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KAPITEL 5

An diesem Nachmittag besuchte Azzie die nahe gelegene Stadt Augsburg und verbrachte den Rest des Tages damit, umherzuschlendern und sich die uralten Kirchen anzusehen. Dämonen sind äußerst interessiert an Kirchen, die trotz der Kräfte des Guten, die sie beherbergen, oft so umgedreht werden können, daß sie dem Bösen dienen. Am frühen Abend kehrte er in das Gasthaus Zum Gehängten zurück, wo er von dem Wirt erfuhr, daß sich niemand mehr für die ausgeschriebene Stellung beworben hatte.

Er zog seine schwarze Kreditkarte hervor und betrachtete sie genauer. Es war eine schöne Karte, und er verspürte den Drang, etwas damit zu bestellen, das ihm Spaß bereiten würde, zum Beispiel ein paar Tänzerinnen. Aber er entschied sich dagegen. Immer eins nach dem anderen. Zuerst brauchte er einen menschlichen Diener. Danach würden sowohl die Arbeit als auch das Vergnügen beginnen.

Am Abend beschloß er, seine Mahlzeit mit den Händlern unten im Schankraum einzunehmen. Er hatte sich einen besonderen Tisch reservieren lassen, der durch einen Vorhang verdeckt war, aber er zog ihn einen kleinen Spalt zur Seite, um das Treiben der anderen Gäste beobachten zu können.

Sie aßen, tranken und zechten, und Azzie fragte sich, wie sie nur so unbekümmert sein konnten. Spürten sie denn nicht, daß die Jahrtausendwende näher rückte? Überall sonst in Europa wußten die Menschen Bescheid und ergriffen alle denkbaren Vorkehrungen. Es gab Totentänze auf verfluchten Heideflecken und alle Arten von Zeichen und Omen. Viele Leute waren überzeugt, daß das Ende der Welt bevorstand. Einige suchten Zuflucht in Gebeten. Andere, die glaubten, verdammt zu sein, vertrieben sich die Zeit mit Schlemmen und sexuellen Aktivitäten. An dutzenden Orten in Europa war der Todesengel gesichtet worden, der die Gegend auskundschaftete und vorläufige Listen derjenigen erstellte, die aus dem Leben gerissen werden würden. In Kirchen und Kathedralen wurden Schutzgebete gegen Promiskuität und Vergnügungssucht intoniert. Aber all das war ziemlich sinnlos. Die Menschen waren durch das Nahen des schrecklichen Jahres aufgewühlt und verängstigt, in dem angeblich die Toten durch die Straßen wandeln, der Antichrist auf dem Land gesehen und sich alle Dinge zur Apokalypse zusammenfinden würden, der letzten großen Schlacht zwischen Gut und Böse.

Azzie konnte mit diesem vulgären Aberglauben nichts anfangen. Er wußte, daß das Spiel der Menschheit noch lange nicht ausgespielt war. Es würden noch viele tausend Jahre lang Wettkämpfe wie der kurz bevorstehende stattfinden, so wie es sie schon seit Jahrtausenden in der Vergangenheit gegeben hatte, auch wenn im Gedächtnis der Menschen nur äußerst verworrene Erinnerungen daran zurückgeblieben waren.

Schließlich wurde Azzie müde und zog sich auf sein Zimmer zurück. Es blieb noch etwa eine halbe Stunde bis Mitternacht. Er rechnete nicht damit, daß Hye oder Agatha wiederkommen würden. Sie schienen nicht aus dem richtigen Holz geschnitzt zu sein. Trotzdem beschloß er, aus Gründen der Höflichkeit wach zu bleiben.

Die Minuten schleppten sich dahin, und Stille legte sich über das Dorf. Dies war die Zeit, die Azzie am meisten liebte, wenn die Mitternacht unmittelbar bevorstand, sich das Erscheinungsbild der Welt veränderte, die freundliche Abenddämmerung vergessen und die erlösende Morgendämmerung noch fern war. In diesen Stunden zwischen Mitternacht und Morgendämmerung fühlt sich das Böse am wohlsten, ist am unternehmungslustigsten und verspürt das größte Bedürfnis nach unerhörten Taten und Sünden, den größten Drang, die alles durchdringenden Perversionen zu erschaffen, die ständig erneuert werden müssen und die Seele des Bösen entzücken.

Die Mitternacht kam und verstrich, und niemand klopfte an seine Tür. Azzie begann sich zu langweilen, und das große Bett mit seinen flauschigen Eiderdaunendecken sah ungeheuer einladend aus. Es stellte eine Versuchung dar, und da von Dämonen nicht erwartet wird, Versuchungen zu widerstehen, gab er ihr nach, legte sich ins Bett und schloß die Augen. Er fiel in einen tiefen Schlaf und träumte.

In seinem Traum erschienen drei ganz in Weiß gekleidete junge Mädchen, die geheiligte Gegenstände in den Händen hielten. Sie winkten ihm zu und sagten: »Komm, Azzie, nimm teil an unserem frohen Treiben.« Und als Azzie sie betrachtete, verspürte er eine große Lust, sich zu ihnen zu gesellen, denn sie winkten und zwinkerten ihm sehr verführerisch zu. Aber sie hatten irgend etwas an sich, das ihm nicht gefiel, das seinem kundigen Auge verriet, daß sie das Böse nicht wirklich mochten und ihm nur etwas vorspielten, um ihn in ihre Fänge zu locken. Trotzdem fühlte er sich beinahe gegen seinen Willen zu ihnen hingezogen, obwohl er sich einige Zeilen des Glaubensbekenntnisses des Bösen ins Gedächtnis rief, die besagten, daß das Gute in der Lage war, eine angenehme Gestalt anzunehmen, und sich ein Dämon vorsehen mußte, um sich nicht von etwas verführen zu lassen, das nur scheinbar böse war. Aber das Credo half ihm nicht. Die Mädchen streckten die Hände nach ihm aus…

Er sollte nie erfahren, wie der Traum weitergegangen wäre, denn in diesem Augenblick wurde er von einem Klopfen an der Tür geweckt. Er setzte sich auf und riß sich zusammen. Wie lächerlich es doch war, sich davor zu fürchten, vom Guten verführt zu werden! Das war eine unter Dämonen weitverbreitete Angst, und es erschreckte ihn, davon zu träumen.

Das Pochen wiederholte sich.

Azzie überprüfte sein Aussehen in dem gesprungenen Spiegel. Er strich seine Augenbrauen glatt und das rote Haar zurück und setzte versuchsweise einen finsteren Blick auf. Ja, er sah heute nacht eindeutig furchteinflößend aus, bereit für jeden Bewerber, der durch die Tür treten mochte.

»Herein«, sagte er.

Er war mehr als nur ein bißchen überrascht, als die Tür geöffnet wurde und er seinen Besucher erblickte.

Der Mann, der sein Zimmer betrat, war ihm unbekannt. Er war sehr klein, hatte einen großen Buckel und trug eine weite schwarze Kutte, deren Kapuze zurückgeschlagen war. Sein langes knochiges Gesicht war leichenblaß. Als er näher kam, bemerkte Azzie, daß er sich auf einen Stock stützte.

»Wer bist du, daß du mich zu einer solch späten Stunde aufzusuchen wagst?« fragte Azzie.

»Mein Name ist Frike«, antwortete der lahme Bucklige. »Ich komme wegen Eurer Anzeige. Wie es scheint, wünscht Ihr einen Diener, der zu allem bereit ist. Ich empfehle mich Euch als genau die richtige Person.«

»Du hast keine Scheu, dich anzupreisen«, sagte Azzie, »aber es waren zwei Bewerber vor dir da. Ich habe ihnen eine einfache Aufgabe gestellt und warte seither auf ihre Rückkehr.«

»Ah, ja«, entgegnete Frike. »Ich bin ihnen zufällig begegnet, dem Poeten und der alten Vettel. Sie standen vor dem Eingang zum Friedhof und haben versucht, den Mut aufzubringen, das zu tun, was Ihr ihnen aufgetragen habt.«

»Sie hätten sich nicht so sehr verspäten dürfen«, sagte Azzie. »Der Termin für ihre Rückkehr ist schon überschritten.«

»Nun, Meister, beide haben einen gewissen unglücklichen Unfall erlitten«, erklärte Frike. »Deshalb bin ich an ihrer Stelle gekommen.«

»Was für einen Unfall?« wollte Azzie wissen.

»Mein Herr«, sagte Frike, »ich habe die Dinge mitgebracht, die zu besorgen Ihr ihnen aufgetragen habt.«

Er griff unter seine Kutte, holte eine Tasche aus dunkelbraunem Rindsleder hervor, entnahm ihr zwei in Sackleinen eingewickelte Gegenstände und faltete den Stoff des ersten Päckchens auseinander. Es enthielt acht Finger und einen Daumen, die säuberlich von der Hand abgetrennt worden waren, vermutlich mit einem Rasiermesser.

»Seht her«, verkündete Frike. »Die Frauenfinger.«

»Sie sind etwas gummiartig«, sagte Azzie. Er untersuchte die Finger und knabberte an einem.

»Es waren die besten, die ich auf die Schnelle beschaffen konnte«, erwiderte Frike.