Neben ihm, als scharfer Kontrast, der zweite im Kommando: Sir Samuel Hood wirkte gelassen, während seine Blicke über die versammelten Offiziere glitten. Eine große arrogante Nase und eine hohe Stirn beherrschten das Gesicht. Neben seinen beiden Vorgesetzten sah Sir Robert Napier beinahe unbedeutend aus.
Sir George Rodney ließ sich in einen Sessel sinken und faltete die Hände im Schoß. Dann sagte er kurz:»Ich habe Sie hergebeten, um Ihnen mitzuteilen, daß nach allen Informationen die Franzosen und ihre Verbündeten versuchen wollen, die englischen Verbände im hiesigen Gebiet endgültig auszuschalten. «Er hustete und betupfte sich den Mund mit einem Taschentuch.»Graf de Grasse hat eine große Zahl Linienschiffe zusammengezogen, die stärksten Schiffe, die sich jemals unter einer Flagge versammelten. Wäre ich in seiner glücklichen Lage, würde ich nicht zögern, mich auf die Schlacht vorzubereiten. »
Er hustete wieder, und leichte Unruhe ergriff die Offiziere. Die Überbeanspruchung während all der Jahre des Planens und Kämpfern wühlte in Sir Rodney wie eine Messerklinge. Als er nach England segelte, glaubte jeder Offizier der westindischen Flotte, daß es seine letzte Reise würde. Alle erwarteten, daß ein anderer zurückkehren und seinen Platz einnehmen würde. Aber in diesem ermatteten Körper lebte eine Seele aus Stahl. Rodney wollte keinen anderen die Früchte seiner harten, aufopferungsvollen Arbeit in Westindien ernten lassen, und ebensowenig sollte ein anderer die Schmach und Schande möglicher Niederlage erleiden.
«Nach unseren Nachrichten will de Grasse mehr als einen bloßen Sieg auf See erreichen«, erklärte Sir Samuel Hood unbewegt.»Er hat nicht nur französische Truppen zusammengezogen, sondern auch die amerikanischen Kolonialisten mit Waffen versorgt. Er ist ein gewiegter und umsichtiger Stratege, und zweifellos gedenkt er, die bereits erzielten Erfolge auszubauen. «Er blickte über die ihm Zunächststehenden hinweg und richtet seine tiefliegenden Augen auf Bolitho.»Der Kapitän der Fregatte Phalarope hat zu diesen Informationen in nicht geringem Maße beigetragen, meine Herren.»
Einige Sekunden lang drehten sich alle nach Bolitho um, den die unerwartete Beachtung leicht verwirrte. Undeutlich nahm er die unterschiedlichen Reaktionen der anderen Offiziere wahr. Einige nickten anerkennend, während ihn andere mit kaum verhohlenem Neid musterten. Wieder andere studierten sein Gesicht, als versuchten sie, die tiefere Bedeutung der Bemerkung des Admirals zu ergründen. Ein kleines Lob von Hood — also vom großen Rodney gebilligt — kennzeichnete Bolitho als ernstzunehmenden Rivalen bei Beförderung und Auszeichnung.
Hood fügte trocken hinzu:»Jetzt, da Sie einander kennen, wollen wir fortfahren. Von heute an muß unsere Wachsamkeit erhöht werden. Unsere Patrouillen müssen jeden feindlichen Hafen beobachten und dürfen keine Mühe scheuen, mir ständig Meldung zu erstatten. Wenn de Grasse ausläuft, wird das schnell geschehen. Können wir seiner Herausforderung nicht mit den entsprechenden Mitteln begegnen und ihn zur Schlacht stellen, ist es aus mit uns, darüber muß sich jeder klar sein.»
Die tiefe Stimme dröhnte so durch die Kajüte, daß Bolitho das Gewicht der Worte fast körperlich fühlte. Unermüdlich und methodisch erläuterte der Admiral die bekannten Standorte von Versorgungsschiffen und feindlichen Einheiten. Man merkte ihm weder Anstrengung noch Ungeduld an, und nichts in seinem Verhalten verriet, daß er erst unlängst nach Antigua zurückgekehrt war, nachdem er St. Kitts lange gegen die gesamte militärische Kraft der Franzosen und der alliierten Flotte gehalten hatte.
«Ich wünsche, daß sich jeder von Ihnen gründlich mit meinem Signalcode vertraut macht«, schaltete sich Sir George Rodney ein. Er blickte scharf von einem zum anderen.»Ich werde nicht dulden, daß irgendein Offizier meine Signale mißversteht, und ebensowenig werde ich Entschuldigungen bei
Nichtbefolgung gelten lassen.»
Mehrere Kapitäne wechselten schnelle Blicke. Jeder kannte die Geschichte: als Rodney versuchte, den französischen Amiral de Guichen vor Martinique zu stellen, gelang das nicht, weil einige seiner Kapitäne seine signalisierten Befehle nicht verstanden oder befolgt hatten und jeder wußte auch, wie scharf er darauf reagiert hatte. Mehr als ein Kapitän lebte nun, auf Halbsold gesetzt, mit Schande bedeckt und von bösen Erinnerungen geplagt, kümmerlich in England.
«Achten Sie auf meine Signale«, fuhr er in ruhigerem Ton fort.»Wo und auf welchem Schiff auch meine Flagge weht, achten Sie auf meine Signale!«Er lehnte sich zurück und blickte zu den Decksbalken hoch.»Diesmal gibt es keine zweite Chance. Entweder gewinnen wir einen großen Sieg, oder wir verlieren alles.»
Er nickte Hood zu, der wieder das Wort nahm:»Die Befehle werden den dienstältesten Offizieren des Geschwaders unverzüglich übermittelt. Von dem Augenblick an, da Sie die Kajüte verlassen, hat die Flotte klar zum Auslaufen zu sein. Unsere patrouillierenden Fregatten und Korvetten haben die Aufgabe, wie Hunde vor den Schlupflöchern der Feinde zu lauern. «Er hieb mit der Faust auf den Tisch.»Stöbern Sie die Spur des Feindes auf, benachrichtigen Sie den Oberbefehlshaber, und die Jagd geht los!»
Beifallsgemurmel beschloß die Zusammenkunft. Leutnant Dancer sagte ungerührt:»Ob unser Geschwader dabei sein wird? Ich würde den Schlußakt gern miterleben.»
Bolitho nickte und lächelte insgeheim, weil er sich vorstellte, wie die winzige Witch of Looe de Grasses Dreidecker angriff. Laut sagte er:»Es sind immer zuwenig Fregatten. In jedem Krieg die gleiche Geschichte. Zu wenig und zu spät. «Doch es klang keine Bitterkeit mit. Die Phalarope wurde jetzt noch dringlicher als sonst benötigt. Bei den weiten Seegebieten gab es für jede Fregatte nur allzuviel zu tun. Er fuhr aus seinen Gedanken hoch, als ein Leutnant des Flaggschiffs auf ihn zutrat.
«Sir George Rodney möchte Sie sprechen.»
Bolitho rückte den Degen zurecht und schritt über den dicken Teppich. Am Tisch machte er halt und nahm das Scharren der hinausgehenden Schritte nur noch halb wahr. Dann schloß sich die Tür, und das Trillern der Pfeifen zeigte an, daß die Kapitäne das Flaggschiff verließen. Eine Sekunde lang fürchtete er, den Leutnant falsch verstanden zu haben.
Rodney saß noch immer in seinem Sessel. Mit halbgeschlossenen Augen starrte er zur Decke. Hood und Sir Robert Napier studierten, über einen in der Nähe stehenden Tisch gebeugt, eine Karte. Selbst die Ordonnanzen schienen zu beschäftigt zu sein, um den jungen Kapitän zu beachten.
Doch dann richtete Rodney die Augen auf den Wartenden.»Ich kenne Ihren Vater, Bolitho. Wir sind zusammen gefahren. Ein sehr tapferer Offizier und ein guter Freund. «Seine Augen wanderten langsam über Bolithos gebräuntes Gesicht und seine Gestalt.»Sie ähneln ihm, innerlich und äußerlich. «Er nickte.»Ich bin sehr froh, Sie zu meinen Offizieren zu zählen.»
Bolitho dachte an seinen Vater, der allein in dem großen Haus lebte und die Schiffe in der Bucht beobachtete.»Danke, Sir. Mein Vater bat mich, Ihnen Grüße auszurichten.»
Rodney schien nicht gehört zu haben.»Es gibt so viel zu tun. So wenige Schiffe für die vielen Aufgaben. «Er seufzte:»Es tut mir leid, daß Sie Ihrem einzigen Bruder auf solche Weise begegnen mußten. «Seine Augen ruhten fest auf Bolitho.
Bolitho merkte, wie Sir Robert, noch immer über die Karte gebeugt, wachsam zuhörte, und sagte:»Er glaubt, es sei recht und richtig, was er tut, Sir.»