«Klar zum Schuß, Sir!«brüllte McIntosh wie ein Verrückter.
Bolitho zog den Degen.»Einen Strich nach Backbord, Mr. Proby. «Er wartete, bis der Klüver flatterte. Der Degen sauste herab.»Feuer!»
Beide Karronaden feuerten fast gleichzeitig. Herrick spürte, wie das Deck unter ihm erbebte. Als der Qualm der Abschüsse fortwirbelte, schaute er zum Heck des Franzosen hinüber und vergaß einen Augenblick die ringsum wogende Schlacht. Noch vor wenigen Sekunden, als das Heck aus dem Qualm auftauchte, hatte er die breiten Kajütenfenster mit den lebensgroßen Figuren zu beiden Seiten gesehen, vollbrüstige Seejungfrauen, jede mit einem Dreizack. Zwischen ihnen stand auf einem breiten Schild in Rot und Gold der Name: Ondine. Das Schiff war ihm machtvoll und unzerstörbar vorgekommen. Doch nun, als der Rauch der Karronadenabschüsse abgezogen war, wirkte das Heck durch die gezackten Einschlußlöcher wie die brandige Pforte zu einer vom Feuer zerfressenen Höhle. An den Schrecken und das Chaos drinnen konnte er nur kurz denken, denn ein Windstoß füllte die Segel der Phalarope. Das Deck krängte, und mit hart gelegtem Ruder schwang sie in engem Bogen um das Backbord-Achterdeck des feindlichen Schiffes.
«Achtung!«Herricks Augen glitten über die kauernden Stückmeister.»Feuer aus allen Rohren!»
Die ersten Kanonen der Steuerbordbatterie feuerten auf einmal, die anderen folgten ungleichmäßiger, wie die
Abzugsleinen nacheinander gezogen wurden. Die Doppelladungen donnerten in den dicken Rauch längsseits, und ein paar Leute riefen Hurra. Doch der durch die Stückpforten zurückwirbelnde Pulverqualm erstickte die Rufe, und sie fluchten.
«Nachladen!«brüllte Herrick.»Nachladen und ausrennen!«Die Phalarope glitt in kaum zwanzig Fuß Entfernung neben dem Franzosen vorbei; Herrick sah die dicht gedrängten Köpfe über dem hohen Schanzkleid und das Mündungsfeuer der Gewehre, die aus der Takelage auf die Phalarope schossen. Doch das untere Kanonendeck mit seiner Reihe mächtiger Geschütze blieb stumm. Kein einziger Schuß kam von dort als Antwort. Die Ladung der Karronaden mußte dort alles niedergemäht haben.
Aber Herrick sah auch, daß sich die Kanonen des Oberdecks wieder durch die Stückpforten schoben. Beinahe sofort feuerte die gesamte Oberdeckbatterie eine betäubende Breitseite. Herrick taumelte zurück. Das Krachen der Kanonen und das dämonische Heulen der Kugeln, die über ihn hinwegjaulten, lahmten ihn fast. In die auf Bolithos Befehl über dem Hauptdeck ausgespannten Netze regneten Holzstücke, Blöcke, zerfetzte Teile der Takelage und ganze Streifen geschwärzter Leinwand. Doch zu Herricks Verwunderung hatte die schlechtgezielte Breitseite nichts getroffen, was die Manövrierfähigkeit der Phalarope beeinträchtigt hätte. Kein Mast war gestürzt, keine Spiere gebrochen. Hätte die untere Batterie gefeuert, sagte Herrick sich, wäre die Steuerbordwand der Phalarope mit allen Stückpforten jetzt total zerschmettert.
Die Stückmeister brüllten wie die Teufeclass="underline" »Ausrennen! Legt euch in die Taljen! Zurück!«Dann rissen sie die Abzugsleinen, und die Kanonen rumpelten durch den Rückstoß so weit nach hinten, wie die Taljen es erlaubten.
Ein Gewehr knallte neben Herrick auf die Planken. Er starrte nach oben und blickte in die gebrochenen Augen eines Seesoldaten, den ein feindlicher Scharfschütze vom Großmast geholt hatte, und der ins Netz gestürzt war. Er vergaß den Seesoldaten sofort, denn Schrecklicheres erforderte seine Aufmerksamkeit. Im Rauch sah er plötzlich den Besanmast der Ondine, der sich wie ein gefällter riesiger Baum neigte. Es war unmöglich, aber es geschah: Mast, Marsstenge und Bramstenge samt Leinwand und laufendem und stehendem Gut hingen eine Sekunde wie in starkem Wind in der Luft. Unter den Schreckens- und Verzweiflungsschreien der in den Wanten verstrickten Matrosen senkte er sich und stürzte quer über das Achterdeck der Phalarope. Ihr Rumpf erzitterte, als wäre die Fregatte auf ein Riff gelaufen. Herrick rannte nach achtern zum Niedergang und merkte, daß die Phalarope vom Flaggenknopf bis zum Kiel bebte und langsam nach Steuerbord schwoite. Der gefällte Mast verklammerte beide Schiffe durch eine feste Brücke miteinander. Während eine neue Musketensalve fußlange Splitter aus den Planken riß, kämpfte sich Herrick den Niedergang hinauf.
Das Achterdeck bot ein Bild der Zerstörung. Eine Rah war mitten in Rennies Seesoldaten geschlagen. Herrick kehrte dem Entsetzen den Rücken, als Sergeant Garwood brüllte:»Achtung, kümmert euch jetzt nicht um die Verwundeten!«Er musterte die Reste seiner Abteilung.»Gebt Schnellfeuer auf das Heck!«Eine Rauchwolke verschluckte ihn, denn die Kanonen der Fregatte feuerten von neuem. Die Kugeln krachten in den Rumpf der Ondine, der an der schmälsten Stelle etwa zehn Fuß entfernt war.
Herrick zwängte sich an den Seeleuten vorbei, welche die französische Takelage kappten, und kniete sich neben Bolitho. Zuerst meinte er, den Kapitän habe eine Musketenkugel getroffen, doch als er ihm den Arm unter die Schulter schob, öffnete Bolitho die Augen und setzte sich auf. Er blinzelte in Herricks besorgtes Gesicht und sagte dann:»Lassen Sie weiterfeuern, Mr. Herrick!«Er sah zum längsseits liegenden feindlichen Schiff hin und kämpfte sich auf die Füße.»Wir müssen jeden Enterversuch vereiteln. «Er griff nach seinem Degen und rief heiser:»Kappt die Wrackstücke. Wir müssen klarkommen.»
Okes stolperte durch den Rauch, Hose und Rock blutbespritzt. Sein Gesicht schien bloß aus Augen zu bestehen. Er rief etwas, aber Herrick hörte es nicht. Bolitho machte eine Bewegung mit dem Degen.»Mr. Okes, nehmen Sie die Leute von der Backbordbatterie und bereiten Sie alles vor, um Enterer zurückzuwerfen. «Er schüttelte den Leutnant wie einen Hund.»Haben Sie gehört, verdammt noch mal?»
Okes nickte heftig. Ein Speichelfaden lief ihm über das Kinn.
Bolitho stieß ihn zum Niedergang, doch Herrick sagte hastig:»Ich werde es übernehmen, Sir.»
«Nein, das werden Sie nicht!«Bolitho blickte sich wild um.»An Ihre Kanonen! Lassen Sie feuern. Das ist unsere einzige Chance.»
Im selben Augenblick meldeten sich die Kanonen der Ondine wieder. Herrick wich zurück, als ihm die Salve wie ein Gluthauch das Gesicht versengte.
Die Matrosen, die eben noch die Wanten des auf die Phalarope gestürzten Besan gekappt hatten, waren jetzt nur noch eine zu Brei zermalmte Masse, hinter der ein Loch im Leeschanzkleid klaffte.
Bolitho brüllte Herrick ins Ohr:»Das nächste Mal kommen wir nicht so glimpflich davon!»
Herrick rannte den Niedergang hinunter. Er sah nicht nach rechts oder links, als der Rumpf der Fregatte durch weitere schwere Einschüsse wie unter wuchtigen Hammerschlägen erzitterte. Er lief durch den Pulverqualm, die Augen tränten ihm, und seine Kehle war wie ausgedörrt. Er rief den pulvergeschwärzten Geschützbedienungen Ermunterungen zu, die aber unbeachtet blieben.
Farquhar packte Herrick beim Arm.»Wir werden nie rechtzeitig klarkommen. «Er deutete auf das untere Kanonendeck der Ondine. »Die schweigen nicht ewig.»
Herrick gab keine Antwort. Der Wind stand zum Feind. Und da der gestürzte Mast das Achterdeck der Phalarope festhielt, schwoite ihr Bug auf den Rumpf der Ondine zu. Durch den Rauch sah er, wie Matrosen des Zweideckers nach vorn rannten, auf den Punkt zu, wo die Schiffe zusammenprallen würden. Die durch den Qualm dringenden Sonnenstrahlen blitzten auf erhobenen Waffen.