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»Du hast die alte Frau bezahlt«, wandte Hermes ein.

»Das war Zaubergold. Es verschwindet nach einem oder zwei Tagen wieder. Wenn ich mich für den Wettkampf bewerben will, brauche ich richtiges Geld.«

»Ich weiß, wo es welches gibt«, sagte Hermes.

»Wo? Wie viele Drachen muß ich erschlagen, um an das Geld heranzukommen?«

»Überhaupt keine Drachen. Du mußt nur alle Teilnehmer an der Gründertagspokerrunde besiegen.«

»Poker!« keuchte Azzie. »Meine große Leidenschaft! Wo und wann findet das Spiel statt?«

»In drei Tagen auf einem Friedhof in Rom. Aber du mußt besser als beim letzten Mal spielen, sonst wirst du für ein paar hundert Jahre in die Grube zurückkehren. Um es präziser auszudrücken, du brauchst etwas, das die Spieler später einmal eine Masche nennen werden.«

»Eine Masche? Was ist das?«

»Irgendein Mittel, das dir hilft zu gewinnen.«

»Bei diesen Spielen gibt es Beobachter, um Betrügereien zu verhindern«, gab Azzie zu bedenken.

»Vollkommen richtig. Allerdings gibt es kein Gesetz gegen einen Glücksbringer, weder ein himmlisches noch ein höllisches.«

»Aber Glücksbringer sind äußerst selten. Wenn ich doch nur einen hätte!«

»Ich kann dir sagen, wo du einen finden kannst. Aber du wirst einige Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen müssen, um ihn zu bekommen.«

»Rück schon raus damit, Hermes!«

»Während meiner nächtlichen Streifzüge durch Troyes und die Umgebung«, erklärte Hermes, »habe ich eine Stelle am Rande des Waldes westlich von hier entdeckt, wo eine kleine orangefarbene Blume wächst. Die Leute hier kennen sie nicht. Sie heißt Speculum und gedeiht nur in der Nähe von Felixit.«

»Es gibt Felixit hier in der Gegend?« fragte Azzie voller Verwunderung.

»Das mußt du schon selbst herausfinden«, sagte Hermes. »Aber alle Anzeichen sprechen dafür.«

KAPITEL 5

Azzie bedankte sich bei Hermes und machte sich auf den Weg. Er wanderte durch ein Feld zu dem Wald, der die Stadt umgab, und fand die seltene Blume, eine kleine und unscheinbare Pflanze. Nachdem er an ihr gerochen hatte (der Duft der Speculum ist betörend), bückte er sich und legte ein Ohr auf den Boden. Sein übernatürlich gutes Gehör verriet ihm, daß sich irgend etwas unter der Erde unablässig bewegte und rhythmisch klopfte. Wie nicht anders zu erwarten, war es das charakteristische Geräusch, das ein Zwerg verursacht, der mit Picke und Schaufel einen Tunnel gräbt. Die Zwerge wissen nur zu gut, daß sie sich durch die Geräusche ihrer Grabungen verraten, aber was sollen sie tun? Ein Zwerg muß nun einmal buddeln, um sich lebendig zu fühlen.

Azzie stampfte mit dem Fuß auf und sank in den Boden. Die meisten europäischen und arabischen Dämonen beherrschen diese Fähigkeit. Unter der Erde zu leben ist genauso natürlich für sie, wie es für die Menschen natürlich ist, auf der Erde zu leben. Dämonen empfinden die Erde ähnlich wie Wasser. Sie können durch sie hindurchschwimmen, auch wenn sie es eindeutig vorziehen, durch Tunnel zu laufen.

Es war kühl unter der Erde. Das Fehlen von Licht hinderte Azzie nicht daran, seine Umgebung durch eine Art dämmriger Infrarotsicht recht gut zu erkennen. Und es ist ziemlich angenehm im Untergrund. Knapp unter der Oberfläche gibt es Maulwürfe und Spitzmäuse, und durch die unterschiedlich dichten Erdschichten kriechen noch eine Menge anderer Geschöpfe.

Schließlich kam Azzie in einer großen Höhle heraus. Phosphorisierendes Felsgestein verströmte ein schwaches Glimmen, und am anderen Ende der Höhle entdeckte er einen einzelnen Zwerg nordeuropäischer Herkunft, der einen maßgeschneiderten Anzug aus grünem und rotem Maulwurfsieder trug, dazu winzige kniehohe Stiefel aus Geckohaut und eine kleine Kappe aus Mäusefell auf dem Kopf.

»Ich grüße dich, Zwerg«, sagte Azzie und richtete sich so weit auf, wie es die felsige Decke zuließ, um den Zwerg einschüchternd zu überragen.

»Sei gegrüßt, Dämon«, erwiderte der Zwerg. Er klang nicht gerade sonderlich erfreut darüber, einem solchen Exemplar zu begegnen. »Unterwegs auf einem kleinen Spaziergang, was?«

»Könnte man so sagen. Und du?«

»Ich komme nur zufällig auf der Durchreise hier vorbei«, sagte der Zwerg. »Unterwegs zu einer Wiedersehensfeier in Antibes.«

»Tatsächlich?« fragte Azzie.

»Aber ja.«

»Warum hast du dich dann hier aufgehalten und gegraben?«

»Ich? Gegraben? Nicht daß ich wüßte.«

»Und was hast du dann mit dieser Picke in deiner Hand getan?«

Der Zwerg senkte den Blick und schien erstaunt zu sein, die Picke in seiner Hand zu entdecken. »Ich habe nur aufgeräumt.« Er versuchte, ein paar Felsbrocken mit der Hacke zusammenzuharken, aber da das Werkzeug nicht für diese Aufgabe gedacht war, machte er dabei keine sonderlich gute Figur.

»Unter der Erde aufräumen?« fragte Azzie. »Wofür hältst du mich, für einen Volltrottel? Wer bist du überhaupt?«

»Ich bin Rognir, ein Mitglied der Roifing Zwergensippe aus Uppsala. Unter der Erde sauberzumachen, mag dir absurd erscheinen, aber für uns Zwerge, denen es gefällt, wenn alles so bleibt, wie es ist, ist das ein ganz natürliches Verhalten.«

»Offengestanden, was du mir da erzählst, kommt mir äußerst konfus vor«, sagte Azzie.

»Das liegt daran, daß ich nervös bin«, behauptete Rognir. »Normalerweise rede ich ganz vernünftig.«

»Dann tu das auch jetzt«, schlug Azzie vor. »Entspann dich, ich will dir nichts Böses.«

Der Zwerg nickte, wirkte aber nicht überzeugt. Er traute keinem Dämon, und das konnte man ihm auch nicht verdenken. Es herrscht viel Rivalität im Reich der Geister, von der die Menschen nichts wissen, da kein Homer oder Vigil zugegen war, wenn sich dort bedeutsame Dinge ereigneten. Zwischen Zwergen und Dämonen hatte es in letzter Zeit erhebliche Spannungen wegen territorialer Streitfragen gegeben. Die Dämonen haben schon immer Anspruch auf die Unterwelt angemeldet, trotz ihrer entfernten Verwandtschaft zu den gefallenen Geschöpfen des Lichts. Sie lieben die unterirdischen Bereiche der Erde, die tiefen Höhlen, Sumpflöcher, Senkgruben, Grotten und Abgründe, die unterirdischen Gänge, die in ihrer poetischen wenn auch düsteren Art, die Dinge zu betrachten, von einer merkwürdigen Schönheit sind. Die Zwerge ihrerseits erheben ebenfalls Anspruch auf die Unterwelt, da sie sich als deren Kinder begreifen, die spontan aus den sich chaotisch windenden Feuerströmen der Urflamme in den Tiefen der Erde geboren wurden. Das ist natürlich nur eine romantisch verklärte Vorstellung: Die wahre Herkunft der Zwerge ist sehr interessant, aber es fehlt die Zeit, sich an dieser Stelle damit zu befassen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist es jedoch, auf die Vorstellungskraft hinzuweisen, die Fähigkeit, eine Idee aufzugreifen und sich stur daran festzuklammern. Wie zum Beispiel im Fall der Zwerge ihr Beharren darauf, frei und ungebunden nach Belieben unter der Erde umherziehen zu dürfen, ohne Einschränkungen oder Rücksichtsnahme. Das entspricht allerdings nicht der Einstellung der Dämonen. Dämonen bevorzugen feste Territorien. Sie stampfen für sich allein dahin, und andere Geschöpfe neigen dazu, ihnen aus dem Weg zu gehen. Die Zwerge dagegen tun sich zu Gruppen zusammen und buddeln und singen unablässig (sie sind wirklich leidenschaftliche Sänger) mit fliegenden weißen Bärten, die Picke und die Schaufel immer griffbereit. Oft durchqueren sie auf ihren Zügen dämonische Versammlungen, denn Dämonen halten ständig Versammlungen zu doktrinären Streitfragen ab, auch wenn ihre Diskussionen von den wahren Machtinhabern kaum jemals zur Kenntnis genommen werden. Aber wie auch immer, sie hassen es, dabei belästigt zu werden, und die Zwerge besitzen das unheimliche Talent, bei ihren Grabungen immer wieder die falsche Zeit und den falschen Ort zu wählen und Dämonen zu stören, die gerade tief in Gedanken versunken reglos auf Basaltblöcken hocken, die Hände auf die Ohren gelegt, wie es in einigen in Stein gemeißelten Familienportraits der Türme von Notre Dame zu sehen ist. Die Dämonen fühlen sich von den Zwergen bedrängt und behelligt. Es ist schon aus geringeren Anlässen zu Kriegen gekommen.