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Bolitho hatte den Blick nicht vom Hauptdeck gelöst. Seine Antwort hatte geklungen, als spräche er zu sich selber.»Die Andiron ist ein altes Schiff und seit zehn Jahren hier draußen. «Und mit einer knappen Geste zum Hauptdeck:»Die Phalarope aber ist neu. Jede Kanone ist mit dem neuen Steinschloß ausgestattet, und Karronaden sind bisher fast nur in der Kanalflotte bekannt. Nein, Mr. Herrick, da gibt es nicht viel zu gratulieren.»

Herrick hatte Bolithos Profil studiert. Zum erstenmal war er sich des Kampfes bewußt geworden, den der Kapitän ausfocht.»Wie dem auch sei, Sir, die Andiron war uns batteriemäßig weit überlegen. «Er hatte nach einem Zeichen jenes Bolitho Ausschau gehalten, den er mit dem Degen in der Hand an Deck gesehen hatte, während ihn die Kugeln wie Hagel umpeitschten. Aber das erwartete Zeichen war ausgeblieben. So hatte er lahm hinzugefügt:»Sie werden sehen, Sir, nach dieser Geschichte sieht alles anders aus.»

Bolitho hatte sich aufgerichtet, als schüttele er ein unsichtbares Gewicht ab. Seine grauen Augen waren kalt und gefühllos, als er ihn schließlich ansah.

«Hoffentlich haben Sie recht, Mr. Herrick. Was mich betrifft, so hat mich das Durcheinander angewidert. Ich wage nicht daran zu denken, was bei einem Kampf bis zum bitteren Ende geschehen wäre.»

Herrick hatte gespürt, daß er rot wurde.»Ich dachte nur. .»

«Wenn mir an der Meinung meines Dritten liegt, werde ich es ihn wissen lassen. Bis dahin, Mr. Herrick, seien Sie bitte so freundlich, Ihre Leute an die Arbeit zu schicken. Für Hypothesen und Lobsprüche ist später Zeit. «Er hatte sich abgewandt und seinen Gang über das Achterdeck wieder aufgenommen.

Herrick sah, wie der Trupp des Arztes einen leblosen Körper heranschleppte und ihn zu den anderen legte. Dabei erinnerte er sich einer grauenvollen Szene.

Herrick hatte gemeinsam mit dem Zimmermann das Zwischendeck inspiziert. Die Phalarope hatte zwar keine Einschüsse unterhalb der Wasserlinie abbekommen, aber er betrachtete es als seine Pflicht, sich mit eigenen Augen zu überzeugen. Obwohl er vom Lärm des Gefechts noch immer betäubt war, folgte er, von der halbabgeblendeten Laterne wie hypnotisiert, dem Zimmermann Ledward an den massiven Spanten vorbei durch die unteren Decks. Als sie durch einen Vorhang traten, sahen sie sich plötzlich einer Szene gegenüber, die aus der Hölle zu stammen schien.

Kreisförmig angeordnete Laternen erleuchteten das Bild so, daß er alles wahrnehmen mußte, ob er nun wollte oder nicht. Im Mittelpunkt des gelben Lichtscheins lag, festgebunden und verkrümmt wie das Opfer auf einem Altar, ein schwerverwundeter Seemann, dem Tobias Ellice, der Wundarzt, das Bein amputierte.

Ellices dickes, ziegelrotes Gesicht zeigte keinerlei Ausdruck, während seine blutigen Hände die Säge führten. Sein Doppelkinn stieß im Takt der Bewegung immer wieder gegen den oberen Rand seiner blutgetränkten Schürze. Seine Gehilfen mußten ihre ganze Kraft aufwenden, um das sich windende Opfer auf dem Deckel einer Seekiste festzuhalten, die als Operationstisch diente. Bei jedem Stoß der Säge rollte der Mann mit den Augen und biß auf den Lederriemen zwischen seinen Zähnen, daß ihm das Blut aus den Lippen spritzte.

Außerhalb des Lichtkreises warteten andere Verwundete, daß sie an die Reihe kämen. Manche stützten sich auf die Ellenbogen, als könnten sie sich von dem grauenvollen Schauspiel nicht losreißen. Andere stöhnten und schluchzten im Schatten. Aus einigen sickerte das Leben heraus und ersparte ihnen die Qual von Säge und Messer. Die Luft war zum Schneiden dick vor Blut- und Rumgeruch, denn Rum war das einzige Betäubungsmittel.

Ellice schaute hoch, als der Mann wild um sich schlug und ohnmächtig wurde. Er sah Herricks verzerrtem Gesicht den Schrecken an und sagte mit dicker, trunkener Stimme:»Das ist ein Tag, Mr. Herrick. Ich nähe und flicke, ich säge und untersuche, aber trotzdem haben sie es eilig, zu ihren Gefährten da oben zu kommen. «Seine feuchten Augen kehrten sich zum Himmel, und er nahm einen Schluck aus der Lederflasche.»Wollen Sie auch einen, Mr. Herrick?«Er hob die flache Lederflasche ins Licht.»Nein? Na gut, ich brauche jedenfalls eine kleine Stärkung.»

Dann nickte er seinem Gehilfen kaum merklich zu, der seinerseits auf einen Mann an der gewölbten Schiffswand deutete. Der Mann wurde ohne Verzug gepackt und auf den Tisch geschleppt. Ellice wischte sich den Mund und riß ihm, ohne die Schreie des armen Kerls zu beachten, das Hemd von dem zerfetzten Arm.

Herrick machte mit schweißüberströmtem Gesicht kehrt, während ihm die Schreie des Verwundeten in den Ohren gellten. Doch er blieb wie festgenagelt stehen, als er Bolitho dicht hinter sich sah. Der Kapitän ging langsam von einem Verwundeten zum anderen. Er sprach ihnen Mut zu, aber so leise, daß Herrick die Worte nicht verstehen konnte. Hier ergriff er die ausgestreckte Hand eines Mannes, die blind nach Trost suchte, dort drückte er einem Toten die Augen zu. Einmal blieb er kurz unter der schwankenden Laterne stehen und fragte:»Wieviele, Mr. Ellice? Wie hoch sind die Verluste?»

Ellice grunzte nur und gab seinen Gehilfen ein Zeichen, daß er mit der schlaffen Gestalt auf den Laken fertig war.»Zwanzig Tote, Kapitän. Zwanzig Schwerverwundete und dreißig so halb und halb.»

In diesem Augenblick hatte Herrick Bolitho ohne Maske gesehen. Sein Gesicht spiegelte Schmerz und Verzweiflung wieder. Und sofort hatte er seinen Ärger wegen der Bemerkungen, die der Kapitän auf dem Achterdeck fallen ließ, vergessen. Der Bolitho, den er an Deck seinen Degen schwingen sah, war der wahre. Genau wie der, den er bei den Verwundeten und Toten erlebte.

Herrick starrte auf die in Leinwand eingenähten Körper. Er versuchte vergeblich, den auf jedes Bündel gekrakelten Namen mit dem dazugehörigen Gesicht in Verbindung zu bringen. Doch die Gesichter waren bereits verweht wie der Rauch der Schlacht, in der die Männer gefallen waren.

Herrick fuhr hoch, als Leutnant Okes langsam über das im Schatten liegende Hauptdeck herankam. Seit dem Gefecht hatte er Okes kaum gesehen.

Herrick erinnerte sich. Kurz nachdem der Knall des letzten Schusses im Pulverrauch verhallte, war Okes mit wild rollenden Augen, die zeigten, daß er die Herrschaft über sich verloren hatte, durch einen Niedergang heraufgestolpert. Er schien vor Furcht und Schrecken außer sich zu sein. Seine Augen irrten über die rauchenden Mündungen — über die Kanonen seiner Batterie, die er im Stich gelassen hatte.

Dann hatte er Herrick beim Arm gepackt und ungestüm und verzweifelt hervorgestoßen:»Ich mußte kurz nach unten, Thomas. Ich mußte die Kerle suchen, die fortgerannt waren. Du glaubst mir doch, nicht wahr?»

Herricks Verachtung und Zorn schwanden, als ihm klar wurde, daß Okes vor Furcht halb verrückt war. Die Tatsache erfüllte ihn teils mit Mitleid, teils mit Scham.»Leise, Mann!«Herrick sah sich nach Vibart um.»Verdammter Narr! Nimm dich zusammen!»

Jetzt blieb Okes kurz bei den Leichen stehen und ging dann weiter zum Heck. Auch er durchlebte nochmals sein Elend, war verstört über seine Feigheit und Schande.

Herrick fragte sich, ob der Kapitän Okes' Verschwinden während des Gefechts bemerkt hatte. Vielleicht nicht. Möglicherweise findet Okes wieder zu sich zurück, überlegte er grimmig.

Fähnrich Neale hastete über das Hauptdeck heran. Herrick spürte Sympathie für den Jungen, der während des Gefechts nicht geschwankt hatte. Er hatte beobachtet, wie er mit Befehlen über die Decks rannte, wie er den Männern seiner Abteilung schrill etwas zurief oder auch nur mit weit aufgerissenen Augen auf seiner Station stand.

Herrick unterdrückte ein Lächeln, als der Junge scharf haltmachte und salutierte.»Mr. Herrick, Sir. Eine Empfehlung vom Kapitän, und Sie möchten die Vorbereitungen für die Beisetzung übernehmen. «Er rang nach Atem.»Es sind insgesamt dreißig, Sir.»