Bolitho war froh, daß die anderen sein Gesicht nicht erkennen konnten. Ein Wetterumschlag würde an Vibarts Entschlossenheit, einen Sieg zu erringen, wenig ändern. Seit vom Abhang zu den verborgenen Verteidigern hinabsignalisiert worden war, spürte er eine wachsende Verzweiflung und die peinigende Gewißheit, daß der Phalarope und ihrer Besatzung Unheil und Vernichtung bevorstanden. Doch er war machtlos, konnte keinem einzigen helfen. Das Schiff krängte in einem tiefen Wellental, und er fühlte plötzlich einen Druck an der Schulter. Die Andiron ruckte jetzt in regelmäßigen Abständen in die Kette ein. Er spürte, wie sich das Deck hob und dann wieder bebend zurückglitt. Er mußte an seinen Bruder denken und fragte sich, was Hugh in diesem Augenblick tat. Sein Eifer, das Enterkommando der Phalarope zu vernichten, würde durch die Sorge um die Sicherheit seines Schiffes ein wenig verdrängt worden sein. Zu jeder anderen Zeit hätte er bestimmt zur geschützteren Seite der Insel verholt. Sonderbar, wie der unerwartete Wetterumschlag seine Hand im Spiel hatte. Nicht daß er den Ausgang umwälzend verändern konnte. Er verlängerte nur die Qual des Wartens.
«Ich wünschte, irgend etwas würde geschehen«, sagte Farquhar.»Dieses Warten geht mir auf die Nerven.»
Bolitho drehte sich so, daß er den hellen Spalt in der Tür des Laderaums sah. Der Lichtstreifen erlosch, wenn der Wachposten draußen im schmalen Gang seinen Standort änderte. Als er seine verkrampften Glieder zurechtzurücken versuchte, fühlte er den warmen Stahl am Bein und entsann sich des versteckten Dolches. Was nützte er ihnen nun? Genausogut hätte er ihn in der Kajüte lassen können.
Merkwürdig, daß ihn die Wachen nicht untersucht hatten.
Aber sie waren so unverhohlen zuversichtlich — und das mit gutem Grund — , daß es eigentlich nicht anders zu erwarten gewesen war. Selbst sein Bruder hatte sich die Zeit genommen, noch einmal mit ihm zu reden, bevor er in den Laderaum hinuntergebracht wurde. Hugh Bolitho hatte den Degen seines Vaters umgeschnallt und ein Paar Pistolen im Gürtel. Der bevorstehende Kampf schien ihm neue Energien zu schenken.
«Nun, Richard, dies ist deine letzte Chance. «Er stand lässig auf dem schwankenden Deck, legte den Kopf schief und betrachtete seinen Bruder leicht belustigt.»Bloß eine Entscheidung, und es ist an dir, sie zu treffen.»
«Ich habe dir nichts zu sagen. Nicht jetzt. Nie. «Bolitho bemühte sich, den Degen zu übersehen. Er wirkte wie eine zusätzliche Beleidigung.
«Na gut. Nach diesem Gespräch sehe ich dich wahrscheinlich nur noch selten. Ich werde zuviel zu tun haben. «Er blickte zum drohenden Himmel empor.»Der Wind nimmt zu, aber ich rechne dennoch mit Besuchern. «Und härter:»Dann wirst du mit den französischen Befehlshabern zurechtkommen müssen. Ich muß mich mit der Andiron der vereinigten Flotte anschließen. «Er bemerkte die Wachsamkeit seines Bruders und fuhr gelassen fort:»Ich kann es dir sagen, Richard, weil du nicht in der Lage sein wirst, teilzunehmen. Der französische Admiral de Grasse vereinigt sich mit einem spanischen Geschwader. Sie werden Jamaika angreifen, zusammen mit unseren Schiffen. «Mit einer flüchtigen Geste demonstrierte er die Endgültigkeit der Unternehmung.»Ich fürchte, König Georg wird sich für seine Eroberungen andere Teile der Erde aussuchen müssen.»
Bolitho hatte zum Posten gesagt:»Ich möchte unter Deck«, und sein Bruder hatte ihm nachgerufen:»Du bist töricht, Richard. Und, was schlimmer ist, du hast unrecht.»
In dem schwankenden Laderaum fand Bolitho viel Zeit, sich mit der Bitternis und dem Gefühl der Niederlage herumzuschlagen. Plötzlich wurden die Türriegel mit metallischem Kratzen zurückgezogen, und Belsey knurrte:»Sie sehen wieder nach uns. Der Teufel soll sie holen. «Doch als der Laternenschein in den Raum fiel und sie blendete, konnte Bolitho nur überrascht ins Licht starren, denn Stockdale stand im Türrahmen, ein schweres Enterbeil in der Hand.
Bolitho kämpfte sich auf die Füße. Unter der pendelnden Laterne lag der Posten mit eingeschlagenem Schädel.»Tut mir leid, daß es so lange gedauert hat, Sir, aber ich mußte erst ihr Vertrauen gewinnen. «Stockdale grinste schüchtern.»Selbst jetzt bin ich mir noch nicht klar, ob ich das Richtige getan habe.»
Bolitho konnte kaum sprechen. Er packte Stockdale beim Arm und stieß hervor:»Du hast goldrichtig gehandelt, Stockdale, nur keine Sorge. «Und zu den anderen:»Stehen Sie zu mir?»
«Sie brauchen mir bloß zu sagen, was ich tun soll«, erwiderte Farquhar noch ganz benommen.
«Schnell, Stockdale!«Bolitho trat auf den Gang hinaus und spähte in das Dunkel hinter dem Laternenschein.»Erzähle, wie steht es?»
«Die da oben machen sich langsam Sorgen, Sir«, sagte Stockdale.»Kein Zeichen eines Angriffs, und das Schiff liegt wegen des Windes schlecht. «Er überlegte einen Augenblick.»Vielleicht könnten wir an Land schwimmen, Sir?«Er nickte aufgeregt, was nicht oft bei ihm vorkam.»Ja, mit etwas Glück würden wir es schaffen.»
Bolitho schüttelte den Kopf.»Nicht jetzt. Sie halten bestimmt Ausschau. Wir dürfen nicht an uns denken. Wir müssen versuchen, die Phalarope zu retten, ehe es zu spät ist.»
Stockdales Augen wanderten zu dem Leichnam zu seinen Füßen.»Wachablösung in einer halben Stunde, Sir. Da bleibt nicht viel Zeit.»
«Ach so. «Bolitho bemühte sich, seine Erregung und den Drang zu handeln zu unterdrücken und klare Gedanken zu fassen.»Mit der ganzen Mannschaft können wir nicht fertig werden, aber mit ein bißchen Glück können wir ihnen doch eine schöne Überraschung bereiten.»
«Ich würde gern ein paar von den Schuften mitnehmen!«sagte Belsey.
Bolitho zog den Dolch aus der Kniehose, er glänzte im Laternenschein.»Zeig uns den Weg, Stockdale. Wenn es uns gelingt, zur Back zu kommen, haben wir die Möglichkeit, für ein bißchen Abwechslung zu sorgen.»
Farquhar griff nach dem Entermesser des toten Wachtpostens und murmelte rauh:»Denken Sie an die Ankerkette, Sir?»
Bolitho warf ihm einen anerkennenden Blick zu.»Das Schiff reißt bereits hart am Anker. Wenn es uns gelingt, die Kette zu kappen, wäre es in ernster Gefahr. Unsere Leute sind irgendwo da draußen, und sie werden sich klarhalten, sobald sie die Andiron auf das Kap zutreiben sehen.»
«Die Andiron wird Segel setzen müssen«, stieß Belsey aufgeregt hervor.»Selbst dann schafft sie es womöglich nicht mehr rechtzeitig. Bei dem Wind aus dieser Ecke wird sie hart auf Grund laufen.»
«Verzeihung, Sir. «Stockdale sah Bolitho bekümmert an.»Aber vorne haben sie bereits eine starke Ankerwache, um gewappnet zu sein.»
Bolitho lächelte kalt.»Was mich nicht überrascht. «Er winkte den anderen.»Vorwärts, wir haben wenig Zeit. «Während sie durch den Gang schlichen, sagte er:»Erinnern Sie sich an den Neunpfünder auf der Back, Mr. Farquhar?»
Farquhar nickte, seine Augen funkelten.»Ja, Sir, eins der Buggeschütze.»
Bolitho blieb unter einem schmalen Niedergang stehen und sah zur Luke hinauf. Es konnte glücken. Sie konnten alle dabei draufgehen, aber er wußte, daß sich jeder darüber klar war.»Die Kanone ist dort hingebracht worden, als man nach den Beschädigungen durch die Phalarope die Reling reparierte. Wenn wir sie jetzt bei diesem Sturm losschneiden, rennt sie Amok wie ein verrückt gewordener Bulle.»
Belsey bleckte die Zähne.»Mein Gott, ein Neunpfünder wiegt über eine Tonne. Ihn wieder unter Kontrolle zu kriegen, erfordert allerlei.»
Bolitho sagte:»Wenn ich die Zurrings durchschneide, Stockdale, kannst du dann. .»
Stockdale griente.»Kein Wort weiter, Kapitän. «Er schwang die Axt.»Ein paar Minuten ist alles, was ich brauche.»
«Mehr als ein paar Minuten hast du auch nicht, mein Junge. «Bolitho schob sich die Leiter hinauf und spähte durch die Luke. Der Decksbereich lag verödet da. Er sah die nächste und letzte Leiter hinauf und sagte dann:»Bleiben Sie zurück, Belsey. Mit einem Arm können Sie nicht kämpfen.»