Dancer schwankte und griff nach Bolithos Arm.»Ich wollte Sir Robert benachrichtigen. Die Franzosen sind ausgelaufen, Sir. «Er kniff die Augen zusammen und versuchte, seine Gedanken zu ordnen.»Vor drei Tagen stießen de Grasses und Rodneys Flotten aufeinander. Nach einem kurzen Treffen auf weite Entfernung brach de Grasse die Schlacht ab. Ich habe versucht, die Franzosen im Auge zu behalten, und heute morgen entdeckte ich die gesamte Flotte nordwestlich von Dominica. «Er hob den Kopf.»Ich glaube, es ist Sir George Rodney gelungen, die Franzosen wieder zu stellen, aber genau weiß ich es nicht. Diese Fregatte erwischte mich, ehe ich das Geschwader wieder erreichen konnte. «Er lächelte kläglich.»Und nun habe ich nicht mal mehr ein Schiff.»
Bolitho legte die Stirn in Falten.»Haben Sie genug Leute, um diese Fregatte als Prise zu bemannen?»
Dancer blickte Bolitho verwundert an.»Aber es ist Ihre Prise,
Sir.»
«Nun, die finanzielle Seite der Angelegenheit können wir später diskutieren, Leutnant. «Bolitho lächelte.»Inzwischen schlage ich vor, Sie scheuchen die Gefangenen nach unten und laufen, so schnell es Ihnen diese Segelfetzen erlauben, auf einen sicheren Hafen zu. «Er sah durch den Qualm nach oben.»Der Wind hat bereits auf Südost gedreht. Damit kommen Sie von der bevorstehenden Schlacht klar.»
Herrick stolperte über die Leichen heran. Der Degen baumelte ihm am Handgelenk. Er salutierte.»Wir haben eben die Cassius gesichtet, Sir.»
«Sehr gut. «Bolitho drückte Dancer die Hand.»Vielen Dank für die Nachrichten. Zumindest rechtfertigen sie, daß Sir Robert die ihm zugewiesene Station verlassen hat. «Er machte kehrt und kletterte über die sinkende Brigg auf sein eigenes Schiff zurück.
Tief in Gedanken schwang er sich über das Schanzkleid und ging die Gangway entlang. Die Kanoniere sahen zu ihm hoch. Die Scharfschützen der Seesoldaten, hoch in den Toppen, und die kleinen Pulveräffchen an der Magazinluke, alle starrten auf die schlanke, einsame Gestalt, die sich vor den zerrissenen Segeln des eroberten Franzosen abhob. Ein schneller, unglaublicher Sieg. Kein einziger Mann beim Angriff verletzt oder getötet, und nicht der geringste Schaden am Schiff selbst. Einige gute Leute waren beim Kampf auf der feindlichen Fregatte gefallen. Aber der Erfolg wog solchen Verlust bei weitem auf. Eine Fregatte als Prise erbeutet. Die Witch of Looe, wenn auch nicht gerettet, so doch gerächt. Und das alles in einer Stunde.
Doch von alledem dachte Bolitho nichts. Vor seinem geistigen Auge sah er die Seekarte und verfolgte darauf, wie die feindliche Flotte in unaufhaltsamem Drang auf die offene See hinausstrebte, direkt auf Jamaika zu.
Auf dem Hauptdeck ertönte eine Stimme. Bolitho drehte sich überrascht um.
«Drei Hurras, Jungs. Drei Hurras für unseren Kapitän!»
Während die ungestümen Rufe die Luft erzittern ließen, blickte Bolitho zum Achterdeck. Herrick und Rennie grinsten ihn unverhohlen an. Neale und Maynard schwenkten die Hüte gegen die Mannschaft auf dem unteren Deck. Es traf Bolitho völlig unvorbereitet, und er war verwirrt. Während die Hurrarufe in ein wildes Durcheinander übergingen, trat Herrick an Bolitho heran und sagte:»Gratuliere, Sir. Gratuliere.»
«Was ist heute bloß in die Leute gefahren?»
«Sie haben ihnen mehr als einen Sieg geschenkt, Sir. Sie haben ihnen ihre Selbstachtung zurückgegeben.»
Die Hurrarufe erstarben wie auf ein Signal hin, und Herrick sagte:»Die Leute möchten ein paar Worte von Ihnen hören,
Sir.»
Bolitho trat an die Querreling und ließ die Augen über die vertrauten Gesichter wandern. Diese Männer — seine Männer! Die Gedanken wirbelten wie Schatten durch sein Gehirn. Laß sie hungern, laß sie prügeln. Setze sie dem Skorbut aus, Krankheiten, einem hundertfachen Tod. Dennoch lassen sie dich hochleben. Er umklammerte fest die Reling und starrte über die Mannschaft. Er sprach leise, und die entfernteren Leute beugten sich vor, um ihn besser zu verstehen.
«Heute haben wir mit einer französischen Fregatte gekämpft und gesiegt. «Er sah, daß sich einige anstießen und wie Kinder grinsten.»Wichtiger ist mir jedoch die Tatsache, daß wir als geschlossene Einheit kämpften, so wie ein Schiff des Königs kämpfen sollte und auch muß. «Mehrere ältere Seeleute nickten, und Bolitho sammelte alle Kraft für das, was er ihnen zu sagen hatte. Es lag kein Sinn darin, die Leute bloß zum Kampf aufzurufen. Sie brauchten Führung. Es war ein Akt wechselseitigen Vertrauens. Er räusperte sich.»Seht ihr ein feindliches Schiff vor euch, und fliegen die Kugeln über eure Köpfe, kämpft ihr aus verschiedenen Gründen. «Seine Augen wanderten über die gebräunten, erwartungsvollen Gesichter.»Ihr kämpft aus Kameradschaftsgefühl, um euch gegenseitig zu schützen und um gefallene Freunde zu rächen. Oder ihr kämpft aus Angst. Aus einer Angst, die Haß gegen den Feind gebiert, der stets gesichtslos, aber immer gegenwärtig ist. Und vor allem kämpft ihr für euer Schiff. «Er machte eine weitausholende Geste.»Es ist unser Schiff und wird es bleiben, solange wir den Willen haben, für das zu leben und zu sterben, was recht ist.»
Hurrarufe ertönten, doch Bolitho hob den Arm. In seinen Augen lag plötzlich Trauer.»Das kurze Gefecht heute war nur der Auftakt. Ich kann euch nicht sagen, wie sich unsere kleinen Taten in den großen Schlachtplan einfügen, weil ich es nicht weiß. Ich weiß nur, daß die Pflicht von uns verlangt zu kämpfen, wie wir noch nie gekämpft haben.»
Die Leute folgten jetzt jedem Wort mit größter Aufmerksamkeit, und Bolitho fügte nur ungern hinzu, was noch gesagt werden mußte.»Heute früh war das Glück auf unserer Seite. Aber ehe der Tag zu Ende geht, werden wir weit mehr als Glück benötigen. «In diesem Moment erbebte die Luft durch ein dumpfes Rumpeln. Während die Mannschaft über die eroberte Fregatte hinweg in die Ferne starrte, verstärkte es sich zu einem dunklen, drohenden Grollen, es klang wie Donner über fernen Bergen. Bolitho fuhr fest fort:»Da drüben, Jungs, ist der Feind.»
Plötzlich fuhr ihm ein warmer Windstoß über den Nacken. Bolitho schaute auf. Die niedrige Wand aus wallendem
Frühnebel begann sich aufzulösen. Für eine Minute waren die beiden Fregatten mit dem sinkenden Wrack der Witch of Looe eine Welt für sich. Auf der einen Seite der von Sonnenbahnen durchschossene Nebel, auf der anderen die offene See; hinter der scharfen Kimmlinie war die Nacht weggetaucht, und jetzt schimmerten über den Horizont die Bramsegel der Cassius wie rosafarbene Muscheln in der Morgensonne. Dann hob sich der Nebel, und ihre kleine Welt zerbrach.
Im Südosten machte Bolitho eine niedrige Landzunge der dunstverschleierten Künste von Dominica aus. Nach Norden zog sich die verstreute Inselgruppe der Saintes. Und dazwischen keine Spur von Horizont. Es war ein so gewaltiger und großartiger Anblick, daß niemand ein Wort sagen konnte. Von einer Seite zur anderen, so weit das Auge reichte, lag auf dem blauen Wasser eine geschlossene Linie von Schiffen. Zwischen den einzelnen, hochgetürmten Segelpyramiden schien nicht die kleinste Lücke zu klaffen. Das zunehmende Sonnenlicht beleuchtete das scheinbar unbewegte Panorama dieser Armada. Das Bild erinnerte Bolitho an ein altes Gemälde, das er als Kind gesehen hatte: ein Gemälde der gewappneten Ritter bei Agincourt. Er sah noch jetzt die mit Wappendecken und glänzenden Mantelsäcken geschmückten großen Pferde und die stolzen Wimpel und Banner, die an den Lanzen flatterten, als die Panzerreiter sich sammelten, um die dünne Linie der englischen Bogenschützen anzugreifen.
Fast verzweifelt sah er zu seiner von dem Anblick gebannten Besatzung hinunter.»Na, Jungs, was sagt ihr dazu?«Er deutete auf die schimmernde Phalanx.»Hinter dieser Flotte, fünftausend Meilen weit weg, liegt England. Und in unserem Rücken liegt Jamaika. «Er zeigte auf die Decksplanken.»Und unter uns sind tausend Faden Wasser. «Er beugte sich vor. Seine Augen blitzten plötzlich fordernd.»Was soll es also sein, Jungs?»