehlung! Vielen Dank!« Oscar machte auf dem Absatz kehrt und wandte sich zur nächsten Baumgruppe. Pelicanos folgte ihm eilig.

Bald darauf befanden sie sich in der Deckung der Bäume. Oscar und Pelicanos folgten einem gewundenen, morastigen, mit Torfmoos bewachsenen Pfad, der durch einen zusammengestoppelten Dschungel führte. Das Labor verfügte über riesige botanische Gärten – darunter sogar kleinere Wälder – mit seltenen Exemplaren. Mit vom Aussterben bedrohten Exemplaren. Die aus einer Umwelt stammten, die auf Grund der Klimaveränderung, des ansteigenden Meeresspiegels und der mit einer Weltbevölkerung von 8,1 Milliarden Menschen einhergehenden Verstädterung längst ausgestorben war.

Die Pflanzen und Tiere waren allesamt geklont. In den Tiefen der festungsartigen Keller des dem Laboratorium zugehörigen Zentrums für den Schutz des Genoms lagerten Zehntausende genetischer Proben, die man aus allen Erdteilen zusammengetragen hatte. Die kostbare DNS wurde in funkelnden Kolben mit flüssigem Stickstoff gelagert, sicher verwahrt in einem bürokratischen Labyrinth endloser, von Maschinen angelegten Kalksteingewölben.

Hin und wieder hielt man es für ratsam, ein paar Proben aufzutauen und ausgewachsene Organismen heranzuzüchten. Auf diese Weise vergewisserte man sich, dass die genetischen Daten noch nutzbar waren. Die entstandenen Lebewesen waren zumeist auch recht fotogen. Die Klone waren bei der Öffentlichkeitsarbeit von Nutzen. Jetzt, da die Biotechnik das hermetische Reich der Geheimwissenschaft verlassen hatte und industriell nutzbar gemacht wurde, war der Zoo des Labors beste Werbung.

Die riesigen unterirdischen Gewölbe standen bei den Opfern des hiesigen Tourismus stets ganz oben auf der Besucherliste, Oscar jedoch hatte die kafkaeske Enge als bedrückend empfunden. Der Dschungel hingegen gefiel ihm. Natürliche Wildnis langweilte ihn zumeist, doch diese rationale, urbanisierte Taschenausgabe von Natur übte den Reiz des Modernen aus. Die stubenreinen Gewächse mit ihren Saftsammlern und Hormonspendern funkelten wie Weihnachtsbäume. Bäume und Büsche badeten wie betrunkene Touristen im Licht der Pflanzenstrahler.

Der taschengerechten Karte zufolge befanden Oscar und Pelicanos sich nun in einem Mischdschungel, der an das Veterinärtechnische Labor, das Labor für Atmosphärenchemie, das Veterinär-Verwaltungszentrum und ein ganz spezielles Gebäude grenzte, das für die Müllverarbeitung zuständig war. Keines dieser weitläufigen Gebäude war aus dem Innern des eingetopften Waldes hervor zu sehen – die brutalen, festungsartigen Türme des Hochsicherheitstrakts natürlich ausgenommen. Dieser gigantische Sperrbezirk bildete den zentralen Stützpfeiler der Kuppelanlage. Die glasierten zylindrischen Gebilde waren von jeder Stelle innerhalb der Kuppel aus zu sehen und glänzten, als bestünden sie aus edlem Porzellan.

Die Wahrscheinlichkeit, dass es in dem künstlichen Wald Abhörvorrichtungen gab, war eher als gering zu veranschlagen. Solange sie in Bewegung blieben, konnten sie sich ungestört unterhalten.

»Ich habe schon befürchtet, wir würden diesen Widerling überhaupt nicht mehr los«, meinte Pelicanos.

»Möchtest du mir etwas sagen, Yosh?«

Pelicanos seufzte. »Ich möchte wissen, wann wir wieder zurückfahren.«

Oscar lächelte. »Wir sind doch gerade erst angekommen. Magst du die Texaner nicht? Sie sind jedenfalls sehr zuvorkommend.«

»Oscar, du hast zwölf Leute mitgebracht. Die haben nicht genug Schlafgelegenheiten hier.«

»Aber ich brauche zwölf Leute. Ich brauche mein ganzes Team. Ich möchte mir alle Optionen offen halten.«

Pelicanos knurrte überrascht, als ein stachliges Tier mit Hufen – vielleicht eine Art Tapir? – den Weg querte. Seltene Tiere wie Erdferkel oder Zebus liefen auf dem Gelände frei herum. Zumeist tappten sie wie unter Drogen stehende heilige Kühe friedlich auf den Straßen und in den Gartenanlagen umher.

»Du hast nach Beendigung des Wahlkampfs für ein paar Extras gesorgt«, sagte Pelicanos. »Na ja, Bambakias kann sich das gewiss leisten, und die Leute haben sich über die Geste gefreut. Wahlkampfhelfer sind jedoch von Natur aus Zeitarbeiter. Du brauchst sie einfach nicht mehr. Du brauchst keine zwölf Leute, um einen Ausschussbericht zu erarbeiten.«

»Aber sie machen sich nützlich! Weißt du ihre Dienste nicht zu schätzen? Wir haben einen Bus, einen Fahrer, eigene Sicherheitsleute, wir haben sogar eine Masseuse! Wir leben in Saus und Braus. Außerdem ist es egal, ob sie die Beine hier langmachen oder anderswo.«

»Das ist keine Antwort.«

Oscar sah ihn an. »Du erstaunst mich, Yosh… Sandra fehlt dir.«

»Ja«, räumte Pelicanos ein. »Meine Frau fehlt mir.«

Oscar schwenkte die Hand. »Dann nimm dir am Wochenende drei Tage frei. Flieg nach Beantown. Das hast du verdient, und wir können es uns leisten. Triff dich mit Sandra. Vergewissere dich, wie es ihr geht.«

»Also gut. Ich glaub, ich mach’s. Ich fliege hin und treffe mich mit Sandra.« Pelicanos’ Miene hellte sich auf. Oscar sah, wie sich seine Stimmung hob; die Freude schlug über ihm zusammen wie eine kleine Welle. Seltsam, aber Pelicanos war glücklich. Obwohl sich seine Frau seit neun Jahren in einem Sanatorium für Geisteskranke befand.