»Ihr seid etwas voreilig«, wandte Azzie ein. »Was bringt euch auf den Gedanken, daß eure Schwester, die ihr eine Hexe nennt, den ganzen Aufwand wert ist?«
»Der Doktor hat es uns gesagt.«
»Was für ein Doktor ist das?« wollte Azzie wissen.
»Der alte Dr. Parvenü. Er ist außerdem der örtliche Alchemist. Nachdem dieser verrückte Kerl Miranda umgebracht hat und wir sie fortgeschafft hatten, haben wir zuerst Dr. Parvenü gefragt, der ein Experte in diesen Dingen ist. Natürlich erst, nachdem wir Phillipe getötet hatten.«
»Ja, ich weiß von Phillipe, ihrem Verführer«, sagte Azzie. »Und was solltet ihr nach Dr. Parvenüs Anweisungen mit der Leiche eurer Schwester tun?«
»Er hat uns in allen Dingen beraten und uns gesagt, wir sollten ihren Kopf behalten.«
»Wieso?«
»Er hat gesagt, daß eine Schönheit wie die ihre mit Sicherheit einen Dämon anlocken würde!«
Azzie sah keinen Grund, diesen Kerlen zu erklären, was er wirklich mit Mirandas Kopf vorhatte. Er war ziemlich entspannt. Dämonen lernen schon sehr früh, wie man mit dem Flaschentrick umgeht, und diese Burschen wirkten nicht allzu schlau…
»Dieser verrückte Kerl, der Miranda umgebracht hat – wer war er?«
»Wir haben nur gehört, daß er Armand hieß. Keiner von uns hat ihn gesehen, denn als wir das Bordell erreicht hatten, war er schon tot. Nachdem die Leute entdeckt hatten, was er Miranda angetan hatte, waren sie so aufgebracht, daß sie ihn totgeschlagen und seine Leiche in Stücke gerissen haben.«
»Und jetzt wollt ihr den Kopf eurer eigenen Schwester verkaufen?«
»Natürlich! Sie war eine Hure! Was macht es da noch aus, was wir mit ihrem Kopf machen?«
»Ich schätze, ich könnte euch fünf Goldstücke für sie geben«, sagte Azzie. »Es sei denn, ihr Gesicht ist völlig zerschlagen und entstellt.«
»Nicht im geringsten!« beteuerte Ansei. »Sie sieht jetzt noch genauso gut wie zu Lebzeiten aus. Vielleicht sogar noch besser, wenn man den Anblick von Leid und Schmerz mag.«
»Bevor ich kaufe«, gab Azzie zu bedenken, »muß ich sie erst einmal sehen.«
»Das wirst du. Natürlich durch die Flasche!«
»Natürlich«, sagte Azzie. »Bringt sie her.«
Ansei rief seinen Brüdern zu, Mirandas Kopf zu bringen. Chor und Hald eilten in den hinteren Teil des Kellers und kehrten kurz darauf mit dem gewünschten Objekt zurück. Ansei wischte den Kopf an seinem Hemd ab, um die Eiskristalle zu entfernen, bevor er ihn Azzie präsentierte.
Azzie sah, daß Miranda selbst im Tod noch wunderschön war. Die großen traurigen Lippen waren ein wenig geöffnet. Das aschblonde Haar klebte ihr an der Stirn. Ein Wassertropfen glitzerte auf ihrer Wange…
Er wußte sofort, daß ihn sein Instinkt nicht getrogen hatte, sie war wirklich genau diejenige, die er gebraucht hatte.
»Also, was meinst du?« wollte Ansei wissen.
»Sie ist ganz passabel«, erwiderte Azzie. »Laß mich jetzt hier raus, und wir sprechen über den Preis.«
»Wie wäre es, wenn du uns dafür drei Wünsche gewährst?« fragte Ansei.
»Nein«, sagte Azzie.
»Nein? Einfach so?«
»Genau.«
»Kein Gegenangebot?«
»Nicht solange ihr mich in dieser Flasche eingesperrt haltet.«
»Aber wenn wir dich rauslassen, haben wir nichts mehr, womit wir dich unter Druck setzen können.«
»Das stimmt«, bestätigte Azzie.
Ansei und seine Brüder berieten sich flüsternd. Dann kam Ansei zurück. »Meine Brüder meinen, ich soll dir sagen, daß wir einen Beschwörungsgesang kennen, mit dem wir dir das Leben ziemlich schwer machen können.«
»Ach, wirklich?«
»Ja, wirklich.«
»Also dann, nur zu.«
Die drei Brüder begannen zu singen.
»Entschuldigt, Jungs«, unterbrach Azzie, »aber ich fürchte, ihr macht einen Fehler bei einigen Wörtern. Es sollte fantago und nicht fandrago heißen. Nur eine Kleinigkeit, aber bei magischen Zaubersprüchen ist die richtige Betonung absolut unverzichtbar.«
»Komm schon«, beharrte Ansei. »Gewähr uns ein paar Wünsche. Was bedeutet das schon für dich?«
»Ich weiß, ihr glaubt, Dämonen hätten alle möglichen besonderen Fähigkeiten«, sagte Azzie. »Aber das heißt nicht, daß wir sie auch anwenden müssen.«
»Was, wenn wir dich nicht freilassen? Wie würde es dir gefallen, jahrelang in einer Flasche zu schmoren?«
Azzie lächelte. »Habt ihr euch jemals überlegt, was passiert, wenn ein Dämon und die Leute, die ihn gefangen haben, sich nicht auf eine Gegenleistung für seine Freilassung einigen können? Darüber berichten die alten Geschichten nichts, stimmt’s? Denkt jetzt mal vernünftig nach. Glaubt ihr etwa, ich hätte keine Freunde? Früher oder später werden sie mich vermissen und nach mir suchen. Wenn sie mich hier als euren Gefangenen finden… nun, vielleicht könnt ihr euch vorstellen, was sie dann tun würden.«
Ansei dachte darüber nach, und das Ergebnis seiner Überlegungen gefiel ihm ganz und gar nicht. »Warum sollten sie uns irgend etwas antun?« fragte er. »Nach den Regeln der Magie haben wir das Recht, Dämonen zu fangen. Wir haben dich ganz legal und ehrlich erwischt.«
Azzie lachte. Es war ein furchtbares Geräusch, das er für solche Situationen geübt hatte.
»Was wißt ihr armen Trottel denn schon von den Regeln der Magie oder den Gesetzen, die den Umgang mit gefangenen übernatürlichen Geschöpfen regeln? Es wäre besser, wenn ihr euch nur auf menschliche Geschäfte beschränkt. Sobald ihr euch einmal auf übernatürliches Terrain begeben habt, könnt ihr euch nie sicher sein, was als nächstes passieren wird.«
Mittlerweile zitterte Ansei, und seine Brüder machten den Eindruck, als würden sie jeden Moment türmen. »Großer Dämon, ich wollte Euch nicht erzürnen«, versicherte er. »Es ist nur so, daß Dr. Parvenü uns gesagt hat, daß es ganz einfach wäre. Was wollt Ihr von uns?«
»Öffnet die Flasche«, verlangte Azzie.
Ansei und seine Brüder entfernten den Korken. Azzie schlüpfte heraus und machte sich so groß, daß er Ansei, den größten der drei, um einen halben Meter überragte.
»Also dann, meine Kinder«, sagte Azzie. »Was ihr zuerst über den Umgang mit übernatürlichen Kreaturen lernen müßt – im Gegensatz zu den gängigen Überlieferungen – ist, daß sie euch immer hereinlegen werden. Versucht also nie, sie zu überlisten oder zu betrügen. Führt euch zum Beispiel vor Augen, wie ihr mich aus der Flasche herausgelassen habt, als ich völlig hilflos war.«
Die Brüder wechselten einen Blick.
»Ihr meint, wir hatten Euch tatsächlich in unserer Gewalt?« erkundigte sich Ansei nach einer Weile.
»Das ist vollkommen richtig«, bestätigte Azzie.
»Ihr seid unser hilfloser Gefangener gewesen?«
»Genau.«
»Er hat uns reingelegt«, stellte einer der Brüder fest und nickte langsam.
Die drei wechselten erneut einen Blick.
Schließlich räusperte sich Ansei. »Wißt Ihr, großer Dämon, bei Eurer derzeitigen Größe sehe ich keine Möglichkeit, Euch wieder in die Flasche zu stecken. Ich wage sogar die Behauptung, Exzellenz, daß Ihr nicht einmal selbst in sie hineingelangen könntet, auch wenn Ihr es wolltet.«
»Aber du möchtest, daß ich es versuche, nicht wahr?«
»Ganz und gar nicht«, beeilte sich Ansei zu versichern. »Wir stehen Euch völlig zu Diensten. Ich wollte nur, Ihr würdet mir zeigen, daß Ihr es wieder tun könnt.«
»Angenommen, ich zeige es dir, würdest du mich dann nicht betrügen und den Korken wieder festklopfen?«
»Nein, Herr, natürlich nicht.«
»Würdest du darauf schwören?«
»Bei meiner unsterblichen Seele«, beteuerte Ansei.
»Und die anderen?«
»Wir schwören ebenfalls«, erwiderten Chor und Hald.