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Der Märchenprinz zeigte ein beachtliches Talent im Umgang mit der Klinge. Sein Rumpf und der rechte Arm hatten einem äußerst begabten Schwertkämpfer gehört. Diese Begabung wurde deutlich, wenn der Prinz attackierte und parierte oder sich mit wirbelnder und blitzender Klinge zurückzog. Selbst Azzie, der beileibe kein schlechter Fechter war, geriet durch die ungestümen Angriffe und die klugen Finten seines Schützlings manchmal in arge Bedrängnis.

Aber der Prinz schien von seinem Wesen her einfach nicht fähig zu sein, einen einmal errungenen Vorteil auszunutzen und nachzusetzen. Azzie, der eine alte Übungstunika trug und lediglich seinen Oberköper durch einen schwachen Schwertabwehrzauber geschützt hatte, ging immer wieder die grundlegenden Manöver mit dem Märchenprinzen durch.

»Komm schon!« keuchte er, während sie sich auf dem schattigen Übungsplatz hinter dem Anwesen gegenüberstanden. »Ein bißchen mehr Eifer! Greif mich an!«

»Ich möchte dich nicht verletzen, Onkel«, sagte der Prinz.

»Du wirst mich nicht erwischen, glaub mir. Los jetzt, greif mich an!«

Der Prinz versuchte es, aber seine angeborene Feigheit stand ihm dabei im Weg. Jedesmal, wenn er nahe genug an Azzie herangerückt war, um einen tödlichen Hieb anbringen zu können, zögerte er, und der gewandte Dämon konnte die Deckung seines Gegners durchbrechen und einen Treffer landen.

Noch schlimmer aber war, daß die Geschicklichkeit des Märchenprinzen sich jedesmal in Luft auflöste, wenn Azzie mit wildem Geschrei und stampfenden Füßen angriff. Dann wirbelte der Prinz herum und floh.

Frike schüttelte den Kopf, während er die Übungen verfolgte. Wer hätte gedacht, daß ein einziges kleines Körperteil, das Herz eines Feiglings, den gesamten Körper des Märchenprinzen würde beherrschen können?

Azzie probierte die verschiedensten ihm zur Verfügung stehenden Zaubersprüche aus, um den Prinzen mit Mut zu erfüllen, aber irgend etwas Hartnäckiges in dem Jüngling schien sowohl gegen Ermahnungen als auch gegen Zaubersprüche immun zu sein.

Wenn sie nicht gerade kämpften oder Sport trieben, zog sich der Märchenprinz in ein Erkertürmchen am äußersten Ende von Azzies Anwesen zurück. Trotz seines vielversprechenden männlichen Aussehens spielte er liebend gern mit Puppen, die er ankleidete und an einer kostbar gedeckten Tafel Tee trinken ließ. Azzie dachte daran, ihm die Puppen wegzunehmen, aber Frike riet ihm davon ab.

»Junge Männer zerbrechen oftmals daran, wenn man ihnen ihr kindliches Vergnügen verwehrt«, warnte er. »Der Prinz ist jetzt schon unsicher genug, ohne daß Ihr ihm seine Puppen fortnehmt.«

Azzie sah sich gezwungen, dem zuzustimmen. Ihm war klar, daß hier etwas geschehen mußte. Vorher aber brauchte er unbedingt ein Zauberschwert.

Die Abteilung für Ausrüstung und Zubehör hatte vor scheinbar einer Ewigkeit versprochen, eins zu besorgen, die richtige Waffe bisher aber nicht auftreiben können. Natürlich verfügte sie über eine Menge Schwerter mit gewissen positiven Eigenschaften, aber keins davon besaß ausreichende Zauberkräfte, um jeden Wächter durchbohren, einen Drachenpanzer durchdringen und den Weg tief ins Herz des Feindes finden zu können. Alle bekannten Zauberschwerter befanden sich bereits im Besitz anderer Helden, da Azzies Inszenierung nicht die einzige war, die zur Zeit stattfand. Er wies in diesem Zusammenhang auf die besondere Bedeutung seines Falls hin, dessen Ausgang über nicht weniger als das Schicksal des Bösen während der nächsten tausend Jahre entscheiden würde.

»Na klar«, lautete die Antwort aus der Abteilung, »das sagen sie alle. ›Schrecklich wichtig, äußerster Vorrang, glauben Sie mir‹, das haben wir alles schon tausendmal gehört.«

»Aber in diesem Fall ist es wirklich die Wahrheit!«

Der Angestellte der Abteilung lächelte freudlos. »Natürlich ist es die Wahrheit, genau wie bei allen anderen auch.«

Azzie beschloß, die Ausbildung an Frike zu übergeben, vor dem der Märchenprinz etwas weniger Angst zu haben schien. In der Zwischenzeit würde er dem Schloß der Prinzessin Rosenrot einen Besuch abstatten und sich vom Stand der Vorbereitungen überzeugen.

Er landete am Rand des verzauberten Waldes. In diesen Teil seines Plans hatte er viel Zeit und Mühe investiert, und die Versorgungsabteilung hatte seine Vorstellungen einigermaßen befriedigend umgesetzt.

Azzie spähte von draußen in den Wald hinein, der grün und voller Unterholz war, so wie ein Wald eben auszusehen hat. Kaum hatte er ihn betreten, begannen die Bäume sich zu bewegen. Ihre Äste sanken langsam herab, um ihn zu packen und festzuhalten. Es fiel ihm nicht schwer, ihnen zu entgehen. Eigentlich enthielt der Wald nicht die angemessene Ausstattung mit Fabeltieren und anderen seltsamen Kreaturen, und die Äste bewegten sich so langsam, daß ihnen selbst ein Einfaltspinsel wie der Märchenprinz problemlos würde ausweichen können. Verdammt noch mal, dachte Azzie. Warum machte ihm die Abteilung nur solche Schwierigkeiten?

Voller Wut flog er nach Augsburg zurück, um nachzusehen, welche Fortschritte Frike mit der Ausbildung machte.

Er fand seinen Diener auf der Treppe zum Vordereingang, wo der Bucklige einen Apfel aß.

»Was ist los?« erkundigte sich Azzie. »Warum übst du nicht mit ihm?«

Frike zuckte die Achseln. »Er hat gesagt, er hätte die Nase voll, und er hätte geschworen, kein Lebewesen zu töten. Wenn man seinen Worten Glauben schenken darf, ist er Vegetarier geworden und trägt sich mit dem Gedanken, einem Mönchsorden beizutreten.«

»Das ist jetzt endgültig zuviel«, stöhnte Azzie.

»Ganz Eurer Meinung«, stimmte Frike ihm zu. »Aber was könnt Ihr dagegen tun?«

»Ich brauche sofort den Rat eines Experten«, sagte Azzie. »Lauf und hol mir mein Zauberpulver und mein Reiseamulett. Es wird Zeit, daß ich eine Beschwörung durchführe.«

KAPITEL 5

Am Anfang funktionierten Azzies Zauber Sprüche nicht. Was er auch versuchte, Hermes wollte einfach nicht erscheinen. Dann probierte er es mit Hilfe der großen Kerzen, die aus dem Talg von Toten bestanden und die er sich für wirklich schwierige Situationen aufbewahrt hatte. Und diesmal spürte er, daß seine Beschwörung funktionierte. Er verstärkte sie. Die Kraft jagte durch den Äther, wirbelte durch den Riß zwischen den Welten und schnüffelte herum wie ein Spürhund. Schließlich hörte Azzie eine brummende Stimme sagen: »Schon gut, ich bin ja schon wach«, und kurz darauf tauchte die heroische marmorweiße Gestalt von Hermes vor ihm auf. Der Gott kämmte noch immer sein langes braunes Haar und wirkte mehr als nur ein bißchen ungehalten.

»Mein lieber Azzie, du solltest es eigentlich besser wissen, als einen solchen Dringlichkeitszauber zu benutzen, um mich herbeizurufen. Wie du weißt, haben auch wir Geistberater unser privates Leben. Es ist nicht angenehm, alles fallen und liegen lassen zu müssen, um dem Ruf eines jungen Dämons wie dir zu folgen.«

»Es tut mir leid«, versicherte Azzie. »Aber du hast dich in der Vergangenheit mir gegenüber immer so großzügig gezeigt… und jetzt stehe ich vor einem sehr schwierigen Problem.«

»Na schön, dann laß mal hören«, sagte Hermes. »Ich nehme nicht an, daß du zufällig irgendwo ein Glas Jauche auf treiben kannst.«

»Aber sicher«, erwiderte Azzie. Er schenkte einen Pokal voll, der aus einem kompakten Amethyst herausgeschnitzt war, und berichtete über seine Probleme mit dem Märchenprinzen, während Hermes an seiner Jauche nippte.

»Mal sehen…«, murmelte der Gott. »Ja, ich erinnere mich an einige alte Schriften zu diesem Thema. Was dein Märchenprinz tut, wird als das klassische ›Held-verweigert-Heldentat-Syndrom‹ bezeichnet.«

»Ich wußte gar nicht, daß Helden so etwas tun können«, bekannte Azzie.

»Oh, doch. Dieses Verhalten ist sogar recht weit verbreitet. Weißt du irgend etwas über die Familie deines Helden?«