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Und durch diese Verwirrung hatten die Helden leichtes Spiel mit den Drachen. Die Vorstellung, daß Ritter – Fleischklöße in Metallrüstungen – sie töten könnten, verblüffte die Drachen, denn die Menschen waren so offensichtlich geistig beschränkt und funktionierten nur auf Grund ihrer höfischen Rituale. Die Menschen siegten jedoch, weil sie sich nur auf das Töten konzentrierten, während kein Drache sich nur auf eine bestimmte Sache beschränkte.

Ylith flog in die Gegend von Samarkand und zog in Yar Digi, das dem Drachenfels am nächsten lag, Erkundigungen ein. Es war ein heruntergekommenes schäbiges Dorf, dessen einzige Straße nichts außer Souvenirläden vorzuweisen hatte. Diese Geschäfte quollen geradezu über vor Drachenweisheiten, aber es gab keine Kundschaft. Ylith erkundigte sich nach dem Grund.

»Das liegt daran, daß der lang erwartete Boom für Drachenweisheiten noch nicht eingetreten ist«, erklärte Achmed, der Besitzer eines Buchladens. »Andere Gegenden ziehen die ganze Aufmerksamkeit auf sich. In Britannien beispielsweise, wo sich seit Jahrhunderten keine Drachen mehr geregt haben, finden Führungen mit Reiseleitern an Orten statt, wo es früher einmal Drachen gegeben hat, und dort wird hundertmal mehr Umsatz als bei uns gemacht. Ihr wollt wissen, wo der Drache steckt? Irgendwo dort drüben in seiner Höhle im Drachenfels, zu dem dieser Pfad führt. Aber solange der Drache keinen Besuch wünscht, ist er anscheinend unauffindbar. Und man weiß nie, was passieren könnte, wenn man ihn doch finden sollte. Er ist sehr launisch.«

Ylith ging in die angegebene Richtung und durfte den Pfad betreten, nachdem sie eine Eintrittsgebühr entrichtet hatte. Sie folgte dem Weg, der mehrere Biegungen beschrieb, kam an einem kleinen Erfrischungsstand vorbei und erreichte dann den Drachenfels selbst. Nirgendwo konnte sie irgend etwas entdecken, das einer Höhle ähnelte.

Sie blieb erst stehen, als sie ein dumpfes, hallendes Kichern vernahm.

»Skander?« rief sie.

Das Geräusch wiederholte sich.

»Ich bin’s, Ylith!«

Plötzlich bemerkte sie eine schattige Stelle zwischen zwei Felsblöcken, die vielleicht mehr als nur ein Schatten war. Sie näherte sich ihm und sah, daß der Schatten in die Tiefe führte und dunkler wurde. Ylith ging weiter.

Sie wußte nicht mit Sicherheit, an welchem Punkt sie die Grenze überschritten und die Finsternis im Inneren des Hügels betreten hatte, aber nach einer Weile überzeugte sie das Echo ihrer Schritte davon, daß sie sich wirklich im Drachenfels selbst befand.

»Skander?« rief sie erneut.

Noch immer erfolgte keine Antwort, doch nun bemerkte Ylith einen schwachen Lichtschimmer schräg rechts vor sich. Sie folgte ihm um eine Biegung, betrat einen Höhlenabschnitt, in dem das Gestein über ihr und zu beiden Seiten aus sich heraus zu leuchten schien, und beschleunigte ihre Schritte. Der Gang verzweigte sich mehrmals, und jedesmal folgte sie dem helleren Pfad.

Nach geraumer Zeit erreichte sie ein Gewölbe, in der die dunkle schuppige Gestalt, die sie gesucht hatte, auf dem Boden lag und sie anstarrte. Wären Skanders Augen nicht gewesen, hätte sie ihn in seiner Reglosigkeit vielleicht übersehen. Direkt unter dem Eingang des Gewölbes blieb sie nervös stehen.

»Skander, ich bin’s, Ylith«, sagte sie.

Er legte den Kopf schief und kniff die Augen ein wenig zusammen.

»Ja, du bist es tatsächlich«, stellte er dann fest. »Wie lange ist es her?«

»Ziemlich lange. Was tust du?«

»Ich habe von der Renaissance geträumt.«

»Was ist eine Renaissance?«

»Entschuldige, ich bringe wohl die Jahrhunderte durcheinander«, erwiderte Skander. »Die Renaissance kommt erst später. Das ist das Problem mit dem Wissen um die Zukunft. Man kann nicht mehr heute von morgen unterscheiden.«

»Skander, ich brauche Hilfe«, sagte Ylith.

»Das habe ich mir gedacht«, gab der Drache zurück. »Was sollte dich sonst an diesen abgelegenen Ort führen? Was willst du, meine Liebe? Mein altes Feuer ist noch ganz schön heiß. Möchtest du, daß ich irgend jemanden für dich röste?«

»Ich brauche Augen«, antwortete Ylith und berichtete von Azzie, seinem Märchenprinzen und seiner Prinzessin Rosenrot.

»Augen«, murmelte Skander, und seine Haut, die normalerweise rötlichbraun war, nahm einen kalkweißen Farbton an. Ylith hatte ihn gerade an eine alte Prophezeiung erinnert.

»Warum bleibst du in dieser Höhle?« wollte Ylith wissen.

»Es ist das Verlangen nach Ruhm«, sagte Skander. »Die Einheimischen werden mich berühmt machen. Ich habe versprochen, dafür zu sorgen, daß dieser Ort auf den Landkarten verzeichnet wird. Es ist noch nicht passiert, aber es wird geschehen.«

»Wo kann ich ein paar wirklich gute Augen bekommen?« fragte Ylith.

»Augen«, sinnierte Skander. »Nun, Augen gibt es überall. Wieso machst du dir die Mühe, mich danach zu fragen?«

»Du weißt, wo es die besten gibt. Alle Drachen wissen das.«

»Ja, natürlich«, bestätigte Skander. »Aber ich würde es wirklich vorziehen, nicht über Augen zu sprechen, falls es dir nichts ausmacht.«

»Du möchtest nicht über Augen sprechen?«

»Nur so ein Aberglaube, schätze ich. Tut mir leid.«

»Möchtest du mir nicht davon erzählen?«

»Na schön«, sagte der Drache. »Vor langer Zeit in China war mir aufgefallen, daß der Hofmaler bei allen seinen Drachenbildern die Augen immer erst ganz zum Schluß gemalt hat. Als ich ihn darauf ansprach, erklärte er mir, daß diese Maltechnik den Bildern ein ganz besonderes Leben verleihen würde und es keinen Sinn hätte, dieses Leben herbeizurufen, bevor alles andere erledigt wäre. Ein weiser Mann hätte ihm erzählt, daß die Augen meinesgleichen der Brennpunkt des Geistes seien. Sie enthalten das Leben, und sie sind das letzte, das stirbt. Später habe ich diesen weisen Mann aufgesucht, einen alten taoistischen Mönch, und er hat mir versichert, daß es stimmt. Er hat mir außerdem prophezeit, daß eine Hexe, die sich bei mir nach Augen erkundigt, die völlige Umkehrung von Yin und Yang bedeuten würde.«

»Was bedeutet das?«

»Rosebud…«, erwiderte Skander und schloß die Augen.

Ylith wartete, aber er sprach nicht weiter. Nach einer Weile räusperte sie sich. »Äh, Skander? Was dann?«

Sie erhielt keine Antwort.

»Schläfst du, Skander?«

Schweigen.

Schließlich trat sie an ihn heran und hielt ihm eine Hand vor die Nüstern. Sie konnte keinen Atem spüren. Sie kam noch näher und schob die Hand zwischen seine Brustschuppen. Kein Herzschlag.

»O nein!« stieß sie hervor. »Was nun?«