Es schien, als wollte das Bombardement nie enden. Er sah, daß ein Mann von einem Felsstück ins Wasser gefegt wurde, gerade als er den Fuß der Klippen hinaufklettern wollte. Belsey fiel fluchend ins Wasser, und als Stockdale ihn auf die Felsen hievte, brüllte er:»Mein Arm! O Gott, mein Arm ist gebrochen.»
Bolitho erwachte nach und nach aus der Betäubung. Doch während er seinen Leuten Mut zusprach, empörte sich sein Verstand gegen die rauhe Wirklichkeit. Jemand hatte das Magazin in die Luft gejagt, ohne auf ihn und seine Abteilung zu warten. Die Tatsache, daß sie, wäre ihr Boot ein paar Minuten früher zurückgekehrt, mit dem Magazin in die Luft geflogen wären, schenkte ihm nur wenig Trost.
«Mir nach, Jungs!«rief er.»Wir klettern am Wasser entlang. Die Flut geht zurück. Wir werden also ganz gut zum Aufstieg kommen. «Er tastete sich voran und wußte, daß sie ihm folgen würden. Es blieb keine Wahl. Vom anderen Ende der Reede her hörte er wütende Schreie und das Geschmetter einer Trompete. Die Franzosen hatten zu viel mit sich selber zu tun, um sich um die Angriffsabteilung zu kümmern. Aber das würde nicht so bleiben, und die Rache würde sie schnell und endgültig erreichen.
Er hielt taumelnd an und blinzelte durch den beißenden Rauch. In dem blassen Frühlicht, das in die Schlucht fiel, erkannte er deutlich die Reste der Brücke. Es hatte also keinen Sinn mehr, die Stufen hinaufzuklettern. Es gab keinen Weg zurück zum Strand.
Ein Seemann stolperte benommen hinter ihm her und starrte mit weit aufgerissenem Mund auf die Trümmer der Brücke. Verzweiflung würgte ihn.»Ihr verfluchten feigen Hunde!»
«Ruhe!«Bolitho drängte ihn und die anderen zurück.»Zweifellos gab es einen guten Grund, die Brücke so früh zu sprengen. «Aber er sah den Ausdruck auf Stockdales Gesicht und wußte, daß Stockdale seine Lüge durchschaut hatte.
Belsey stöhnte und stützte sich haltsuchend auf Stockdale.»Sie lassen uns hier verrecken! Sind abgehauen, um ihre kostbare Haut zu retten.»
Bolitho hob die Hand.»Ruhe!«Er reckte den Hals.»Hört mal!»
Ein Matrose stieß hervor:»Da drüben, Sir. Ich habe es auch gehört. »
Sie kletterten über die rauchenden Brückentrümmer. Plötzlich fuhr der vorderste Matrose entsetzt zurück. Fähnrich Farquhar saß aufrecht an der rauhen Wand der Schlucht. Ein dicker Balken klemmte ihn fest, und dicht neben ihm lag ein säuberlich abgetrenntes Bein.
Farquhar öffnete die Augen und krächzte:»Gott sei Dank, Sir. Ich dachte schon, ich müßte hier allein sterben. «Er sah ihre Gesichter und quälte sich ein Grinsen ab.»Mein Bein ist das nicht, Sir. Es gehört unserem spanischen Gefangenen.»
Bolitho schaute sich um und blickte dann zum heller werdenden Himmel hinauf.»Gut. Hebt den Balken an, aber paßt auf. «Er kniete sich neben den Fähnrich und fuhr mit den Händen schnell unter den dicken Balken. Während er den eingeklemmten Körper abtastete, beobachtete er die verzerrten Züge Farquhars scharf.
«Scheint nichts gebrochen, Sir«, preßte Farquhar hervor. Er legte sich zurück und schloß die Augen, als die Männer den Balken anhoben.»Ich habe nach Ihnen Ausschau gehalten, Sir. Dann ging ich zum Magazin zurück und sah, daß die Lunte fast abgebrannt war. «Ihm brach beinahe die Stimme.»Ich griff mir unseren Spanier und rannte zur Brücke, aber gerade, als wir sie erreichten, ging das Ding hoch und stürzte in die Schlucht. «Er zuckte zusammen.»Und wir mit.»
Sie zerrten den Balken weg, und Bolitho biß die Zähne zusammen, als er die zermalmten Überreste des Gefangenen sah. Barsch fragte er:»Wie ist es passiert?»
Sie stellten Farquhar auf die Füße, aber seine Beine gaben sofort nach, und Stockdale sagte:»Na, ich übernehme den jungen Herrn, Sir.»
Farquhar klammerte sich an Stockdales Schulter.»Tut mir leid, Sir«, sagte er.»Es wird mir gleich besser gehen. «Ihm fiel Bolithos Frage ein, und er sagte:»Ich verstehe es auch nicht, Sir. Ich kann immer noch nicht glauben, daß es geschehen ist.»
Bolitho zog den Dolch aus Farquhars Gürtel und gab ihn einem Matrosen.»Hier, mach daraus eine gute Schiene für Mr. Belseys Arm. Das wird reichen, bis wir zur Phalarope kommen.»
Belsey beobachtete die ungelenken Finger der Männer und stöhnte.»Seht euch vor, zum Teufel!»
Bolitho ging langsam über den Steinwall. Vierzehn Mann, er mit eingeschlossen. Einer mit gebrochenem Arm und einer schon halb im Delirium, eine Kugel in der Schulter. Auch Farquhar sah aus, als würde er bald ohnmächtig werden.
Er versuchte, Bitterkeit und Mißtrauen zu verdrängen. Jetzt hatte er erst mal diese Männer in Sicherheit zu bringen.
Zweifellos war der übrige Teil des Landungskommandos schon wieder auf dem Lugger. Er war plötzlich ruhiger. Was auch geschehen würde, die Aufgabe war erfolgreich vollbracht, zwei Transporter und eine wertvolle Korvette waren zerstört. Und ohne Batterie war die Insel Mola für die Franzosen und ihre Verbündeten auf lange Zeit hinaus wertlos.
Stockdale rief heiser:»Das zweite Beiboot, Sir! Es muß doch noch an der Mole liegen!»
Bolitho kletterte über die nassen Steine und sah zu dem Boot hinunter. Viel los war nicht damit. Oft gebraucht und ausgebessert, nur vier Riemen, und um den Mast war nur für alle Fälle ein Fetzen Segeltuch gewickelt. Die Garnison hatte das Boot sicher nur zum Besuch der im Hafen verankerten Schiffe benutzt.
«Bring alle an Bord, Stockdale«, sagte er grimmig.»Wir müssen sehen, was sich machen läßt.»
Ein Sonnenstrahl brach plötzlich über das Vorgebirge und glitzerte auf dem Wasser. Mühelos erkannte Bolitho unter dem schaukelnden Boot ein Kanonenrohr der Batterie. Wäre es ein paar Fuß weiter heruntergestürzt, hätte es keinen Ausweg mehr gegeben.
«Vier Mann an die Riemen. Die übrigen schöpfen Wasser oder halten Ausschau.»
Belsey setzte sich mühsam auf und blickte auf seinen geschienten Arm. Er war mit allerlei Lappen und Hemden, die man in Streifen gerissen hatte, umwickelt und stand vom Körper wie eine Keule ab. Er schüttelte den Kopf.»Himmel! Möchte wissen, ob ich das Ding jemals wieder benutzen kann.»
«Ablegen! Riemen bei!«Bolitho hockte auf dem Dollbord und legte das Ruder hart an. Während das Boot mit der Strömung dahintrieb, starrte er zu dem schwarzen Kamm des Vorgebirges auf und fragte sich, was in jenen Minuten geschehen war, bevor Farquhar in den fast sicheren Tod stürzte.
Farquhar lehnte sich matt an die Bootswand und zischte:»Pull kräftiger, Robinson. Ich zieh dir bei lebendigem Leibe die Haut ab, wenn du nicht deine Pflicht tust.»
Bolitho lächelte, obwohl ihm elend zumute war. Die Erfahrungen hatten Farquhars Pflichtbewußtsein nicht geschwächt.
Die Riemen hoben und senkten sich gleichmäßig, und das
Boot entfernte sich immer weiter von der vorspringenden Landzunge und der darüberhängenden Rauchwolke.
Ein Mann im Bug sprach aus, was Bolitho dachte, und ausnahmsweise tadelte er ihn nicht. Der Matrose schaute über die rudernden Männer und fauchte:»Weg! Seht euch um, Jungs! Das verfluchte Schiff ist ohne uns davon!»
«Es muß um die Insel gesegelt sein, Sir«, sagte Farquhar erbittert.»Jetzt holen wir es nicht mehr ein.»
«Ich weiß. «Bolitho schützte die Augen gegen den blendenden Glast und sah nachdenklich auf den kurzen Mast.»Setzt das Segel, Jungs. Wir segeln zur nächsten befreundeten Insel. «Sein forscher Ton sollte Zweifel und Zorn verbergen.
Stockdale wischte dem verwundeten Matrosen mit einem nassen Lappen die Stirn und murmelte:»Ein Wunder käme uns jetzt zupaß, Sir.»
Bolitho zog seinen zerrissenen Mantel aus und blickte Stockdale ruhig an.»Ich fürchte, das ist nicht mein Gebiet, Stockdale, aber ich werde dran denken. «Er lehnte sich an die Pinne und steuerte der aufgehenden Sonne entgegen.
Leutnant Thomas Herrick hörte, wie die Glocke das Ende der ersten Hundewache schlug, und nahm dann seinen Gang über das Achterdeck wieder auf.