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Azzie war sich dieses Ablaufs so sicher, daß er jetzt hinter dem Vorhang hervortrat, zu Rosenrot ging und mit triefender Ironie sagte: »Der Himmel findet Mittel und Wege, deine Leidenschaft durch Liebe zu töten; doch die Welt ist dir nicht freundlich gesonnen, noch sind es deine weltlichen Gesetze.«

Man stritt sich noch lange Zeit später darüber, warum dem Plan kein Erfolg beschieden gewesen war. Nach Azzies Ansicht, was die Wechselwirkung zwischen seinen Protagonisten betraf, hätte Rosenrot zwangsläufig den Dolch ergreifen und in den ungeschützten Rücken des jungen Prinzen rammen müssen. Doch die wunderbare Unberechenbarkeit des Lebens machte ihm einen Strich durch die Rechnung.

Was Azzie nicht einkalkuliert hatte, war die Auswirkung, die Rosenrots Augen mit sich brachten. Wenn sie auch nicht wie die Augen des Märchenprinzen die Fähigkeit besaßen, die Wahrheit zu erkennen, konnten sie doch Trivialität und Künstlichkeit sehen. Und die erkannte Prinzessin Rosenrot, als sie sich vorstellte, was für ein Bild sie, der Märchenprinz und der vergiftete Dolch abgaben. Ihre Künstleraugen sahen die Künstlichkeit der Komposition. Das war keine gute Szene für einen Maler, der seine Bilder dem wirklichen Leben entlehnt. Sie rebellierte aus künstlerischen Gründen dagegen, den Dolch in das vorgesehene Ziel zu stoßen, und danach folgten ihre Gefühle ihrem ästhetischen Empfinden.

»Wovon sprichst du?« fragte sie.

»Du hättest ihn nicht töten dürfen«, erwiderte Azzie. »Du hast dich gerade selbst zu ewigen Höllenqualen verdammt, junge Dame.«

Rosenrot brach in Gelächter aus.

»Du wagst es, mich auszulachen? Ich werde dir zeigen…«

Eine zweite Stimme fiel in das Gelächter ein. Sie gehörte dem Märchenprinzen, der neben der Prinzessin stand und einen Arm um ihre Hüfte gelegt hatte.

Der Märchenprinz war nicht tot! Der Dolch hatte seine verderbliche Aufgabe nicht erfüllt! Azzie wich verwirrt zurück.

Die beiden lebten, und irgendwie hatte die Liebe über Azzies Fluch triumphiert. Als das aus Engeln und Dämonen bestehende Publikum diese beiden schönen jungen Menschen so vereint sah, war es gerührt, und kein Auge blieb tränenleer.

»Das ist es nicht, was ich vorgesehen habe!« schrie Azzie unbeherrscht. »Das ist überhaupt nicht so, wie ich es gewollt habe!«

Aber genau das war es, was er geschaffen hatte: eine fröhliche kleine Geschichte über Liebe und Erlösung, die überall Gefallen fand und so dafür sorgte, daß das Gute und nicht das Böse den Sieg davontrug und damit das Recht errang, für die nächsten tausend Jahre über das Schicksal der menschlichen Seelen zu bestimmen.

FEIERN

KAPITEL 1

Yliths schlanke Finger klopften an die Tür zu Azzies alchemistischem Labor.

»Azzie? Ich weiß, daß du da drinnen bist.«

Keine Antwort. Babriel, der neben ihr stand, sagte: »Ich denke, wir sollten es lieber noch einmal probieren.«

Ylith war der gleichen Meinung. »Azzie, komm schon! Laß mich rein! Babriel und ich sind hier. Wir wissen, daß du eine schwere Enttäuschung erlebt hast. Wir sind deine Freunde und wollen bei dir sein.«

Es folgte ein rauhes schabendes Geräusch, als das Stahlrohr, das als Türriegel diente, zurückgezogen wurde. Die verstärkte Holztür öffnete sich einen schmalen Spalt weit, und Frikes langnasiges Gesicht lugte hervor.

»Ist dein Gebieter da, Frike?« fragte Ylith.

»O ja. Er ist hier. Aber ich würde an Eurer Stelle lieber nicht in seine Nähe kommen. Er ist ziemlich übler Laune. In diesem Zustand wäre es nicht undenkbar, daß er jemandem etwas antut.«

»Unsinn!« entgegnete Babriel energisch. »Ich möchte mit ihm sprechen!« Er schob sich gewaltsam durch die Tür.

Azzie saß auf einem kleinen Thron, den er in einer Ecke des Labors aufgestellt hatte. Er trug seinen purpurfarbenen Umhang und eine orangenfarbene Baskenmütze, die er über ein Auge herabgezogen hatte. Das andere Auge war blutunterlaufen. Er sah furchtbar aus. Jauchekannen und Flaschen lagen überall auf dem Boden verstreut herum. In bequemer Reichweite standen noch etliche volle Flaschen auf einem Regal.

»Kommen Sie, Azzie«, sagte Babriel. »Sie haben einen sehr guten Wettkampf bestritten. Denken Sie daran, es zählt nicht, ob man gewinnt oder verliert. Es kommt nur darauf an, wie man das Spiel spielt.«

»Das haben Sie völlig falsch verstanden«, gab Azzie zurück. »Was zählt, ist der Sieg. Wie man das Spiel spielt, ist absolut bedeutungslos.«

Babriel zuckte die Achseln. »Tja, andere Regeln, andere übernatürliche Schwerpunkte, nehme ich an. Aber Sie sollten jetzt wirklich mit dem Trinken aufhören, Alter. Lassen Sie mich Ihnen helfen.« Er streckte Azzie die Hand entgegen.

Azzie ergriff sie mit einer Hand und versuchte, sie mit der anderen zu zerkratzen. Babriel wehrte ihn geschickt ab und zog ihn hoch.

»Was spielt es denn letztendlich für eine Rolle, wer gewinnt, Alter?« fragte er.

Der Dämon starrte den Engel an. »Habe ich gerade richtig gehört?«

»Ja, natürlich. Ich meine, als Kreaturen des Lichtes und der Finsternis müssen wir in langfristigen Bahnen denken. Wir alle dienen dem Leben, dem Tod, der Intelligenz und all den anderen übernatürlichen Mächten.«

»Ich hätte nicht verlieren dürfen«, beschwerte sich Azzie. »Das lag nur daran, daß ich keine vernünftige Unterstützung von den Mächten der Finsternis bekommen habe. Selbst Sie, Babriel, mein Gegenspieler, haben mir mehr geholfen als meine eigenen Leute. Das ist das Problem mit dem Bösen. Es ist nicht kooperativ, nicht einmal in seinen eigenen Reihen.«

»Nehmen Sie es nicht so schwer«, sagte Babriel. »Kommen Sie mit uns, Azzie. Wir gehen zum Preisverleihungsbankett und amüsieren uns ein bißchen.«

»O ja, natürlich«, knurrte Azzie. »Das verfluchte Bankett. In Ordnung, ich werde gleich kommen. Gehen Sie schon einmal voraus. Ich muß vorher noch ein paar Kleinigkeiten erledigen. Wie geht es mit dieser gotischen Wie-auch-immer-das-Ding-heißen-mag voran?«

»Der Glockenturm wird gerade fertiggestellt«, erwiderte Babriel.

»Wissen Sie, wir sollten wirklich irgend etwas Nettes für den Märchenprinzen tun«, sagte er im Hinausgehen zu Ylith, »ich meine, als Anerkennung dafür, wie wunderbar er seine Rolle gespielt hat.«

»Das ist eine hübsche Idee«, stimmte ihm Ylith zu.

Azzie knirschte mit den Zähnen.

Nachdem die beide verschwunden waren, rief er Frike zu sich. »Hast du schon mal so einen Schwachsinn gehört?« fragte er.

»Was für einen Schwachsinn, Meister?«

»Wie den, den meine sogenannten Freunde da verzapfen. Hast du gehört, was sie gesagt haben? So ein Blödsinn! Kannst du dir das vorstellen? Sie wollen den Märchenprinzen dafür belohnen, daß er seine Sache so gut gemacht hat.«

»Ja, Herr«, sagte Frike. »Wirklich sehr lustig, ha, ha.«

»Ganz meine Meinung«, knurrte Azzie. »Also, ich denke, wir sollten dem guten Prinzen ebenfalls eine kleine Anerkennung für seinen Beitrag daran zukommen lassen, mein Drama verpfuscht zu haben, indem wir ihm das Leben nehmen, das mein Geschenk an ihn war. Allerdings kann ich ihn nicht selbst töten, jedenfalls nicht direkt. Es gibt da gewisse Regeln, dämliche Regeln zwar, aber sie existieren nun einmal und verbieten es einem Dämon, grundlos über Menschen herzufallen und sie abzuschlachten.«