Onslow fuhr herum. Seine Augen funkelten.»Bei Gott, ein Boot legt ab.»
Bolitho sah zum Ufer. Die Jolle der Phalarope kam vom Strand klar und bewegte sich auf das Schiff zu. Es saßen nur zwei Mann im Boot. Sicher war bei der Landungsabteilung Panik ausgebrochen, als die Leute sahen, daß die Phalarope ohne sie lossegeln wollte. Mehrere Meuterer waren bereits aufgeentert, und ein Klüversegel flatterte ungeduldig in der auffrischenden Brise. Bolitho bemerkte, daß immer mehr Leute am grünen Rand des hohen Ufers auftauchten. Die Klinge eines gezogenen Degens blitzte.
Onslow sagte langsam:»Laßt das Boot so nahe herankommen, daß wir es mit einem Neunpfünder beharken können. «Er grinste.»Holt den verdammten Mr. Vibart herauf. Wir wollen den Hunden ein Abschiedsgeschenk machen, an das sie sich erinnern!«Und zu Bolitho:»Gehenkt wird doch, und wer wäre da besser?»
Vier Mann waren nötig, um den Ersten Leutnant vom Niedergang heranzuschleifen. Seine Kleidungsstücke hingen in Fetzen. Das Gesicht war vor Schlagwunden kaum noch erkennbar. Einige Sekunden lang stierte er auf die Schlinge, die von der Großrah baumelte. Dann wandte er sich um und blickte zum Achterdeck hinauf. Erst jetzt bemerkte er Bolitho und die anderen. Eines seiner Augen war geschlossen, das andere richtete sich ohne Furcht oder Hoffnung fest auf Onslow.
«Na, Mr. Vibart«, rief Onslow,»dann wollen wir mal sehen, wie Sie zu unserer Melodie tanzen. «Einige lachten, als er hinzufügte:»Von da oben werden Sie einen hübschen Ausblick haben. »
«Lassen Sie ihn in Ruhe«, sagte Bolitho.»Sie haben mich, Onslow. Reicht Ihnen das nicht?»
Aber Vibart rief:»Sparen Sie Ihre Bitten für sich selber auf. Ich brauche Ihr verdammtes Mitleid nicht.»
Plötzlich brüllte jemand:»He, die in der Jolle sind Allday und Ferguson.»
Mehrere rannten zum Schanzkleid, und einer fing sogar an, Hurra zu rufen. Doch Onslow befahl heiser:»Bleibt bei der Kanone. Die beiden brauchen wir hier nicht.»
Bolitho beobachtete jede Bewegung. Ein anderer großer Matrose löste sich vom Ruder. Er kam näher und knurrte:»Das laß mal! Es ist Allday. Der war immer ein guter Kumpel. «Er blickte zum Hauptdeck hinunter.»Was sagt ihr, Jungs?»
Zustimmendes Gemurmel erklang, und Pochin sagte:»Ruft das Boot längsseits.»
Bolitho schlug das Herz wie ein Schmiedehammer. Die Jolle stieß an den Rumpf der Fregatte. Alles schwieg, während Allday und Ferguson an Bord kletterten. Dann beugte sich Pochin über die Querreling und rief:»Willkommen, John! Segeln wir also doch zusammen.»
Aber Allday blieb unter der Steuerbordlaufplanke stehen. Auf seinem emporgewandten Gesicht lag hell die Sonne.»Mit dem segle ich nicht!«Er deutete auf Onslow.»Er hat Evans ermordet und es mir in die Schuhe geschoben. Ohne Bryans Hilfe wäre ich am Galgen geendet.»
«Aber jetzt bist du frei«, entgegnete Onslow ruhig.»Ich habe nie vorgehabt, dich umzubringen. «Schweiß stand ihm auf der Stirn, und die Knöchel der Hand, die die Pistole umspannte, waren weiß.»Du kannst bei uns bleiben und bist willkommen.»
Allday schenkte ihm keine Beachtung. Er wandte sich an die Leute an Deck.»Da draußen sind zwei französische Fregatten, Jungs. Soll die Phalarope ihnen wegen dieses mörderischen Schweins in die Hände fallen?«Seine Stimme wurde lauter.»Und du, Pochin. Bist du so mit Blindheit geschlagen, daß du in deinen eigenen Tod rennst?«Er packte einen Mann beim Arm.»Und du, Ted, willst du das für den Rest deines Lebens mit dir rumschleppen?»
Alle redeten durcheinander, und selbst von oben kamen die Leute wieder herunter, um sich an der Auseinandersetzung zu beteiligen.
Bolitho warf Herrick einen Blick zu. Jetzt oder nie, zumal er zwei bewaffnete Matrosen nach achtern kommen sah, die wissen wollten, was los war: wahrscheinlich die Bewacher der übrigen Gefangenen. Doch Vibart handelte als erster. Die Matrosen um ihn herum hatten auf den zerschlagenen, blutenden Ersten Leutnant einen Augenblick nicht geachtet, als er auch schon aufbrüllend um sich hieb und seine Wächter zu Boden streckte. In der gleichen Sekunde brüllte Bolitho:»Neale! Jetzt, um Gottes willen!»
Noch während er rief, warf er sich von der Seite her mit aller Kraft gegen Onslow. Ineinander verklammert und mit Händen und Füßen aufeinander einhämmernd, rollten sie über das Deck.
Pook brüllte vor Wut auf, als Herrick ihm die Beine unter dem Leib wegschlug. Die Pistole an sich reißen und feuern, war für Herrick eins. Die Kraft des Schusses riß Pook von den Knien hoch und schleuderte ihn gegen die Karronade. Eine Gesichtshälfte und das Kinn waren nur noch blutige Fetzen.
Irgendwie gelang es Onslow, sich freizukämpfen. Mit einem gewaltigen Sprung über die Querreling landete er mitten unter den anderen Matrosen. Seit dem Pistolenschuß standen sie erstarrt wie Salzsäulen. Onslow packte ein Entermesser und rief:»Los, Jungs. Bringt die Hunde um!»
Bolitho ergriff Onslows Pistole, feuerte auf den Mann am Ruder und keuchte:»Nach achtern, Mr. Proby. Holen Sie Waffen!»
Auf der Back ertönte eine unregelmäßige Salve, und die verdutzten Meuterer wichen über das Hauptdeck zurück, als Seeleute durch die Luken herauf quollen; sie wurden von Steuermannsmaat Belsey geführt, dessen verwundeter Arm fest bandagiert war, während er mit der gesunden Hand eine Enteraxt schwang.
«Die Boote kommen, Sir«, rief Herrick. Er schleuderte die leere Pistole nach einem Meuterer und packte das Entermesser, das Proby ihm hinhielt.»Mein Gott, endlich die Boote!»
«Mir nach!«rief Bolitho. Er schwang das Entermesser wie eine Sense, stürmte den Niedergang hinunter und holte mit aller Kraft aus, als ein Mann mit einer Pieke auf ihn eindrang. Die starke Klinge des Entermessers grub sich dem Angreifer in den Hals, und Bolitho fühlte, wie ihm das warme Blut über das Gesicht spritzte.
Häßlich und verzerrt blendeten Gesichter auf, gingen jedoch in Schreien unter, als er sich quer über das Deck eine Gasse hieb, bis er bei Vibart anlangte, der gegen drei Meuterer kämpfte. Gerade als sein Entermesser einem Meuterer in die Schulter fuhr, sah er ein Messer in der Sonne aufblitzen und hörte Vibart vor Schmerz aufbrüllen. Er sank zu Boden. In eben dem Augenblick stürzten sich die aus dem Kabelgatt befreiten Männer in das Gefecht. Einige Meuterer warfen die Waffen hin und hoben die Hände. Bolitho glitt in einer Blutlache aus. Jemand half ihm auf die Füße. Es war Allday. Er dankte ihm keuchend.
Aber Allday blickte an ihm vorbei zur anderen Schiffsseite. Eingekreist von erhobenen Waffen und verlassen von seinen Mitverschworenen, stand Onslow mit dem Rücken gegen eine Kanone, das Entermesser noch in der Hand.
«Der gehört mir, Sir«, sagte Allday.
Bolitho wollte etwas erwidern, da hörte er Vibarts Stimme. Mit drei großen Schritten war er neben dem Ersten. Belsey und Ellice hielten Vibart bei den Schultern. Bolitho kniete sich neben den Verwundeten, dem ein dünner Blutfaden aus einem Mundwinkel rann. Vibart blickte zu Bolitho hoch. Er sah plötzlich alt und gebrechlich aus.
«Bleiben Sie still liegen, Mr. Vibart«, sagte Bolitho.»Das kriegen wir bald wieder hin.»
Vibart hustete. Das Blut floß ihm immer stärker über das Kinn.»Das nicht. Diesmal hat es mich erwischt. «Er wollte die Hand heben, schaffte es aber nicht. Der Arzt, den er nicht sehen konnte, schüttelte den Kopf. Nichts mehr zu machen.
«Sie haben sich tapfer gehalten«, sagte Bolitho.
Man hörte das Klirren von Stahl. Bolitho blickte über das Deck. Allday und Onslow umkreisten einander mit blanken Entermessern. Die anderen sahen stumm zu. Das war kein Kriegsgericht. Das war die Rechtsprechung des Unterdecks.
Bolitho blickte wieder zu Vibart hinunter.»Kann ich etwas für Sie tun?»
Schmerz verzerrte das Gesicht des Sterbenden.»Nichts. Sie nicht und auch kein anderer. «Er hustete wieder. Diesmal hörte der Blutstrom nicht auf. Vibart starb, als die zurückkehrenden Boote längsseits kamen und sich die Gangways mit atemlosen Leuten füllten.