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Drei Tage harter Arbeit, und ich hatte eine ziemlich genaue Übersetzung von 85 Prozent des Textes vor mir liegen und ein grobes, zur Weiterarbeit ausreichendes Verständnis von dem Rest. Das meiste davon schaffte ich aus eigener Kraft, obwohl ich Professor Vasquez Ocaña bei einigen wirklich komplizierten Wendungen konsultierte. Allerdings verriet ich ihm nichts von der wahren Natur des Projekts. (Wenn er fragte, ob ich den Aufbewahrungsort der Maura Guidol gefunden hätte, antwortete ich immer ausweichend.) Zu diesem Zeitpunkt hielt ich die ganze Sache noch immer für ein hübsches Märchen. Als Junge hatte ich Lost Horizon gelesen. Ich erinnerte mich an Shangri-La, das geheime Kloster im Himalaya, die Mönche übten sich in Yoga und atmeten reine Luft, dieser wunderbare Schock, der in dem Satz „Daß sie immer noch leben, Vater Perrault“ steckte. Natürlich nimmt man solches Zeugs nicht ernst. Ich nahm mir vor, meine Übersetzung in, na, sagen wir, Speculum zu veröffentlichen, mit einem angemessenen Kommentar über den im Mittelalter weitverbreiteten Glauben an die Unsterblichkeit, mit Verweisen auf den Mythos um Priester John, auf Sir John Mandeville und auf die Erzählungen Alexanders. Die Bruderschaft der Schädel, die Hüter der Schädel, deren Hohepriester, die Prüfung, die von vier Kandidaten gleichzeitig begonnen werden muß, nur zwei von ihnen dürfen überleben, der Hinweis auf antike Geheimnisse, an denen Jahrtausende vorübergezogen sind — warum nicht, das hier hätte ja auch genausogut ein altes Märchen sein können, das Scheherazade erzählt hat, oder? Ich nahm die große Mühe auf mich, sorgfältig Burtons Ausgabe von Tausend und eine Nacht durchzugehen, alle sechzehn Bände, weil ich vermutete, die Mauren hätten dieses Märchen von den Schädeln im achten oder neunten Jahrhundert nach Katalonien gebracht. Nichts. Was ich da auch gefunden hatte, es war kein Fragment nach Motiven aus den Arabischen Nächten. Vielleicht dann aus der Periode Karls des Großen? Oder ein romanisches Lügenmärchen, von dem man bislang noch nichts wußte? Ich wühlte mich durch unhandliche Verzeichnisse der mythologischen Leitgedanken des Mittelalters. Nichts. Ich versuchte es noch früher. Innerhalb einer Woche wurde ich zum Experten der gesamten Literatur von Langlebigkeit und Unsterblichkeit. Tithonus, Methusalem, Gilgamesch, der Uttarakurus und der Jambu-Baum, der Fischer Glaukus, die Unvergänglichkeit des Taoismus, jawohl, die gesamte Bibliographie. Und dann ging der Kronleuchter auf, fielen die Groschen gleich reihenweise, ein Schrei, der die studentischen Hilfskräfte aus allen Ecken zusammenrennen ließ. Arizona! Mönche, die von Mexiko gekommen waren und davor von Spanien nach Mexiko gekommen waren!

Der Fries der Schädel! Ich suchte wie ein Wilder den Artikel in der Beilage der Sonntagszeitung. Las ihn wie im Delirium. Ja. „Überall Schädel, grinsend und düster, als Relief oder in sonstigen dreidimensionalen Darstellungen. Die Mönche sind hager und kräftig … Der einzige, mit dem ich sprechen konnte … mochte dreißig oder dreihundert Jahre alt sein; es war unmöglich, dies zu entscheiden.“ Daß Sie immer noch leben, Vater Perrault. Meine verwirrte Seele fuhr zurück. Konnte ich an so etwas glauben? Ich, der Skeptiker, der Spötter, der Materialist, der Pragmatiker? Unsterblichkeit? Ein uralter Kult? Die Hüter der Schädel weilen zwischen Kakteen? Die ganze Angelegenheit kein Mythos des Mittelalters, keine Legende, sondern wirklich eine beständig fortlaufende Einrichtung, die sogar bis in unsere automatisierte Welt vorgedrungen war, eine Einrichtung, die ich sogar mit eigenen Augen sehen konnte, sobald ich nur Lust hatte, den Ausflug dorthin zu unternehmen und als Kandidat der Unsterblichkeit die Prüfung zu machen. Eli Steinfeld lebt, um das Morgengrauen des sechsunddreißigsten Jahrhunderts zu erblicken. Das sprengte jegliche Vorstellungskraft. Ich weigerte mich, mehr als einen merkwürdigen Zufall in der Übereinstimmung von Manuskript und Zeitungsartikel zu sehen. Dann, nach erneuten Überlegungen, schaffte ich es, die Annahme der Weigerung zu verweigern und die Tatsache selbst zu akzeptieren. Es war notwendig, einen Akt des Glaubens zu vollziehen, den ersten, den ich je zustande brachte, um die Sache anzunehmen. Ich zwang mich zuzugeben, daß durchaus Mächte existieren könnten, die außerhalb des gegenwärtigen Wissenschaftsverständnisses lagen. Ich nötigte mich, die bisherige Gewohnheit abzulegen, alles Unbekannte abzulehnen, solange nicht hieb- und stichfeste Beweise dafür vorlagen. Ich fühlte mich willig und glücklich auf einer Stufe mit den Ufologen, den Atlantis-Gläubigen, der Scientology-Sekte, den Anhängern der Meinung, daß die Erde eine Scheibe sei, den Forteans, den Makrobiotikern, den Astrologen, mit der ganzen Unmenge von Abergläubigen, in deren Gesellschaft ich mich bislang nicht sonderlich wohlgefühlt hatte. Zum Schluß glaubte ich, ich glaubte fest daran, obwohl ich die Möglichkeit nicht ausschloß, alles könne ein Irrtum sein. Ich glaubte. Dann erzählte ich Ned davon und nach einer Weile auch Oliver und Timothy. Hielt ihnen den Köder unter die Nase. Wir bieten euch das ewige Leben an. Und jetzt sind wir in Phoenix. Palmen, Kakteen, das Kamel vor dem Moteclass="underline" Hier sind wir also. Morgen startet die letzte Phase unserer Suche nach dem Haus der Schädel.

19. Kapitel

Oliver

Vielleicht habe ich mich wegen des Anhalters zu blöde angestellt. Ich weiß es nicht. Im Nachhinein verwirrt mich der ganze Vorfall. Normalerweise sind mir meine Motive immer klar, offen liegen sie vor mir. Aber dieses Mal war es anders. Ich habe Ned wirklich angebrüllt und angemacht. Warum? Eli nahm mich dafür später in die Mangel und erklärte mir, daß es nicht meine Sache sei, mich in Neds freie Entscheidung einzumischen, irgend jemandem zu helfen. Ned hatte am Steuer gesessen und damit das Kommando. Sogar Timothy, der mir doch den Rücken bei diesem Vorfall gestärkt hatte, sagte mir später, daß er meine Reaktion für überzogen hielt. Der einzige, der sich an diesem Abend nicht dazu äußerte, war Ned. Aber ich wußte genau, daß Ned sich innerlich stark damit beschäftigte.