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Azzie hatte jedoch keine Zeit mehr. Schon am nächsten Morgen würde das Hohe Komitee seinen Kandidaten bestimmen, und das Spiel würde beginnen.

»Ich muß zum Spielekomitee«, sagte Azzie zu der Dämonenwache vor dem Tor des Ministeriums, das aus einer großen Ansammlung verschiedener Gebäude bestand, teils im barocken Stil und mit verzierten zwiebelförmigen Kuppeln, teils hochmodern und rechtwinklig erbaut, in dem die Belange von Dämonen, Hilfsteufeln und anderen bösen übernatürlichen Kreaturen geregelt wurden. Viele Dämonen arbeiteten hier in der Verwaltung; die unablässigen Bemühungen, die Verhaltensregeln übernatürlicher Geschöpfe festzulegen, verschlangen eine Unmenge an Papier. Die Verwaltung der Übernatürlichen Kreaturen des Bösen war sehr viel umfangreicher als alle vergleichbaren Institutionen der Erde und beschäftigte den größten Teil der höllischen Dämonen in der einen oder anderen Abteilung. Und das geschah trotz der Tatsache, daß die Leitung der Dämonen nie von einer höheren Macht sanktioniert worden war. Die einzige über Gut und Böse stehende anerkannte Macht war das seltsame und nebulöse Gebilde namens Ananke, Notwendigkeit. Es gab keinen sicheren Anhaltspunkt, ob die Befehlskette mit Ananke endete oder sich in noch höhere Regionen erstreckte. Ananke war das letzte Glied, das die dämonischen Theoretiker hatten erfassen können. Die Theoretiker hatten große Schwierigkeiten, mit Ananke zu kommunizieren, weil er oder es so geheimnisvoll war, so ungreifbar, so körperlos und so unkommunikativ, daß es unmöglich war, über irgend etwas Gewißheit zu haben, außer daß er oder es zu existieren schien. Ananke fällte das Urteil über den Wettkampf zwischen Gut und Böse, der alle tausend Jahre ausgetragen wurde. Seine Entscheidung erfolgte auf mysteriöse Weise. Ananke selbst war Gesetz, aber ein Gesetz, das sich nur bruchstückhaft zeigte und sich nie näher erfassen ließ.

Warum sollten Dämonen überhaupt regiert werden? Der Theorie nach waren Dämonen autonome Geschöpfe, die ihren Trieben folgten, das heißt ihrem Drang, Böses zu tun. Doch alle intelligenten Geschöpfe – ob menschlicher oder dämonischer Natur – schienen mit einer angeborenen Perversion behaftet zu sein, die sie dazu zwang, gegen den Strom zu schwimmen, gegen das zu verstoßen, was für sie am besten war, gegen alle Prinzipien aufzubegehren, denen sie eigentlich folgen sollten. Deshalb bedurften Dämonen unbedingt der wichtigsten Institution einer jeden Regierung, eines Amtes für Konformität – was ihnen einen höllischen Spaß bereitete, waren ihre führenden Theoretiker doch der Meinung, daß die Festsetzung und Durchführung standardisierter Formen des Bösen noch schlimmer – bösartiger – war, als das Begehen böser Taten selbst. Es war nicht leicht, sich in diesem Punkt sicher zu sein, aber es klang durchaus stichhaltig.

Azzie legte ein ziemlich nonkonformistisches Verhalten an den Tag, als er an den Wachen vorbeistürmte, die ihn mit hängenden Unterkiefern anstarrten, denn sein Benehmen war eindeutig undämonisch. Im Umgang mit Vorgesetzten neigen Dämonen gewöhnlich zu Speichelleckerei. Dennoch zögerten sie, ihm hinterherzujagen und ihn aufzuhalten. Der fuchsköpfige junge Dämon hatte mehr als nur ein bißchen verrückt gewirkt, und sollte der Eindruck nicht täuschen, könnte er vielleicht von höheren Mächten, das heißt von Satan selbst inspiriert sein, in dessen Diensten sich abzurackern für alle dämonischen Kräfte ein Glaubensbekenntnis war.

Azzie rannte durch die Flure des Ministeriums, und ihm war nur zu gut bewußt, warum die Wächterdämonen nicht versucht hatten, ihn aufzuhalten. Das konnte ihm nur recht sein, auch wenn er selbst wußte, daß er keineswegs inspiriert war und der Hohe Rat alles andere als erfreut über sein Verhalten sein würde. Ihm dämmerte die Erkenntnis, daß er einen sehr großen Fehler begangen und sich mehr vorgenommen hatte, als er zu leisten in der Lage war. Aber er verdrängte diesen Gedanken sofort wieder, und seine Entschlossenheit wuchs. Nachdem er einmal diesen Weg eingeschlagen hatte, würde er ihm auch weiter folgen müssen.

Er hastete auf einer Seite einer beeindruckenden Doppeltreppe empor, bog links ab, warf beinahe eine Urne mit frisch gepflücktem Frühlingsunkraut um, rannte den Flur entlang, bog bei jeder sich bietenden Gelegenheit links ab und eilte an untergeordneten Dämonen vorbei, die mit Akten und Formularen beladen waren, bis er eine hohe Bronzetür erreicht hatte. Azzie wußte, daß sein Ziel dahinter liegen mußte. Er stieß die Tür auf und trat ein.

Die Konferenz der Mächte des Bösen war in vollem Gang, als Azzie hineinplatzte. Es war keine fröhliche Runde. Unzufriedenheit beherrschte die bestialischen Gesichter der führenden Dämonen, Mundwinkel waren herabgezogen, Augen gerötet und verquollen.

»Was soll das?« fragte Belial und erhob sich auf seinen Ziegenfüßen, um Azzie, der sich tief verbeugte, besser in Augenschein nehmen zu können.

Azzie, dessen Stimmbänder plötzlich wie gelähmt waren, brachte lediglich ein Stammeln zustande und starrte ihn an.

»Das ist doch wohl offensichtlich, oder?« ließ sich Azazel vernehmen, zog die mächtigen Schultern hoch und legte seine dunklen Schwingen in Falten. »Es ist ein Dämon aus dem gewöhnlichen Fußvolk, der sich erdreistet, uns ohne Grund zu belästigen. Ich begreife nicht, was sich die jungen Leute heutzutage alles herausnehmen. Zu meiner Zeit war das noch ganz anders. Damals hatten junge Dämonen noch Respekt vor den Älteren und haben versucht, ihr Wohlwollen zu erringen. Heute rotten sie sich in Banden zusammen, Abschaumbanden nennen sie sich, wie ich gehört habe, und es ist ihnen völlig egal, wen sie mit ihrem Radau belästigen. Und nicht genug damit, jetzt haben sie sogar einen aus ihren Reihen ausgeschickt, um in unser inneres Sanctorum einzudringen und uns zu verhöhnen.«

Belial, ein alter Rivale Azazels, schlug mit dem Huf auf den Tisch und sagte genüßlich: »Der überaus ehrenwerte Kollege hat die bemerkenswerte Begabung, eine Störung durch einen einzelnen Dämon zu einem Anschlag einer Abschaumbande auf dem Kriegspfad aufzubauschen. Ich sehe hier aber keine Bande, nur einen einzelnen, eher dümmlich dreinschauenden Dämon. Außerdem möchte ich darauf hinweisen, daß die Bezeichnung Sanctum in diesem Fall zutreffender als Sanctorum ist, was der ehrenwerte Kollege wissen würde, hätte er irgendwann einmal die gute alte Muttersprache, nämlich Latein, gelernt.«

Azazels Augen loderten auf, kleine blaue Rauchwölkchen drangen aus seiner Schnauze, ätzende Säure tropfte aus seiner Nase und fraß Löcher in die Tischplatte aus Eisenholz. »Ich verbitte es mir, mich von einem Naturgeist und Emporkömmling beleidigen zu lassen, der zu einem Dämon gemacht worden ist, anstatt als solcher geboren zu sein, und von dem man auf Grund seiner zweifelhaften Herkunft nicht erwarten kann, die wahre Natur des Bösen zu verstehen.«

Andere Konferenzteilnehmer forderten lautstark Gehör, denn Dämonen lieben es, darüber zu diskutieren, wer das Böse wirklich versteht, wer am bösesten ist und wem es dagegen an Schlechtigkeit mangelt. Mittlerweile hatte Azzie jedoch seine Fassung wiedergewonnen. Ihm war klar, daß sich die Aufmerksamkeit der Dämonenfürsten schon bald auf ihn richten würde. Also beeilte er sich, sein unverfrorenes Eindringen zu verteidigen.

»Meine Herren«, sagte er, »es tut mir leid, der Anlaß für Ihren Streit zu sein. Ich wäre nicht unangemeldet bei Ihnen hereingeplatzt, wenn ich Ihnen nicht etwas Dringendes mitzuteilen hätte.«

»Ja, warum bist du gekommen?« fragte Belial. »Und wie ich feststelle, hast du auch keine Geschenke mitgebracht, wie es die Sitten erfordern. Was hast du zu deiner Rechtfertigung zu sagen?«