Herricks Stirnrunzeln machte einem Ausdruck offener Bewunderung Platz.»Aye, aye, Sir.»
Bolithos Stimme riß ihn aus seinen Gedankengängen.»Ruhe! Die Franzosen brauchen nicht zu merken, was wir vorhaben.»
Die Geschützbedienungen krochen zur entgegengesetzten Seite hinüber. Die heiseren Drohungen der Stückmeister dämpften ihre Erregtheit.
Näher und näher. Ein paar Musketenkugeln pfiffen harmlos über ihre Köpfe hinweg, aber aufs Ganze gesehen wartete der französische Kapitän ab. Beide Schiffe waren gleich stark bestückt, und er konnte hoffen, daß der Bug und Vormast der
Phalarope die ersten Schläge abbekommen würden. Sein Schiff trieb langsam im Wind, und die längsseits liegende Witch of Looe minderte das Schaukeln und Schlingern, wofür die französischen Kanoniere dankbar waren. Schwaches Hurrarufen wurde von neuerlichem Musketenfeuer übertönt.
«Die Leute der Brigg jubeln uns zu, Sir«, stotterte Proby.
Bolitho tat, als höre er nicht. Ein einziger Irrtum, und sein Schiff würde zu Kleinholz zerhackt werden. Fünfzig Yards, dreißig Yards. Bolitho hob die Hand. Quintal hockte sprungbereit. Eine Hand lag auf der Schulter eines Matrosen an den Brassen.
«Jetzt!«befahl Bolitho.
Proby griff mit in die Speichen des Rades, und unter dem Kreischen der Blöcke begannen die Rahen herumzuschwenken. Die Segel klatschten protestierend, reagierten aber auf Wind und Ruder.
«Ausrennen!«Eiskalt verfolgte Bolitho, wie die Backbordkanonen über die gesandeten Planken quietschten.»Feuert, was die Rohre hergeben!»
Bolitho hämmerte auf die Reling und zählte ungeduldig jede Sekunde. Einen Augenblick lang glaubte er, den Kurswechsel falsch angesetzt zu haben. Doch während er atemlos wartete und kaum hinzuschauen wagte, schwang der Bugspriet gemächlich über das hohe Heck des Franzosen und hätte fast eine Gruppe Matrosen von den Schutznetzen gefegt.
Herrick rannte von einer Kanone zur anderen, um darauf zu achten, daß auch bestimmt jeder Schuß saß. Er hätte sich die Mühe sparen können. Während die überraschten französischen Kanoniere verwirrt von der anderen Seite herübergerannt kamen, schlugen die ersten Schüsse krachend in den Rumpf der französischen Fregatte. Die Phalarope erbebte, als sie gegen die Witch of Looe stieß, zog aber weiter an der kleinen Brigg vorbei, während ihre Geschütze Feuer und Tod spien, hinweg über die Köpfe der verdutzten Enterer und die der restlichen Briggbesatzung.
Bolitho zuckte zusammen, als sich die Neunpfünder auf seinem Achterdeck an dem Getöse zu beteiligen begannen. Das französische Schiff antwortete noch immer nicht. Bolitho hatte richtig ve rmutet. Die Kanonen starrten so untätig in die Schläge der Phalarope, weil ihre Bedienungen mit auf die Witch of Looe geentert waren.
Große Teile des Schanzkleids der französischen Fregatte wurden aufgerissen. Zersplitterte Planken wurden wie von unsichtbarer Hand hochgeschleudert. Eine Axt blitzte auf, und Bolitho rief:»Sie wollen klarkommen. «Er zog den Säbel.»Hinüber, Jungs. Enterer vorwärts!»
Die Phalarope kam längsseits der Witch of Looe langsam zum Stehen. Ihr Bug verfing sich in den herabgestürzten Tauen und Spieren der Brigg. Bolitho rannte die Laufplanken auf der Backbordseite hinunter und kletterte auf das schräg liegende Deck der Witch of Looe hinüber. Zuerst folgte ihm niemand. Doch dann sprangen die wartenden Matrosen unter lautem Gebrüll hinter ihm über das Schanzkleid.
Die Franzosen sahen sich zwischen dem wilden Geschützfeuer und den wieder aufflackernden Aktionen der Briggbesatzung eingezwängt. Die meisten ergaben sich und hoben die Hände, doch Bolitho stieß sie beiseite. Sein hocherhobener Degen wies seinen Leuten den Weg.»Vorwärts, Jungs! Wir nehmen die Fregatte. «Sich mit den Enterern zu befassen, dazu blieb später noch Zeit genug.
Der Widerstand auf dem von Schüssen zerfetzten Deck der Fregatte war wild und entschlossen. Wüst verzerrte Gesichter schwammen an Bolitho vorbei, als er sich seinen Weg zum Heck bahnte. Immer wieder rutschte er auf der dicken Blutschicht aus, die das Deck wie frische Farbe überzog.
Das Oberdeck des Feindes war im Augenblick des Angriffs voller Menschen gewesen. Zur normalen Bemannung kamen die Enterer, die von der Witch of Looe zurückkommandiert worden waren, und die Kanoniere, die der plötzliche Kurswechsel der Phalarope überrascht hatte. In dieses verfilzte Durcheinander von Leibern war die volle Kraft der Breitseite geschlagen. Alle Zwölfpfünder der Backbordbatterie hatten gefeuert, dazu die Achterdeckgeschütze, jede Kanone mit Doppelkugeln und breit streuenden Kartätschen geladen. Das Deck des Franzosen sah aus, als habe ein Irrer ganze Fässer voller Blut ausgegossen. Sogar die unteren Segelbahnen waren rotgefleckt, und über dem zersplitterten Schanzkleid und den hochkant stehenden Kanonen hingen zerfetzte Körperteile.
Ein französischer Offizier, der aus einer Kopfwunde blutete und dessen schmaler Säbel fast bis zum Heft voller Blut war, stellte sich Bolitho in den Weg. Bolitho hob seinen Degen, doch der Franzose parierte den Schlag. Sein Gesichtsausdruck wechselte von Angst zu Frohlocken. Bolitho wollte Raum gewinnen, aber die ringsum kämpfenden Leute engten seine Bewegungsfreiheit ein. Er konnte den Degen nicht schnell genug heben. Er sah den Franzosen ausholen, hörte den Stahl herabsausen und wartete auf den Hieb. Statt dessen verzerrte sich das Gesicht des Franzosen vor Schreck. Denn ein kampfbesessener Seesoldat brach durch die Menge, sein aufgepflanztes Bajonett wirkte wie ein Speer. Der Franzose holte nach dem neuen Gegner aus, aber es war zu spät. Der Seesoldat stieß mit solcher Wucht zu, daß sein Bajonett den Franzosen an der Heckreling festnagelte. Der Seesoldat brüllte im Blutrausch auf und stemmte dem Franzosen den Fuß auf den Leib, um sein triefendes Bajonett herauszureißen. Der französische Offizier sackte langsam zusammen, sein Mund schnappte wie der eines sterbenden Fisches. Der Seesoldat stierte ihn an, als sähe er ihn zum ersten Mal, und stieß nochmals zu.
Bolitho packte ihn beim Arm.»Um Gottes willen, Mann, es reicht!«Der Seesoldat schien nicht zu hören. Dann, nach einem verdutzten Blick in das Gesicht seines Kapitäns, warf er sich von neuem verbissen und haßerfüllt in den Kampf.
Der Kapitän der Fregatte lag auf dem Achterdeck, ein junger Leutnant hielt ihn bei den Schultern. Jemand band eine Aderpresse um den zerschmetterten Stumpf seines Beins. Der Kapitän war kaum bei Bewußtsein.
«Streichen Sie die Flagge, Kapitän!«rief Bolitho.»Streichen Sie die Flagge, solange noch ein paar von Ihren Leuten am Leben sind. «Er erkannte seine eigene Stimme nicht. Die Hand, die den Degengriff umklammerte, war schweißnaß. Er mußte an den Seesoldaten denken und wußte, wie schnell auch ihn der Blutrausch packen konnte.
Der französische Kapitän brachte eine schwache Geste zustande, und der Leutnant stieß hervor:»Wir streichen die Flagge, M'sieur. Wir streichen.»
Selbst nachdem die weiße Flagge an Deck flatterte und die Leute Mann für Mann vom Geschäft des Tötens zurückgerissen worden waren, brauchten die Männer der Phalarope Zeit, um zu begreifen, daß der Kampf gewonnen war.
Dancer von der Witch of Looe gratulierte Bolitho als erster. Er blutete aus mehreren Wunden. Einen Arm hatte man ihm mit einem Tampen über der Brust festgebunden. Die gesunde Hand streckte er Bolitho entgegen, als er über das zersplitterte, blutbefleckte Deck auf ihn zuhinkte.»Danke, Sir. Das war Rettung in höchster Not!»
Bolitho schob den Degen in die Scheide.»Ihr Schiff wird sinken, fürchte ich. «Seine Augen glitten über die zerfetzten Segel der französischen Fregatte.»Aber Sie haben es teuer verkauft.»