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Allday spähte durch die Geschützpforte. Er war noch benommen, verstand aber endlich, was Bolitho getan hatte. Die Phalarope hatte sich nicht zur Flucht gewandt, hatte ihr Heck nicht als Ziel dargeboten. Daß sie plötzlich zum Angriff überging, hatte den Gegner aus dem Gleichgewicht gebracht. Um einer sinnlosen Kollision zu entgehen, hatte die Andiron angeluvt. Daher war ihre erste Breitseite mehr oder minder ins Leere gegangen.

Allday hörte, wie Herrick zu Leutnant Okes hinüberrief:»Bei Gott, Matthew, das ging um Haaresbreite. «Dann, wilder:»Da, der Wimpel! Der Wind dreht.»

Es war wie im Tollhaus, als die feindliche Fregatte schnell der angreifenden Phalarope auswich. Dem Kapitän der Andiron mußte die Attacke so unvermutet gekommen sein, daß ihm entgangen war, was Bolitho bemerkt haben mußte: das Umspringen des Windes.

Anstatt anluven zu können, bekam die Andiron nun den Wind voll von vorn und war manövrierunfähig.

Herrick sprang vor Aufregung auf und ab:»Sie hat sich festgesegelt! Bei Gott, das hat sie!»

Die Männer riefen sich die Nachricht von Geschütz zu Geschütz zu. Eingerahmt von einer Pulverwolke, rollte die Andiron hilflos im Wind, unfähig, nach dieser oder jener Seite zu wenden. Männer kletterten auf die Rahen hinaus, und auf der Phalarope konnte man die durch ein Sprachrohr gebrüllten Befehle hören.

Herrick nahm sich zusammen.»Hinüber zur Steuerbordbatterie. Schnell!«Pryce stieß die Leute an, die er benötigte, und rannte über das

Deck.

Von achtern erscholl der Ruf:»Klar zum Wenden. An die Brassen.»

Allday warf sich neben der Kanone zu Boden und bleckte die Zähne.

Old Strachan krächzte:»Bei Gott, der Kapitän weiß mit dem Schiff umzugehen. «Okes rief:»Ruhe da!»

Herrick ging zur Decksmitte und beobachtete Zimmermann und Bootsmann, die hastig dabei waren, Schäden zu reparieren. Männer kletterten bereits in die Takelage, um die zerrissenen

Taue zu spleißen. Andere spannten oberhalb des Hauptdecks endlich die Gefechtsnetze, um die Leute an Deck vor herabfallenden Blöcken oder Spieren zu schützen.

Die Rahen kamen von neuem herum. Segel donnerten, Brassen kreischten durch die Blöcke. Die Männer rannten wie die Wiesel, um den unaufhörlichen Kommandos vom Achterdeck nachzukommen.

Den Leuten kam alles unwahrscheinlich vor. Eben noch überrascht und bedroht, griffen sie jetzt nicht nur an, sondern versetzten dem Feind einen Schlag nach dem anderen.

Bolitho mußte sich alles ausgerechnet haben. Er mußte es geplant und entworfen haben, während er auf dem nachtdunklen Deck einsam hin und her gegangen war.

Herrick blickte zu ihm hinüber. Gelassen und aufgerichtet stand der Kapitän an der Reling. Die Hände auf dem Rücken, beobachtete er das andere Schiff. Während des Abwartens hatte Herrick bemerkt, wie Bolitho sich mit der Hand über die Stirn fuhr und dabei einen Moment die dunkle Locke beiseite schob, so daß die tiefe, furchtbare Narbe sichtbar wurde. Bolitho hatte gespürt, daß Herrick ihn beobachtete, und zornig seinen Hut in die Stirn gezogen.

Herrick ließ den Blick über die Kanonen gleiten. Die Leute waren erschöpft. Sie schenkten dem Feind keine Beachtung, als die Phalarope herum kam, um den Abstand zu verringern. Er hatte Pochins bittere Bemerkung gehört und gesehen, wie Allday sich ins Zeug gelegt hatte, um den neuen Leuten zu helfen. Es war merkwürdig, wie sie angesichts wirklicher Gefahr alle eigenen Sorgen und Fehden vergaßen.

Es stimmte, unter Bolitho war das Schiff anders. Und die Veränderung ging tiefer, sie war nicht nur durch die Uniformen gekennzeichnet, die auf Bolithos Befehl die fleckigen Lumpen ersetzt hatten, die zu Pomfrets Zeit üblich gewesen waren. Statt der verdrossenen Hinnahme herrschte nun diese heftige Unruhe, die den Eindruck erweckte, als wollten die Männer zusammenstehen, um mit dem Enthusiasmus ihres jungen Kapitäns Schritt zu halten, aber noch nicht wüßten, was sie dazu tun mußten.

«Sie hat wieder Ruderdruck«, sagte Okes scharf.»Sie kommt herum.»

Die Segel der Andiron schlugen, aber Herrick bemerkte ihre veränderte Position und den neuen Winkel ihrer Rahen.

Bolithos Stimme schnitt durch ihre Spekulationen.»Noch eine Salve, Leute. Ehe sie herum ist.»

Herrick atmete scharf aus.»Er will hinter ihr Heck kommen. Das schafft er nie. In ein paar Minuten liegen wir uns Breitseite zu Breitseite gegenüber.»

Das unbegrenzte Vertrauen, das ihm die erfolgreiche Attacke geschenkt hatte, wich fröstelnder Unsicherheit, als die Phalarope Fahrt aufnahm und ihre Masten und Spieren unter dem Druck der Segel bebten. Er faßte seinen Degen fester, als die Bramsegel der Andiron von neuem über den Netzen auftauchten. Ihre Masten standen nicht mehr in einer Linie, sie schwang schnell und gut herum. Es blieb nichts anderes übrig, als das Unvermeidliche abzuwarten.

Okes starrte mit offenem Mund auf das sich nähernde Schiff, während sich die Spanne des aufgewühlten Wassers zwischen den Fregatten immer mehr verringerte. Er hob den Degen.»Steuerbordbatterie feuerklar!«Doch seine Stimme ging in einer wilden Kanonade unter. Von achtern bis vorn bellte jedes Geschütz der Andiron und spie Feuer und Rauch aus.

Diesmal saßen die Schüsse.

Herrick spürte, wie der Rumpf unter seinen Füßen erbebte, und taumelte gegen den Vormast. Rauch vernebelte das Deck, und zersplittertes Holz und zerfetzte Teile der Takelage regneten herab. Die Luft zitterte vom Krachen der Abschüsse und vom Kreischen der Kugeln, die wie Boten der Hölle durch den Rauch peitschten.

In das Heulen der Kugeln mischten sich nähere, schauerlichere Geräusche, als Splitter in die dicht gedrängten Kanoniere flog. Blut strömte über die glatten Decks. Herrick mußte sich auf die Lippen beißen, um nicht die Selbstkontrolle zu verlieren. Er hatte schon früher Leute bluten sehen, bei einem gelegentlichen Scharmützel und unter der neunschwänzigen Katze, nach einem Sturz oder bei einem Unfall. Doch dies war anders. Das Blut war überall, als hätte ein Verrückter das Schiff angemalt. Herrick bemerkte Blutflecken auf seinen weißen Hosen. Er blickte zu der benachbarten Kanone hinüber. Sie stand hochkam, und einer der Kanoniere war zu einer roten Masse zerquetscht worden. Ein Mann, der noch immer eine Handspake umkrampfte, lag ohne Beine da, und zwei seiner Kameraden klammerten sich schreiend aneinander.

Die feindliche Fregatte mußte sofort nachgeladen haben, denn eine neue, unregelmäßige Salve donnerte krachend in die Bordwand der Phalarope.

Männer schrien und brüllten, fluchten und tappten blind durch den erstickenden Qualm, während herabstürzendes Tauwerk und geborstene Hölzer in die wie verrückt zuckenden Netze prasselten.

Ein Pulveräffchen rannte weinend zum Magazin, nur um von einem Seesoldaten fortgestoßen zu werden. Der Junge hatte seinen Kartuschenkorb fortgeworfen und wollte nach unten in die Sicherheit der Dunkelheit flüchten. Doch die Wache brüllte ihn an und schlug mit dem Gewehr nach ihm. Der Junge taumelte zurück und kam wieder zu sich. Wimmernd hob er seinen Korb auf und hastete zur nächstgelegenen Kanone.

Ein Geschoß heulte heran. Herrick hatte Mühe, sich nicht zu übergeben, als die Kanonenkugel den Jungen in zwei Hälften zerriß. Kopf und Oberkörper hielten sich einige Sekunden aufrecht auf den Planken. Ehe Herrick sich abwandte, sah er noch, daß der Junge aus aufgerissenen Augen starrte.