Okes schwankte hin und her, dann fing er sich.»Warten Sie hier. «Er rannte los. Als er das Vorgelände der Batterie erreichte, ließ er die Pfeife ertönen und rief:»Vorgebirge räumen! Alle Mann zurück!»
Die Matrosen griffen verblüfft nach ihren Waffen und eilten auf die Brücke zu. Die meisten hatten die nahenden Franzosen gesehen und brauchten keinen zweiten Befehl. Ein Maat, das Gesicht von Rauch und Schmutz verschmiert, trat auf den keuchenden Leutnant zu.»Entschuldigen Sie, Sir, aber der Kapitän ist noch nicht da.»
«Ja, ja, ich weiß. «Okes starrte ihn mit glasigen Augen an.»Zu den anderen mit Ihnen, bringen Sie sie über die Brücke. Warten Sie dort auf mich. Halten Sie sich bereit zum Aufbruch. «Er spähte durch den Rauch.»Wo ist Mr. Farquhar?»
«Ein Stück die Stufen hinunter, Sir, um besser sehen zu können.»
Okes lehnte sich an die Brustwehr. Ohne die Matrosen und ohne die Kanonen vor den Schießscharten wirkte der Platz sonderbar tot. Er ging zu dem in den Felsen gehauenen Weg und sah hinab. Kein Farquhar zu sehen, von keinem Menschen eine Spur. Schüsse bellten, dazwischen wildes Hurrarufen. Die Glieder zitterten ihm, als hätte er keine Kontrolle mehr über sie. Er ging zur offenen Tür des Magazins und blickte einige Sekunden auf die Lunte. Seine Schuld war es nicht, redete er sich ein. Es blieb ihm einfach keine andere Wahl. Er kniete sich hin. Während sein Blick auf der Lunte ruhte, sah er vor seinem geistigen Auge das Bild Bolithos, wie er die Stufen hinuntereilte.
Verdammt sollten sie sein. Alle! Er zitterte s o, daß er die eine Hand mit der anderen festhalten mußte, als er die Lunte ansteckte.
Übelkeit würgte ihn. Er taumelte hoch und rannte auf die Brücke zu. McIntosh blickte ihm verständnislos entgegen.»Stecken Sie die Zündschnur an, Sie Idiot. «Okes war bereits halb über die Brücke hinüber.»Oder wollen Sie hierbleiben und mit dem Magazin in die Luft fliegen?»
McIntosh setzte die Lunte in Brand und rannte los. An der Wegbiegung holte er Okes ein und keuchte:»Aber wo ist Mr. Farquhar, Sir? Und was ist mit dem Kapitän?»
Okes fauchte:»Zurück zum Ufer! Alle!«Und zu McIntosh gewandt, setzte er hinzu:»Alle tot. Und das werden auch Sie gleich sein, wenn die Franzosen Sie schnappen.»
Eine donnernde Explosion und gleich darauf eine zweite, stärkere. Die Detonationen übertönten das Musketenfeuer und die fernen Schreie. Die Kraft der Explosion schien die ganze Insel betäubt zu haben. Das grollende Donnern hallte nach, und Okes hörte ein splitterndes Krachen. Die zu Kleinholz zerfetzte Brücke stürzte in die Schlucht.
Sonderbar, aber er merkte, daß er jetzt wieder gehen konnte. Beinahe fest und sicher setzte er einen Fuß vor den anderen, als er seinen Leuten zum Pier und in die Sicherheit folgte. Er hatte das einzig Richtige getan. Er hielt seine Augen auf den Pier gerichtet. Das einzig Richtige. Die anderen würden das ebenfalls bald erkennen. Er stellte sich das Gesicht seiner Frau vor, wenn sie die Nachricht in der Gazette las:
«Leutnant Matthew Okes, der nach dem Tode des kommandierenden Offiziers die Hauptlast der Verantwortung für diesen wagemutigen Angriff trug, ist zu der Kühnheit und dem Geschick zu beglückwünschen, mit dem er die Attacke gegen eine große Übermacht zum erfolgreichen Ende führte.»
Okes blieb stehen, als Seesoldaten aus dem Ginster brachen und auf dem Weg in Stellung gingen. Einer von ihnen rief:»Da kommen sie, Jungs.»
Von der anderen Seite der Kuppe her erscholl Sergeant Garwoods Stimme.»Anlegen! Achtung, Feuer!»
Das letzte Kommando ertönte, als eine Kette blau uniformierter Soldaten über der Kammlinie auftauchte und sich anschickte, zum Ufer hinunterzurennen. Nachdem der Pulverqualm verweht war, sah Okes, daß die Soldaten sich zurückgezogen hatten, ohne sich um ihre Gefallenen zu kümmern.
«Nachladen. Laßt euch Zeit«, rief Garwood gelassen.»Und tiefhalten, Jungs. «Noch eine Salve, doch diesmal rückten die Soldaten trotz der
Verluste in größerer Zahl und mit größerer Entschlossenheit vor. Hier und da fiel auch ein Seesoldat, und einige erlitten Verwundungen, so daß sie ihren Kameraden nur langsam den Abhang hinunter folgen konnten.
Okes sah, daß Rennie gelassen auf einem kleinen Hügel stand und die Scharfschützen ignorierte, während er die dünne Linie seiner zurückgehenden Männer beobachtete. Er spürte, daß sein Neid in Haß umschlug. Rennie hätte nie so gehandelt wie er. Er hätte auf Bolitho gewartet und alle für nichts und wieder nichts geopfert.
Okes brüllte:»Zum Lugger, schnell!»
Die Matrosen rannten zum Pier. Sie trugen ihre verwundeten Kameraden und riefen den Seesoldaten ermutigende Worte zu. Es kam Okes vor, als dauerte es eine Ewigkeit, bis sich die letzten Seesoldaten über den Pier zurückzogen. Eine frische Morgenbrise wehte und füllte die Segel, und als der letzte Seesoldat keuchend über das Schanzkleid kletterte, legte der Lugger ab.
Unter irrem Lärm brachen die Franzosen aus der Deckung und stürmten zum Pier. Die einzelnen Uniformen schlossen sich zu einer festen Masse, und als sie zum Pier drängten, flossen sie zu einem einzigen Feind zusammen.
McIntosh hockte im Bug und richtete die Drehbasse aus. Er achtete nicht auf das sporadische Gewehrfeuer und wartete, bis die Soldaten eine brüllende, gedrängte Front bildeten, ehe er abzog.»So, meine Lieben!«Der Lugger stampfte wild, als der Kartätschenschuß die schreienden Soldaten wie eine Sense niedermähte. McIntosh stand auf und brüllte:»Das war für den Kapitän und die anderen!»
Ehe die zweite Welle bis zu den Hingemetzelten vorgedrungen war, hatte der Lugger abgedreht und segelte bereits auf das offene Meer hinaus. Jetzt herrschte Schweigen an Bord, und selbst als die nach hinten geneigten Masten der Phalarope das Vorgebirge umrundeten und wie schützende Eltern über dem kleinen Boot aufragten, brachten die erschöpften Männer kein Hurra zustande.
Okes blickte zur Insel zurück, zum Rauch, zu dem undeutlichen Umriß der Batteriestellung. Es war vorüber.
Nach dem Angriff würde man den Lugger aufgeben. Okes ließ ihn längsseits kommen. Von der Phalarope streckten sich den Verwundeten und den schweigenden Siegern viele Hände entgegen. Hauptmann Rennie trat beiseite, um Okes zuerst hinaufklettern zu lassen.»Nach Ihnen, Mr. Okes«, sagte er.»Ich möchte Ihren Auftritt nicht verderben.»
Okes sah ihn an und wollte etwas erwidern. Als er die kalte Feindseligkeit in Rennies Augen bemerkte, unterließ er es aber. Mit Eifersucht muß ich rechnen, sagte er sich. Darauf muß ich gefaßt sein.
Er langte nach der Kette und schwang sich über das Schanzkleid der Fregatte. Eine Sekunde lang blickte er über das vertraute Deck. Er hatte überlebt.
IX Niederlage
Bolitho erinnerte sich nicht, die Explosion des Magazins gehört zu haben. Es war mehr ein Empfinden gewesen oder das Ende eines Alptraums, aus dem man mit gesteigerter Furcht vor der wartenden Wirklichkeit erwacht. Er sah wieder vor sich, wie er im Heck des überlasteten, halb überspülten Bootes saß und auf das kochende, wirbelnde Wasser zurückblickte, in dem der Transporter versunken war. Seine schmerzenden, von der Feuersglut geblendeten Augen sahen gar nichts mehr, seit das Schiff untergegangen war und die von hohen Wänden eingefaßte Reede wieder eine Dunkelheit einhüllte, die allen Schmerz und Schrecken verbarg.
Seine Leute lachten und schwatzten vor Erleichterung und Erregung, aber als Bolitho sich umdrehte, um nach dem Felssturz am Fuß der Klippen Ausschau zu halten, schien die ganze Welt in ein einziges riesiges Inferno verwandelt. Felsstücke regneten herab, und während sich die Männer verzweifelt in die Riemen legten, krachte ein großer gezackter Steinbrocken wie ein Hammer auf den Steven. Bolitho taumelte hoch, als das Wasser rauschend in das mit Schlagseite treibende Boot strömte.