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Ned bescherte uns Eli. Nein, sie schliefen nicht zusammen, sie waren Freunde. Und das war auch gleich das erste, was Eli mir sagte: „Solltest du da noch Unklarheiten haben, ich bin heterosexuell. Ich bin nicht Neds Typ, und er nicht meiner.“ Das werde ich nie vergessen. Es war der erste Hinweis, den ich bekam, daß Ned so veranlagt war, und ich glaube nicht, daß Oliver davon eine Ahnung hatte, obwohl man nie richtig weiß, was eigentlich in Olivers Kopf vor sich geht. Eli hatte Ned natürlich sofort durchschaut. Er war ein Stadtbewohner, ein Intellektueller aus Manhattan, der jeden mit einem Blick richtig einstufen konnte. Eli mochte seinen Zimmergenossen nicht und wollte raus, und wir hatten eine geräumige Bleibe, so redete er mit Ned, und Ned fragte uns, ob Eli zu uns ziehen könne; das war im November unseres dritten Jahres. Mein erster Jude. Das wußte ich allerdings auch nicht sofort — oh, Timothy Winchester, du dämlicher Arsch, du! Eli Steinfeld aus dem Westen der Dreiundachtzigsten Straße, da kann man einen darauf ablassen, daß er ein Jude ist! Ganz ehrlich, ich dachte, er sei ein Deutscher: Juden heißen Cohen oder Katz oder Goldberg. Es war nicht eigentlich Elis Persönlichkeit, die mich an ihm fesselte, wie man vielleicht meinen mag, aber sobald ich herausgefunden hatte, daß er ein Jude ist, fühlte ich mich gezwungen, ihn bei uns einziehen zu lassen. Ich konnte doch durch diverse Charaktere nur meinen Horizont erweitern, und außerdem war ich dazu erzogen worden, Juden abzulehnen, und ich wollte dagegen ankämpfen. Mein Großvater väterlicherseits hat 1923 einige schlimme Erfahrungen mit cleveren Juden machen müssen: Ein paar jüdische Wall-Street-Haie hatten ihn übers Ohr gehauen und ihn viel Geld in eine Rundfunkgesellschaft stecken lassen, die sie aufbauten. Und sie waren Schlitzohren; und er verlor ungefähr fünf Millionen. Von da an wurde es zur Familientradition, allen Juden zu mißtrauen. Sie seien vulgär, schlitzohrig, verschlagen usw. und ständig darauf bedacht, einem ehrlichen protestantischen Millionär sein hart ererbtes Vermögen abzuluchsen. Tatsächlich hat mein Onkel Clark einmal mir gegenüber zugegeben, daß Großvater sein Geld hätte verdoppeln können, wenn er innerhalb von acht Monaten verkauft hätte, wie es seine jüdischen Partner heimlich getan haben. Aber nein, er wartete ab, um einen noch fetteren Profit herauszuziehen, und fiel auf die Nase. Nun, ich halte nicht alle Familientraditionen aufrecht. Eli zog ein. Klein, irgendwie dunkelhäutig, starke Körperbehaarung, schnelle, nervöse, helle und kleine Augen, eine große Nase. Ein scharfer Verstand. Ein Experte in mittelalterlichen Sprachen; bereits als Kapazität auf diesem Feld anerkannt, obwohl er noch keinen akademischen Grad hatte. Auf der anderen Seite der Medaille war er äußerst quälend schweigsam, neurotisch, überempfindlich und ständig in Sorge um seine Männlichkeit. Andauernd jagte er den Röcken nach, gewöhnlich ohne Erfolg. Das waren zwar auch recht seltsame Mädchen, aber nicht diese besonders häßlichen Figuren, die Ned, Gott weiß warum, bevorzugt: Dieser Eli war hinter einem bestimmten Typ her — scheuen, knochigen, unauffälligen Dingern mit dicken Brillengläsern, flachen Brüsten und so — ich glaube, ich muß nicht mehr fortfahren. Natürlich waren sie genauso neurotisch wie er, hatten Angst vor Sex und kamen mit Eli nicht zurecht, was seine Probleme nur noch vergrößerte. Er schien wirklich Angst davor zu haben, es einmal mit einer normalen, attraktiven und sinnlichen Puppe zu versuchen. Eines Tages im letzten Herbst habe ich als Akt christlicher Barmherzigkeit Margo auf ihn angesetzt, und er hat sich so dämlich angestellt, daß man es nicht für möglich halten sollte.

Wir sind schon eine Viererbande. Ich glaube, ich werde nie das erste (und wahrscheinlich einzige) Mal vergessen, als unsere Eltern im Frühling des dritten Studienjahres am Karnevalswochenende zusammenkamen. Bis dahin haben sich unsere Eltern, so nehme ich an, überhaupt kein klares Bild von den Zimmergenossen ihrer Söhne gemacht. Ich habe Oliver einige Male zu Weihnachten zu meinem Vater nach Hause mitgenommen, aber nie Ned oder Eli, und deren Verwandte hatte ich auch noch nie gesehen. Jedenfalls kamen sie jetzt alle zusammen. Natürlich niemand von Olivers Seite. Und Neds Vater war ebenfalls tot. Seine Mutter war eine hagere, hohläugige, knochige Frau, die fast einen Meter achtzig groß war, schwarze Kleider trug und mit irischem Akzent sprach. Ich konnte überhaupt keine Ähnlichkeit zwischen ihr und Ned erkennen. Elis Mutter war plump, kurz, mit watschelndem Gang und kleidungsmäßig zu sehr herausgeputzt; sein Vater war völlig unscheinbar, ein kleiner Mann mit einem traurigen Gesichtsausdruck, der oft seufzte. Sie sahen beide viel zu alt für Eli aus. Sie müssen ihn erst mit fünfunddreißig oder vierzig bekommen haben. Dann war da mein Vater, der so aussieht wie ich in meiner Vorstellung in fünfundzwanzig Jahren — glatte, rosafarbene Wangen, dichtes Haar, das sich im Übergangsstadium zwischen blond und grau befindet, einen vermögenden Zug um die Augen. Ein großer Mann, ein schöner Mann, der Finanzdirektor-Typ. Mit ihm war Saybrook gekommen, seine Frau, die, glaube ich, achtunddreißig ist, aber zehn Jahre jünger wirkt; sie ist groß, hat gepflegte, lange, glatte blonde Haare, einen athletischen Körper mit großen Knochen, der Typ des weiblichen Fuchsjagdhunds. Man stelle sich nur einmal diese Gesellschaft unter einem Sonnenschirm auf dem Hof vor, wie sie sich bemühen, Konversation zu machen. Mrs. Steinfeld versuchte, Oliver zu bemuttern, den armen, lieben Waisenjungen. Mr. Steinfeld starrte entsetzt auf den 450-Dollar-Samtanzug meines Vaters. Neds Mutter kriegte überhaupt nichts mit, verstand weder ihren Sohn noch seine Freunde, noch deren Eltern, noch irgendeinen anderen Aspekt des zwanzigsten Jahrhunderts. Saybrook gab sich ganz herzlich, wie eine Pferdeliebhaberin, und plauderte fröhlich über Wohltätigkeitsveranstaltungen und das bevorstehende Debüt ihrer Stieftochter. („Ist sie eine Schauspielerin?“ fragte Mrs. Steinfeld verblüfft. „Ich meine ihren großen Debütantinnenball“, sagte Saybrook ebenso verblüfft.) Mein Vater studierte oft intensiv seine Fingernägel und sah verwundert auf die Steinfelds und Eli und wollte es einfach nicht glauben. Mr. Steinfeld wollte Konversation betreiben und sprach mit meinem Vater über die Effektenbörse. Mr. Steinfeld besitzt keine Aktien, aber er liest die Times sehr sorgfältig. Mein Vater hat keine Ahnung von der Börse; solange die Dividenden regelmäßig eintreffen, ist er zufrieden; davon abgesehen gehört es zu seiner Weltanschauung, niemals über Geld zu reden. Er gibt Saybrook ein Signal, die flink das Thema wechselt und uns davon berichtet, daß sie Vorsitzende eines Komitees ist, welches einen Fond für palästinensische Flüchtlinge gegründet hat. Sie wissen doch, sagt sie, das sind die, die von Juden vertrieben wurden, als Israel gegründet wurde. Mrs. Steinfeld keucht. So etwas vor einem Mitglied der Hadassah zu sagen! Mein Vater zeigt jetzt über den Hof auf einen ausgesucht langhaarigen Kommilitonen, der sich gerade umgedreht hat, und sagt: „Ich hätte schwören können, daß dieser Bursche ein Mädchen sei, bis er sich hierhergedreht hat.“ Oliver, der sich das Haar bis auf die Schulter hat wachsen lassen, vermutlich um zu zeigen, was er von Kansas hält, bedenkt meinen Vater mit seinem kältesten Lächeln. Unverzagt, oder vielleicht hat er gar nichts bemerkt, fährt mein Vater fort: „Ich mag mich da ja irren, aber ich kann einfach nicht anders, als bei den meisten dieser jungen Männer mit den wallenden Locken zu vermuten, daß sie, na Sie wissen schon, homosexuell veranlagt sind.“ Ned muß darüber laut lachen. Neds Mutter läuft rot an und hustet nicht etwa, weil sie weiß, daß ihr Sohn schwul ist (sie weiß es nicht — diese Vorstellung wäre unglaublich für sie), sondern weil dieser vornehm aussehende Mr. Winchester so ein anstößiges Wort bei Tisch gebraucht hat. Die Steinfelds, die sehr rasch begreifen, sehen erst Ned an, dann Eli und dann sich selbst — eine ziemlich komplexe Art der Reaktion. Ist ihr Sohn auch sicher mit so einem Zimmergenossen? Mein Vater kann gar nicht begreifen, was seine beiläufige Bemerkung angerichtet hat, und weiß nicht, wie und wofür er sich entschuldigen soll. Er runzelte die Stirn, und Saybrook flüsterte ihm etwas zu — tz, tz, Saybrook! Flüstern in der Öffentlichkeit, was würde Emily Post dazu sagen? Und er antwortet, knallrot wie eine Tomate, der Ton nähert sich dem Infrarot. „Vielleicht sollten wir Wein bestellen“, sagt er laut, um seine Konfusion zu verbergen und winkt gebieterisch einem studentischen Kellner. „Haben Sie Chassagne-Montrachet ’69?“ fragte er. „Bitte?“ antwortet der Kellner bestürzt. Dann wird ein Eiskelch gebracht, der eine Flasche Liebfrauenmilch zu drei Dollar enthält, das Beste, was man anzubieten hat. Mein Vater bezahlt mit einem funkelnagelneuen Fünfziger. Neds Mutter starrt ungläubig auf die Rechnung. Die Steinfelds starren meinen Vater böse an und glauben, er wolle sie heruntermachen. Eine einzige wunderbare Episode, dieser ganze Mittag. Später zieht Saybrook mich beiseite und sagt: „Dein Vater ist sehr verlegen. Hätte er gewußt, daß Eli, nun, äh, sich zu anderen Jungen hingezogen fühlt, hätte er diese Bemerkung nie gemacht.“