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Pelicanos war ein ausgezeichneter Organisator, ein guter Finanzberater und ein nahezu genialer Buchhalter, während sein Privatleben eine bodenlose Tragödie darstellte. Oscar fand dies äußerst interessant. Es sprach ein grundlegendes Element seiner Persönlichkeit an, seine brennende Neugier für Menschen und die Taktik und Strategie, mittels derer man sich ihr Wohlverhalten sichern konnte. Yosh Pelicanos schritt scheinbar durchs Leben wie jeder andere auch, während er gleichzeitig ein tonnenschweres Geheimnis mit sich herumschleppte. Pelicanos wusste wirklich, was Hingabe und Loyalität bedeuteten.

Oscar selbst hatte mit Hingabe und Loyalität nicht viel am Hut, hatte diese Eigenschaften aber bei anderen schätzen gelernt. Pelicanos war nicht zufällig am längsten von allen sein Mitarbeiter.

Pelicanos senkte die Stimme. »Aber bevor ich aufbreche, Oscar, möchte ich dich um einen kleinen Gefallen bitten. Ich muss wissen, was du vorhast. Sei offen zu mir.«

»Du weißt doch, dass ich keine Geheimnisse vor dir habe, Yosh.«

»Versuch’s noch mal.«

»Also gut.« Oscar schritt unter einem hohen grünen Torbogen aus gefiederten Farnwedeln mit rosa Blüten hindurch. »Die Sache ist die: Politik macht mir Spaß. Das Spiel liegt mir.«

»Das hört man gerne, Boss.«

»Du und ich, wir haben gerade unseren zweiten Wahlkampf abgeschlossen und unseren Mann in den Senat gehievt. Das ist eine große Leistung. Ein Senatssitz ist nach allen gängigen Maßstäben sehr hoch zu veranschlagen.«

»So ist es. Und weiter?«

»Und zum Lohn für all unsere Mühen befinden wir uns wieder im politischen Dschungel.« Oscar entfernte einen übel riechenden Zweig von seiner Sakkoschulter. »Glaubst du wirklich, Bambakias hätte Bedarf für ein gottverdammtes ausgestorbenes Tier? Neulich hat mich um sechs Uhr morgens der neue Stabschef angerufen. Er meinte, die Frau des Senators interessiere sich für meinen gegenwärtigen Auftrag, und ich solle ihr doch bitte ein exotisches Tier mitbringen. Bloß hat nicht sie mich angerufen – und auch nicht Bambakias –, sondern Leon Sosik.«

»Stimmt.«

»Der Bursche will mich fertigmachen.«

Pelicanos nickte vielsagend. »Sosik weiß ganz genau, dass du scharf auf seinen Job bist.«

»Ja. Das weiß er. Daher vergewissert er sich, ob ich auch tatsächlich meine Zeit am Arsch der Welt absitze. Und dann besitzt er die Unverschämtheit, mir obendrein noch diesen kleinen Auftrag aufzuhalsen. Sosik hat dabei nichts zu verlieren. Wenn ich ihm die Bitte abschlage, bin ich der Dumme. Wenn ich’s vermassele oder in Schwierigkeiten gerate, macht er mich deswegen fertig. Und wenn ich Erfolg habe, heimst er die Meriten ein.«

»Mit Grabenkämpfen kennt Sosik sich aus. Der hat viele Jahre auf dem Capitol Hill zugebracht. Sosik ist ein Profi.«

»Ja, das ist er. Und wir sind seiner Meinung nach blutige Anfänger. Diesen Kampf aber werden wir gewinnen. Weißt du wie? Es wird genau so laufen wie beim Wahlkampf. Zunächst dämpfen wir die Erwartungen, damit alle glauben, wir hätten hier keine Chance. Und dann sind wir in einem solchen Maße erfolgreich – und übertreffen die in uns gesetzten Erwartungen so gewaltig –, dass wir unsere Gegner einfach hinwegfegen.«

Pelicanos lächelte. »Typisch Oscar.«

Oscar reckte den Zeigefinger. »Und so sieht der Plan aus. Wir finden heraus, wer hier am Drücker sitzt und was diese Leute wollen, und kommen ihnen in die Quere. Wir versetzen unsere Leute in Aufregung und diese Leute in Unruhe. Und am Ende manövrieren wir jeden aus, der uns aufhalten will. Wir treiben sie in die Ecke und stürzen uns aus völlig unerwarteten Richtungen auf sie, und wir machen einfach immer damit weiter und rammen sie in Grund und Boden!«

»Hört sich an wie ‘ne große Sache.«

»Ja, schon, und deswegen habe ich auch so viele Leute mitgebracht. Sie haben bewiesen, dass sie auf politischer Ebene zusammenarbeiten können. Sie sind erfinderisch, sie sind clever, und jeder Einzelne von ihnen schuldet mir eine Menge Gefallen. Glaubst du, es könnte klappen?«

»Das fragst du mich?« sagte Pelicanos und breitete die Arme aus. »Verdammt, Oscar, ich mache gerne mit. Das weißt du doch.« Und er gestattete sich ein kurzes, glückliches Auflachen.

Die alten Unterkünfte des Labors boten wenig Annehmlichkeiten. Schlafraum war knapp, da das staatliche Labor zahllose wissenschaftliche Vagabunden, Vertragspartner und verschiedene exotische Spielarten parawissenschaftlicher Bürokraten beherbergte. Die Unterkünfte waren in einem zweistöckigen, in Leichtbauweise errichteten Gebäude untergebracht und mit Gemeinschaftsbädern und -küchen ausgestattet. Die Einrichtung bestand aus regierungsbraunen Pappmöbeln und ein paar bunt zusammengewürfelten Laken und Handtüchern. Die Türschlösser wurden mit Ausweiskarten des Labors geöffnet. Wahrscheinlich legten die smarten Karten und die smarten Türschlösser für die hiesigen Sicherheitsleute ein Dossier über das Kommen und Gehen der Gäste an.

Unter dem riesigen, aus rautenförmigen Elementen zusammengesetzten Kuppeldach gab es kein Wetter. Das ganze gewaltige Gebilde war im Wesentlichen eine Intensivstation mit beweglichen Blenden, hellen Lampen und riesigen Zeolith-Luftfiltern, in der ständig das Summen der tief in der Erde verborgenen Generatoren zu hören war. Die Biotechlabors waren wie Festungen konstruiert. In den Unterkünften hingegen gab es keine massiven Wände, Dächer oder nennenswerte Isolierung. Dort war es eng und laut.

Daher erledigte Donna Nunnez ihre Näh- und Stopfarbeiten auf einer Holzbank vor der Abteilung für Sicherheit am Arbeitsplatz. Donna hatte ihren Nähkorb und mehrere Kleidungsstücke des Teams mitgebracht. Oscar hatte seinen Laptop dabei. Er arbeitete nicht gern auf dem Zimmer, denn er spürte, dass es verwanzt war.

Die Abteilung für Sicherheit am Arbeitsplatz säumte mit acht weiteren Gebäuden die zentrale Ringstraße, in deren Mitte die glänzenden Porzellanwälle des Hochsicherheitstrakts lagen. Der Hochsicherheitstrakt war umgeben von großen Versuchsfeldern mit genmanipulierten Saatpflanzen: Salzwasser aufnehmendes Sorghum und schnell wachsender Reis sowie mehrere Genkreuzungen von Blaubeeren. Die kreisförmigen Felder wiederum waren umgeben von einer kleinen zweispurigen Straße. Diese Ringstraße war die Hauptverkehrsstraße innerhalb der Kuppel, daher bot es sich an, hier zu sitzen und die seltsamen Angewohnheiten der Einheimischen zu beobachten.

»Die stinkenden, lausigen Unterkünfte machen mir wirklich nichts aus«, bemerkte Donna freundlich. »Es ist so hübsch unter der Kuppel und riecht so gut. Wenn wir wollten, könnten wir hier auch im Freien wohnen. Wir könnten nackt herumlaufen wie die Tiere.«

Donna streckte die Hand aus und tätschelte einem Tier den Kopf. Oscar musterte das Tier, das seinen Blick furchtlos erwiderte, die hervorquellenden schwarzen Augen so eindrucksvoll leer wie eine Alphabettafel, wie man sie für spiritistische Sitzungen verwendet. Der Entwilderungsprozess, ein Spinn-off der florierenden Hirnforschung des Labors, hatte dazu geführt, dass die hiesigen Tiere in einen Zustand eigentümlicher Gleichgültigkeit eingetreten waren.

Dieses Exemplar wirkte so munter und gesund wie eine Plastikfigur aus einem Corn-Flakes-Karton; die Stoßzähne waren kariesfrei, der Borstenpelz wirkte weich wie Schaumspeise. Gleichwohl konnte Oscar sich des Gefühls nicht erwehren, dass das Tier ihn mit Freuden töten und verspeisen würde. Dies war offenbar der Primärimpuls des Tieres. Es fehlte ihm lediglich an der nötigen Entschlusskraft, ihn auch in die Tat umzusetzen.

»Wissen Sie zufällig, was das für ein Tier ist?« fragte Oscar.

Donna streichelte dem Tier vorsichtig die längliche, runzlige Schnauze. Es grunzte verzückt und streckte seine widerliche graue Zunge hervor. »Vielleicht ein Schwein?«