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Vibart wußte alles, selbst den Zeitpunkt. Atemlos wartete er in seiner Kabine, mit den Seesoldaten, deren Sergeant einer seiner willigen Helfer war, an seiner Seite. Der Plan war so einfach, daß Vibart am liebsten gelacht hätte.

Die Meuterer würden das Achterdeck stürmen und die Wache überwältigen. Statt Alarm zu schlagen und so Pomfret den Vorwand für eine neue blutige Raserei zu geben, würde Herrick versuchen, die Leute zu beruhigen, indem er sich ihre Beschwerden anhörte. Aber die Meuterer würden ihn töten, und dann konnte Vibart hinaufstürmen und das Achterdeck mit

Musketenfeuer freifegen.

Bei der Verhandlung vor dem Kriegsgericht würde selbst der voreingenommenste Admiral erkennen müssen, daß Vibart das Schiff gerettet hatte, als einer der Offiziere mit seiner Wache bereits niedergemacht war und der Kapitän betrunken in seiner Koje schlief.

Selbst jetzt, auf dem feuchten Abhang, konnte sich Vibart an das Geräusch seines Atems in der Kajüte erinnern. Hörte nochmals, wie die Meuterer verstohlen heranschlichen, gerade als es am Bug zwei Glasen schlug. Doch es gab keine Schüsse, keine Schreie. Weder das Klirren von Stahl, noch Herricks Todesröcheln.

Als er schließlich, unfähig, seiner Besorgnis länger Herr zu werden, an Deck kroch, fand er Herrick auf seinem Posten und das Hauptdeck öde und leer.

Der junge Leutnant hatte ihm von dem Vorfall berichtet: eine» Deputation «aus Besorgnis wegen des sterbenden Fisher. Das war alles. Vibart drang weiter in ihn, doch Herrick blieb fest, und sein Zorn schlug in Verachtung um, als seine Blicke auf Vibarts geladene Pistolen und den Sergeanten der Seesoldaten an der Kajütentür fielen.

Am nächsten Morgen raste Pomfret, als wäre tatsächlich eine Meuterei ausgebrochen.»Beschwerden?«hatte er Vibart quer durch die breite Kajüte angebrüllt.»Die Kerle wagen es, sich zu beschweren?«Ohne daß ihm etwas eingeblasen werden mußte, betrachtete er das Verhalten der Männer als Anschlag auf seine Autorität.

Schließlich wurde die Fregatte zur kriegsgerichtlichen Untersuchung nach Portsmouth beordert, und Vibart schöpfte neue Hoffnung. Alles ging sehr schnell. Die Unruhestifter wurden vom Schiff geholt und die Fregatte für einen langen Einsatz ausgerüstet. Pomfret war in seiner Kajüte geblieben. Mürrisch hatte er vor sich hingebrütet, bis man ihn abkommandierte. Aber für ihn, Vibart, war kein Beförderungsschreiben eingetroffen. Kein eigenes Kommando, weder über die Phalarope noch über ein anderes Schiff.

Er stand wieder genau da, wo er gestanden hatte, als er zu Pomfret auf die Fregatte kam. Nur daß Bolitho, der neue Kapitän, eine völlig andere Persönlichkeit als Pomfret war.

Er schüttelte die Gedanken ab, als Maynard atemlos rief:»Sir,

Signal vom Hügel!»

Vibart zog seinen Degen und hieb damit in einen kleinen Busch.

«Hat der Kapitän also richtig vermutet. «Er schwenkte den Arm in einem Halbkreis.»Vorwärts, Leute. Pflanzt euch beiderseits der Straße auf und wartet, bis Mr. Farquhars Abteilung ihnen den Rückweg verlegt hat. Ich möchte nicht, daß einer entwischt. «Die Männer nickten und stolperten auf die Büsche zu. Sie schwangen ihre Knüppel und rückten die Gürtel mit den Entermessern zurecht.

Das eigentliche Zusammentreffen überraschte selbst Vibart. Die Leute kamen wie sorglose Spaziergänger dahergeschlendert und nicht wie Männer, die der Zwangsrekrutierung entwischen wollten. Es waren ungefähr fünfzig. Dicht beisammen kamen sie den schmalen Weg entlang. Sie plauderten, manche sangen sogar, während sie sich ohne bestimmtes Ziel von Falmouth und dem Meer entfernten. Farquhars schlanke Silhouette zeichnete sich gegen den Himmel ab, und Vibart trat aus dem Gebüsch. Er hob den Degen, und seine Leute sperrten hinter ihm die Straße.

«Im Namen des Königs! Zur Musterung in Reihe antreten!»

Seine Stimme löste die Erstarrung. Einige machten kehrt und rannten die Straße zurück, nur um beim Anblick Farquhars und seiner Männer, die die Musketen auf sie richteten, keuchend stehen zu bleiben. Einer versuchte, den Hügel hinauf zu entkommen, doch Josling, ein Bootsmannsmaat, holte mit dem Knüppel aus. Der Mann schrie auf, rollte den Abhang hinunter in eine Pfütze und umklammerte mit der Hand sein Knie. Josling drehte ihn mit dem Fuß um, betastete kurz das blutende Bein des Mannes und meldete Vibart dann beiläufig:»Nichts weiter passiert, Sir.»

Tief erschrocken ließen sich die Leute widerstandslos auf der Straße in Reih und Glied aufstellen. Vibart betrachtete die Reihe abschätzend. Alles war so einfach verlaufen, daß er am liebsten gegrinst hätte.

Brock sagte:»Zweiundfünfzig, Sir. Alle gesund.»

Einer der Aufgegriffenen stürzte vor, sank auf die Knie und wimmerte.»Bitte, Sir, bitte. Mich nicht!«Tränen liefen ihm über das Gesicht, und Vibart fragte rauh:»Und warum nicht?»

«Wegen meiner Frau, Sir. Sie ist krank. Sie braucht mich!«Er rutschte auf den Knien ein Stück vor.»Ohne meine

Unterstützung stirbt sie, Sir, so wahr mir Gott helfe. Sie stirbt.»

«Stellt den Mann auf die Füße«, befahl Vibart angeekelt,»er macht mich krank.»

Am Ende der Reihe sagte ein anderer gepreßt:»Ich bin Schäfer und vom Dienst freigestellt. «Er blickte sich suchend um, bis seine Augen an Brock hängenblieben.»Fragen Sie ihn, Sir. Der Stückmeister wird es bestätigen.»

Brock ging lässig auf ihn zu und hob seinen Stock.»Roll den Ärmel hoch!«Es klang gelangweilt, ja gleichgültig. Mehrere vergaßen ihr Elend und beugten sich vor, um die Szene zu beobachten.

Der Mann trat einen halben Schritt zurück, aber nicht schnell genug. Brocks Hand packte sein grobes Hemd wie eine Stahlklaue und riß den Ärmel auf. Eine Tätowierung aus ineinanderverflochtenen Fahnen und Kanonen wurde sichtbar. Brock trat einen Schritt zurück und wiegte sich auf den Hacken.»Nur ein Seemann hat eine solche Tätowierung. «Er sprach langsam und ruhig.»Nur ein Mann, der auf einem Schiff des Königs gedient hat, konnte mich als Stückmeister erkennen.»

Ohne Warnung sauste sein Stock durch das trübe Sonnenlicht. Als er wieder neben ihm baumelte, blutete das Gesicht des Mannes, wo der Hieb es beinahe bis zum Knochen aufgerissen hatte. Der Stückmeister sah ihn gerade an.»Am meisten mißfällt es mir, wenn man mich für einen Dummkopf hält. «Er drehte sich um und dachte nicht mehr an den Mann.

Ein Matrose brüllte:»Wieder ein Signal vom Hügel, Sir. Noch eine Gruppe.»

Vibart steckte den Degen in die Scheide.»Sehr gut. «Seine Blicke glitten kalt über die zitternde Reihe.»Ihr nehmt einen ehrenhaften Dienst auf. Die erste Lektion habt ihr eben gelernt. Seht zu, daß ich euch keine zweite beibringen muß.»

Maynard trat zu ihm, sein Gesicht war bekümmert.»Ein Jammer, daß es keinen anderen Weg gibt, Sir.»

Vibart würdigte ihn keiner Antwort, wie schon den Mann, der wegen seiner Frau gebettelt hatte. Solche Äußerungen hatten weder Sinn noch Bedeutung.

Von nun ab zählte für diese Leute nur noch das Leben auf dem Schiff.

Bolitho nippte an seinem Portwein und wartete, bis das Mädchen den Tisch abgeräumt hatte. Er war seit so langem an magere und schlecht zubereitete Schiffskost gewöhnt, daß ihm der gute Lammbraten schwer im Magen lag.

An der gegenüberliegenden Tischseite trommelte sein Vater, James Bolitho, mit den Fingern ungeduldig auf die polierte Platte, ehe er einen langen Schluck trank. Er wirkte gezwungen, ja sogar nervös, seit sein Sohn das Haus betreten hatte. Bolitho betrachtete ihn schweigend.

Sein Vater hatte sich sehr verändert. Er hatte ihn in seiner Kindheit selten zu Gesicht bekommen und seitdem auch nicht oft. Eigentlich nur bei den seltenen Gelegenheiten, wenn er von fernen Kriegen und aus entlegenen Ländern nach Hause gekommen war, von Unternehmungen, über die die Kinder nur Vermutungen anstellen konnten. Dachte Bolitho an ihn, so hatte er einen hochgewachsenen und ernsten Mann in Marineuniform vor Augen, dessen Selbstdisziplin den Raum füllte, sobald er durch die vertraute Tür zwischen den Ahnenporträts trat: Männer wie er, wie sein Sohn, in erster Linie Seeleute.