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«Sie haben Glück gehabt, Betts«, sagte Herrick.»Bei acht Glasen hätten Sie ebensogut an der Gräting tanzen können.»

Betts blickte den Dritten unbewegt an.»Es tut mir nicht leid, Sir. Ich meine, was geschehen ist. Ich würde es wieder tun.»

Herrick ärgerte sich plötzlich. Warum hatte er die Sache erwähnt? Das ist der Haken bei mir, dachte er wütend. Stets will ich allem auf den Grund kommen, es verstehen. Immer muß ich mich mit allem beschäftigen.

«Hinauf mit Ihnen!«sagte er schroff.»Und halten Sie ja gut Ausschau. Die Dämmerung zieht bald herauf.»

Der Schatten des Mannes vermischte sich mit dem Umriß der Großwanten. Herricks Blicke folgten ihm, bis er sich in dem Netzwerk der Takelage verlor, das sich gegen den Nachthimmel abzeichnete.

Wiederum fragte er sich, warum Bolitho im Falle Betts so entschieden hatte. Weder Vibart noch Evans hatten die Angelegenheit erwähnt, was sie nicht geringfügiger, sondern eher bedeutsamer machte. Hatte Vibart vielleicht wieder seine Befugnis überschritten? grübelte Herrick. Unter Pomfret hatte der allgegenwärtige Erste alles in der Hand gehabt, jedes Vorkommnis kontrolliert, Tag für Tag. Jetzt schien Bolithos ruhige Autorität Vibart zu hemmen, und die Tatsache, daß die beiden nicht übereinstimmten, lag beinahe offen zu Tage. Sie machte alles nur schlimmer. Das Schiff schien zwischen Vibart und Bolitho gespalten. Früher hatte Herrick seinen Dienst verrichtet, sich aber sonst unparteiisch herausgehalten. Nun gewann er den Eindruck, als ob solche Neutralität nicht mehr möglich sei.

Er dachte an seinen Besuch in Bolithos Vaterhaus. Ehe er es betrat, hatte er geglaubt, daß er dort nur Neid empfinden würde. Sein eigenes, armseliges Herkommen ließ sich nur schwer abschütteln. Er rief sich Bolithos Vater zurück, die großen Gemälde an den Wänden, die Atmosphäre von Dauer und Tradition, als wären die gegenwärtigen Bewohner nur Teil eines Musters. Verglichen mit seinem eigenen kleinen Vaterhaus in Rochester, war ihm das Haus der Bolithos wie ein richtiger Palast vorgekommen.

Herricks Vater hatte als Angestellter in Rochester für eine Firma gearbeitet, die mit Früchten handelte. Doch schon als kleines Kind verschlang Herrick mit sehnsuchtsvollen Augen alle Schiffe, die den Medway heraufkamen. Und um Schiffe baute sein eindrucksfähiger Geist die eigene Zukunft auf. Das war merkwürdig, denn in seiner Familie war noch niemand zur See gefahren.

Herricks Vater hatte vergeblich gefleht und vor den nur allzu zahlreichen Fallgruben gewarnt. Da die Herricks weder den notwendigen Familienhintergrund noch die finanzielle Sicherheit besaßen, sah er nur zu klar, worauf sein Sohn sich einlassen wollte. Als Kompromiß schlug er sogar einen sicheren Platz auf einem Indienfahrer vor, aber sein Sohn war nicht umzustimmen.

Der Zufall wollte es, daß in der Nähe von Rochester ein Kriegsschiff zur Reparatur ins Trockendock mußte. Der Kapitän war mit dem Arbeitgeber von Herricks Vater befreundet: ein würdiger, älterer Kapitän, der weder verstimmt noch verärgert war, als ihn der Elfjährige abfing und ihm den Wunsch vortrug, auf einem Schiff des Königs zu dienen.

Angesichts des Kapitäns und seines Dienstherren gab Herricks Vater nach. Man muß ihm Gerechtigkeit angedeihen lassen, er nutzte seine mageren Ersparnisse aufs beste, um seinem Sohn auf den Weg zu helfen. Zumindest äußerlich fiel Herrick nicht ab, war ein so schmucker junger Herr wie jeder andere auch.

Jetzt war Herrick fünfundzwanzig. Seit jener Zeit hatte er zäh einen langen und harten Weg zurückgelegt. Er hatte Demütigungen erfahren, war beispiellosem Widerstand der Höhergeborenen und Einflußreichen begegnet. Der romantische Knabe hatte Federn lassen müssen und war mit den Jahren so hart geworden wie die gute Eiche unter seinen Füßen. Aber eins hatte sich nicht geändert: Seine Liebe zur See umgab ihn wie ein schützender Mantel.

Herrick lächelte vor sich hin, während er unablässig auf und ab ging. Er fragte sich, was der kleine Neale, der an der Reling gähnte, von seinem Vorgesetzten mit dem ernsten Gesicht hielt. Oder die Rudergänger, die die Kompaßnadel und den Stand der Segel beobachteten. Oder Betts da oben auf seinem schwankenden Ausguck, Betts, dessen Gedanken zweifelsohne um das kreisten, was er getan hatte, und um das, was bei Evans Rachedurst noch vor ihm liegen mochte.

Er ging zur Luvreling und erschrak, weil er bereits den geschnitzten Delphin über dem Steuerbordniedergang und dicht dabei die dicke, häßliche Karronade sehen konnte. Während seiner Grübeleien war eine halbe Stunde verflossen, und mit der Morgendämmerung würde wieder der Horizont sichtbar werden, würde ein neuer Tag beginnen.

Durch das Zischen des Spritzwassers hörte er plötzlich scharf und klar Betts' Stimme vom Ausguck:»An Deck! Segel voraus an Steuerbord. Rumpf noch unter der Kimm.»

Herrick riß sein Fernglas aus der Halterung und schwang sich in die Besanwanten. Seine Gedanken kreisten um die unerwartete Meldung. Das Meer gewann bereits Gestalt und Gesicht, und dort, wo der Horizont sein mußte, zeichnete sich eine hellgraue Linie ab. Oben, hoch über den schwankenden Decks, mußte Betts das andere Schiff in der zögernd heraufkommenden Dämmerung eben erkennen können.

«Mr. Neale«,rief er,»entern Sie auf und sehen Sie zu, was Sie entdecken können. Wenn Sie mir etwas Falsches melden, machen Sie mit der Neunschwänzigen Bekanntschaft, ehe Sie eine Stunde älter sind.»

Neale grinste. Ohne ein Wort zu sagen, kletterte er wie ein Affe die Großwanten hinauf.

Herrick bemühte sich, ruhig zu bleiben und, wie er es Bolitho abgesehen hatte, von neuem auf und ab zu gehen.

«Eine Fregatte, Sir!«rief Betts wieder.»Kein Zweifel. Steuert Südost.»

Neales Diskant ergänzte die Meldung.»Sie läuft vor dem Wind, fliegt wie ein Vogel, Sir. Unter Vollzeug.»

Herrick atmete geräuschvoll aus. Eine Sekunde lang hatte er geglaubt, es könnte ein Franzose sein. Selbst draußen, so allein und auf sich gestellt, war das nicht unmöglich; aber die Franzosen segelten nachts selten schnell oder weit. Für gewöhnlich drehten sie nachts bei. Nein, das war kein Feind.

Wie um Herricks Schlußfolgerung zu bestätigen, rief Betts:»Ich erkenne die Takelage, Sir. Es ist ein englisches Schiff.»

«Sehr gut. Melden Sie weiter alles. «Herrick ließ das Sprachrohr sinken und blickte über das Achterdeck. Innerhalb der wenigen Minuten hatte es stärkere Kontur und Wirklichkeit gewonnen. Ein heller werdendes Grau lag über dem Deck, und er konnte schon die Gesichter der Rudergänger erkennen.

Brachte die andere Fregatte neue Befehle? Vielleicht war der amerikanische Krieg bereits beendet, und sie würden nach Brest zurückkehren oder nach England? Herrick spürte einen Anflug von Enttäuschung. Anfänglich hatte ihn die Aussicht, weiterhin auf der unglückseligen Phalarope Dienst tun zu müssen, nicht gerade begeistert. Doch jetzt, bei dem Gedanken, daß er Westindien möglicherweise überhaupt nicht sehen sollte, war er sich seiner Abneigung nicht mehr so sicher.

Neale verschmähte Wanten und Webeleinen, glitt direkt eine Pardune hinunter und kam keuchend zum Achterdeck gerannt. Herrick faßte einen Entschluß.»Empfehlung an den Kapitän, Mr. Neale, und melden Sie ihm, daß wir ein Schiff des Königs gesichtet haben. Es wird in etwa einer Stunde mit uns auf gleicher Höhe sein, vielleicht sogar eher. Er wird sich darauf vorbereiten wollen.»

Neale sauste den Niedergang hinunter, und Herrick blickte über die wogende Wasserwüste. Bolitho würde es noch stärker betreffen, dachte er. Wurde die Phalarope heimbeordert, verwehten alle seine Hoffnungen und Pläne. Seine private Schlacht war dann verloren, bevor sie überhaupt begonnen hatte.

Dann erklang ein leiser Schritt neben ihm, und Bolitho fragte:»Nun, Mr. Herrick, was hat es mit jenem Schiff auf sich?»

IV Das Signal