Steuermann Belsey sagte heiser:»Ich sehe die Pier, Sir. Dort drüben.»
Bolitho schluckte schwer und spürte ein Prickeln in der Wirbelsäule. Er rückte seinen Degen zurecht und vergewisserte sich, daß seine Pistole griffbereit war.
«Holen Sie den Spanier«, sagte er heiser vor Spannung.
Der Gefangene klapperte vor Furcht mit den Zähnen. Bolitho packte ihn beim Arm. Er roch die Furcht des Mannes. Jetzt war der Augenblick, dem Spanier einen Schrecken ins Gebein zu jagen. Er mußte sich mehr vor ihm als vor dem fürchten, was ihm die Franzosen antun könnten.»Hören Sie gut zu. «Bolitho schüttelte den Mann bei jedem Wort.»Wenn wir angerufen werden, wissen Sie, was Sie zu tun haben, nicht wahr?»
Der Spanier nickte heftig.»Laterne zeigen. Signal geben, Exzellenz. »
«Und wenn man Sie fragt, warum Sie bei Nacht hereinkommen, sagen Sie, daß Sie Nachrichten für den Garnisonskommandanten bringen.»
«Aber Exzellenz, ich bringe nie Nachrichten.»
«Halten Sie den Mund. Sagen Sie es! Wie ich Wachen kenne, geben sie sich damit erst einmal zufrieden.»
Die Pier ragte wie ein schwarzer Finger aus der Finsternis. Die Segel wurden langsam geborgen, und als der Lugger sanft auf die Landungsbrücke zuglitt, leuchtete eine Laterne auf, und jemand rief: «Qui voala?»
Der Spanier öffnete die Blende seiner Laterne. Zwei lange, zwei kurze Blinkzeichen. Mit bebender Stimme stotterte er seine Botschaft heraus. Zwischen jedem Wort mußte er tief Luft holen. Er schlotterte dermaßen vor Angst, daß Farquhar ihn gegen den Mast drücken mußte wie eine Leiche. Die Wache sagte etwas zu einem anderen Mann hinter einer kleinen Hütte in halber Höhe der Pier. Bolitho hörte ihn lachen. Metall klirrte zweimal, als die Wachen ihre Gewehre entspannten.
Der Bug schwang zur Pier herum, und Bolitho sah, wie der Wachsoldat sich vorbeugte, um zu beobachten, wie der Lugger festmachte. Er hatte das Gewehr über die Schulter geworfen. Im Glühen seiner langen Tonpfeife blitzte sein hoher Tschako kurz auf. Bolitho hielt den Atem an. Jetzt würde sich zeigen, ob er die richtigen Männer ausgewählt hatte.
Er verfolgte, wie ein Matrose, den Festmacher in der Hand, mit gespielter Gelassenheit die Leiter erklomm. Der Posten rief ihm etwas zu. Doch es war nicht zu verstehen, weil er sich umdrehte, um zuzusehen, wie der Matrose das Tau über einen Poller warf. Ein zweiter Matrose, der auf dem Vordersteven gekauert hatte, sprang wie eine Katze hinauf. Sekundenlang schwankten die zwei Gestalten in einem makaberen Tanz, aber man vernahm kaum einen Laut. Erst als der Matrose den Griff lockerte und den toten Posten geräuschlos auf die Pier sinken ließ, begriff Bolitho, daß die Zeit zum Handeln gekommen war.
«Der Nächste!«zischte er.
Belsey glitt über den Bug, gefolgt von einem Matrosen, der die Klinge seines Messers an der Hose abwischte. Beide verschwanden hinter der Hütte. Diesmal gab es ein paar Geräusche: das Klappern eines fallenden Gewehrs, etwas wie ein Röcheln, nicht mehr.
Bolitho kletterte zur Pier hinauf. Er bebte vor unterdrückter Erregung.»Mr. Okes, rücken Sie mit Ihrem Kommando im Laufschritt zum Ende der Pier vor. «Er hielt einen Matrosen zurück, der losrasen wollte, und zischte:»Ruhig! Hinten ist ein Wachhaus.»
Rennies Seesoldaten strömten aus dem Laderaum, das weiße Lederzeug stach hell von ihren Uniformen ab. Rennie hatte seine Order nicht vergessen. Innerhalb weniger Minuten hatte er seine Leute in zwei Abteilungen gegliedert. Auf ein einziges Kommando hin stürmten die Gruppen über die Pier auf die schweigende Ortschaft zu.
Stockdale verließ den Lugger als letzter. Das Entermesser baumelte wie ein Spielzeug in seiner Hand.
Bolitho blickte sich noch einmal prüfend um.»Also, Stockdale, sehen wir uns die Geschichte mal an!»
VIII Der Angriff
Bolitho hob die Hand, die Matrosen machten halt.»Zehn Minuten Rast. Nach hinten durchsagen.»
Er wartete, bis alles wieder still war, und sagte dann zu Leutnant Okes:»Wir gehen noch ein Stück weiter und werfen einen Blick auf die Brücke. Sich hier den Kopf zu zerbrechen, hilft Rennies Seesoldaten auch nicht. Es ist bereits fast zwei Uhr. Ehe die Dämmerung heraufkommt, gibt es noch viel zu tun.»
Bolitho stieg den steilen Weg hinauf, ohne Okes' Erwiderung abzuwarten. Die lockeren Steine knirschten unter seinen Sohlen. Ihm war sonderbar zumute. Alles war so gut gegangen, daß die Anspannung sich um so stärker bemerkbar machte. Das Glück konnte doch unmöglich andauern.
Vor kaum einer Stunde hatte der Lugger am Pier angelegt. Nachdem die beiden Posten niedergemacht worden waren, hatten Rennies Seesoldaten das kleine Wachhaus am Anfang der Küstenstraße erobert. Die schlafenden Soldaten, alle zehn, waren durch Keulenschläge betäubt worden, und den wachhabenden Unteroffizier hatte man ergriffen und wie ein Paket zusammengeschnürt.
Bolitho war dann losmarschiert, während Rennie seine Leute entlang der Straße verteilte und das Gelände oberhalb der Ortschaft besetzte. Hier mußten sie eigentlich allem standhalten können, bis das Angriffskommando seine Arbeit vollendet hatte.
Bolitho kniete sich hin und versuchte, die Dunkelheit mit Blicken zu durchdringen. Verschwommen sah er die dünnen Umrisse einer hohen Holzbrücke und dahinter das abgetrennte Gebiet, wo die schlafende Bedienung der Batterie lag und noch nichts von dem ahnte, was vorging. Eine ziemlich solide Brücke, dachte Bolitho. Breit und tragfähig genug für den Transport von Geschützen und Vorräten, von Geschossen und allen Materialien zum Bau von Brustwehren und Schießscharten. War sie erst einmal in die Luft gesprengt, würde es lange dauern, sie wieder zu ersetzen.
Ein Stiefel knirschte neben ihm. Sergeant Garwood sah zu ihm hinunter.»Eine Empfehlung von Hauptmann Rennie, Sir. Die Seesoldaten haben die befohlenen Positionen bezogen. Wir haben den Lugger am Kopf des Pier festgemacht, so daß unser Rückzug durch die Drehbasse gedeckt ist. «Er starrte zur Brücke.»Da würde ich gern mitmachen, Sir«, sagte er voller
Neid.
«Gehen Sie zurück zu Hauptmann Rennie und sagen Sie ihm, er soll die Straße halten, bis wir uns zurückziehen. «Bolitho lächelte.»Keine Angst, Sergeant, Sie werden schon noch in den Kampf kommen, ehe die Nacht um ist.»
Als Garwood in der Finsternis verschwunden war, sagte er scharf:»Führen Sie die Abteilung herauf, Mr. Okes, und achten Sie darauf, daß alles leise vor sich geht. «Er wandte sich wieder der Brücke zu. Wahrscheinlich wurde sie am einen Ende bewacht, wenn nicht gar an beiden. Es mußte alles sehr schnell gehen.
Okes tauchte schwer atmend wieder auf.»Alle zur Stelle,
Sir.»
Farquhar folgte Okes auf dem Fuße, sein Gesicht schimmerte blaß im schwachen Mondlicht.»Ich habe Glover für die Aufgabe ausgewählt, Sir«, sagte er.
Bolitho nickte. Glover war der Matrose, der den ersten Wachtposten so geräuschlos erdrosselt hatte.»Gut, schicken Sie ihn los.»
Der Mann glitt über die Böschung aus Steinen und Büschen und tauchte in den tiefen Schatten vor der Brücke.
«Denkt daran, Leute, wenn Glover den Posten nicht stillmachen kann und Alarm gegeben wird, müssen wir stürmen.»
Er zog seinen Degen und sah das tödliche Blitzen der Entermesser, als er sich umblickte.
«Mr. Farquhar übernimmt mit fünf Mann die Kanonen und das Magazin«, flüsterte er Okes zu.»Und McIntosh soll eine Ladung anbringen, um die Brücke in die Luft zu sprengen, sobald wir uns zurückgezogen haben. Verstanden?»
Okes nickte.»Ich — ich denke schon, Sir.»
«Sie müssen sich über alles restlos klar sein, Mr. Okes. «Bolitho sah ihn durchdringend an. Plötzlich wünschte er, er hätte Herrick an seiner Seite. Sollte er fallen, ehe die Attacke abgeschlossen war, wie würde Okes dann zurechtkommen? Er fuhr fort:»Nach den Angaben unseres Spaniers führt ein Weg von der Batterie zum Ufer vor der Reede. Sobald die Batterie genommen ist, werde ich hinuntergehen, um festzustellen, wie den Schiffen im Hafen beizukommen ist. Ich will versuchen, eins oder mehrere in Brand zu setzen, und die Phalarope kann sich mit jenen befassen, die ausbrechen. «Er wandte sich um, als Stockdale, der den wimmernden Spanier hinter sich her zog, durch die Büsche herankam.