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Azzie zügelte seine Ungeduld. »In Ordnung, nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst. Sag mir Bescheid, wenn du dich entschieden hast.«

Der Wurm antwortete nicht.

»Geht das in Ordnung?« fragte Azzie.

»Geht was in Ordnung?«

»Daß du mir Bescheid sagst, wenn du dich entschieden hast.«

»Das scheint mir in Ordnung zu sein«, sagte der Wurm. »Aber setz nicht alle Hoffnung darauf.«

»Mach dir deswegen keine Sorgen. Ich werde warten.«

Und so wartete Azzie und drehte weiter das Rad. Er konnte hören, wie sich der Wurm leise in der Höhle bewegte, mal auf der Oberfläche, mal unter Erde und Geröll. Die Zeit verstrich. Azzie wußte nicht, wie lange es dauerte. Es kam ihm furchtbar lange vor. Außerdem störte ihn, daß er einen Juckreiz an der Brust verspürte. Ein Jucken ist äußerst ärgerlich, wenn man an den Händen gefesselt ist. Mit der Zeit fand Azzie heraus, daß er seine Brust mit dem Schwanz erreichen konnte, wenn er den Oberkörper weit nach hinten krümmte. Er kratzte sich behutsam, da sein Schwanzende sehr spitz war.

Es war ein herrliches Gefühl. Ärgerlicherweise aber war ihm irgend etwas im Weg, so daß er sich nicht ausgiebig kratzen konnte. Vorsichtig tastete er mit der Schwanzspitze nach dem Hindernis. Ja, da war es. Er zog es mit dem Schwanz unter seiner Kleidung hervor und hob es langsam an, bis er es sehen konnte. Es war ein paar Zentimeter lang und schien aus Metall zu bestehen.

»Ich denke immer noch nach«, meldete sich der Wurm wieder.

»Das ist gut«, erwiderte Azzie. Er senkte den Kopf und hob das Band, an dem der Gegenstand hing, darüber hinweg. Dann führte er es seitlich zu einer seiner gefesselten Hände und berührte es mit den Fingerspitzen, nachdem er vorsorglich die Klauen eingezogen hatte. Es schien ein Schlüssel zu sein. Ja, es war ein Schlüssel! Jetzt erinnerte er sich wieder. Er hatte sich einen Ersatzschlüssel des Anwesens um den Hals gehängt, um ihn nicht verlieren zu können, wie oft er auch die Kleidung wechselte. Es war ein gewöhnlicher Schlüssel, in dessen Griff ein kleiner roter Edelstein eingearbeitet war. Und in diesem Edelstein, fiel ihm jetzt wieder ein, befand sich ein kleiner Zauber, den er dort plaziert und später vergessen hatte.

»Wie heißt du, und was kannst du tun?« fragte er den Zauber.

»Ich heiße Dirigan«, klang ein leises Stimmchen aus dem roten Edelstein auf. »Ich öffne, was verschlossen ist.«

»He, das ist großartig«, sagte Azzie. »Wie steht’s damit, meine Fesseln zu lösen?«

»Laßt mich einen Blick darauf werfen«, erwiderte Dirigan.

Azzie führte den Schlüssel mit der Schwanzspitze über seine gefesselten Hände. Das Licht in dem Edelstem pulsierte sanft und sandte einen rötlichen Schimmer aus.

»Ich denke, das kann ich erledigen.« Der Stein glühte heller und erlosch dann wieder. Die Handfesseln lösten sich.

Azzies Hände waren frei. »Und jetzt führ mich hier raus«, verlangte er.

Der Wurm hob seinen plumpen Kopf und sagte: »Ich denke immer noch nach.«

»Ich habe nicht mit dir gesprochen«, erwiderte Azzie.

»Oh, auch gut. Ich habe mich nämlich noch nicht entschieden.«

»Womit auch?« murmelte Azzie. Nachdem seine Hände wieder frei waren, fühlte er sich stark und unternehmungslustig. Er trat aus dem Laufrad. Sollte die Drachenscheiße herabregnen! Sie würde ihn nicht mehr treffen.

»Und jetzt«, sagte er, »suchen wir einen Ausgang. Zauber, gib mir Licht!«

Der Edelstein pulsierte heller und warf Schatten an die Höhlenwände. Azzie marschierte los, bis er zu einer Gabelung kam, an der fünf Gänge in ebensoviele verschiedene Richtungen abzweigten.

»Welchen Weg soll ich nehmen?« fragte er den Edelstein.

»Woher soll ich das wissen?« fragte der Stein zurück. »Ich bin nur ein unbedeutender kleiner Zauber. Und jetzt bin ich aufgebraucht.«

Das Licht verdämmerte, bis es vollständig erloschen war.

Azzie hatte schon von diesen unterirdischen Weggabelungen der Zwerge gehört. Sie stellten eine große Gefahr dar, denn oft waren die Tunnelböden untergraben, so daß man in sie einbrechen konnte. Darunter befanden sich schmutzige Gruben voller widerlicher Dinge. Wenn er in eins dieser Löcher fiel, würde er vielleicht nie mehr herauskommen. Und das schlimmste daran war, daß Azzie wie die meisten Dämonen praktisch unsterblich war. Er könnte Jahrhunderte oder sogar für alle Ewigkeit in der tiefsten Grube feststecken, lebendig, aber zu Tode gelangweilt, wenn niemand erschien, um ihn herauszuholen. Man erzählte sich Geschichten über Dämonen, die durch das eine oder andere Mißgeschick verschüttet worden waren. Einige waren angeblich seit Anbeginn der Zeiten unter der Erde gefangen.

Als sich Azzie wieder in Bewegung setzte, hörte er, wie der Wurm über den Boden schabte und sagte: »Das ist nicht der richtige Weg.«

Azzie machte kehrt und fragte: »Welche Richtung soll ich einschlagen?«

»Ich habe mich immer noch nicht entschieden, ob ich dir helfen soll«, erwiderte der Wurm.

»Dann solltest du es dir lieber ganz schnell überlegen«, riet ihm Azzie, »denn mein Angebot gilt nicht ewig.«

»Oh, na schön«, sagte Tom Wurmbrut. »Ich denke, ich helfe dir. Nimm den Tunnel ganz rechts.«

Azzie hatte den Tunnel kaum betreten, als der Boden unter seinen Füßen nachgab. Er brach ein und fand gerade noch die Zeit zu brüllen: »Aber du hast gesagt, dieser Tunnel wäre sicher!«

»Ich habe gelogen!« schrie der Wurm zurück. »Ha, ha!«

Azzie stürzte, doch es war nur ein kurzer Sturz, kaum zwei Meter tief. Und als er gelandet war, sah er eine Metalltür rechts neben sich, auf der in schwach phosphoreszierenden Buchstaben AUSGANG stand.

Er öffnete sie fluchend und schob sich hindurch.

KAPITEL 13

In Augsburg rang Frike die Hände und lief ruhelos im Vorhof des Anwesens auf und ab, während er den Himmel nach einem Anzeichen für die Rückkehr seines geliebten Gebieters absuchte. Schließlich entdeckte er einen winzigen dunklen Punkt, der schnell größer wurde und sich als Azzie entpuppte.

»O Meister, endlich seid Ihr zurückgekehrt!«

»So schnell ich konnte«, sagte Azzie. »Ich bin von einer Zwergenfamilie, einer Ladung Drachenmist, einem Arbeitsrad und einem schizophrenen Wurm aufgehalten worden. Ich hoffe, du hast deine Zeit ebenso angenehm verbracht und auf den Märchenprinzen aufgepaßt.«

Frike verzog bekümmert das Gesicht. »Ich habe auf ihn so gut ich konnte aufgepaßt. Drachenmist?«

»Drachenmist? Hat er gegen mein Verbot verstoßen, das abgeschlossene Zimmer zu betreten?«

»Das hat er, Gebieter.«

»Und hat er die kleine verschlossene Truhe in der obersten Schublade meines Schreibtischs in dem Geheimzimmer gefunden?«

»Er ist zielstrebig darauf zugegangen, Meister.«

»Hat er sie geöffnet und das Miniaturgemälde von Prinzessin Rosenrot entdeckt?«

»Auch das hat er getan, Gebieter.«

»Warum erzählst du mir dann nicht endlich mit deinen eigenen unbeholfenen Worten, was anschließend passiert ist?«

»Nun, Herr, der Prinz hat das Gesicht der Prinzessin betrachtet, den Blick abgewandt und es dann wieder betrachtet. Er hat das Bild in der linken Hand gehalten und sich nachdenklich mit der rechten an den Lippen gezupft. Er hat sich geräuspert und ›äh-hm, äh-hm‹ gemacht, wie ein Mann, der das Bedürfnis verspürt, irgend etwas zu sagen, aber nicht weiß, was er sagen soll. Dann hat er das Bild ganz vorsichtig hingelegt, sich umgedreht und ist ein oder zwei Schritte weit gegangen, bevor er umgekehrt ist und es wieder aufgehoben hat. Danach hat er es wieder weggelegt, das Gesicht abgewandt und ganz leicht an seiner Oberlippe gezupft, diesmal mit der linken Hand…«

»Das ist eine wundervoll genaue Beschreibung, Frike«, unterbrach ihn Azzie, »aber könntest du langsam mal auf den Punkt kommen?«