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Trotzdem war ich ganz froh, wieder in New York zu sein; auch wenn wir auf dem Weg in den goldenen Westen nur hindurchfuhren. In dieser Stadt war ich eben groß geworden, jedenfalls galt dies, sobald wir die vertraute Bronx verließen und nach Manhattan kamen. Die Buchhandlungen, die Würstchenbuden, die Museen, die Kunstfilme (wir New Yorker nennen sie nicht Kunstfilme, aber alle anderen tun das), die Menschenmengen. Die Struktur, die dichte Bebauung. Willkommen im Koscher-Land. Ein angenehmer Anblick nach Monaten der Gefangenschaft in den katholischen Weiten Neu-Englands mit den majestätischen Bäumen und breiten Straßen, weißen Kongregatan-Kirchen und blauäugigen Menschen. Wie gut es doch tat, der Unkompliziertheit unserer football-bestimmten Universität zu entkommen und wieder faulige Stadtluft zu atmen. Eine Nacht in Manhattan, dann weiter nach Westen; durch die Wüste; in den Griff der Hüter der Schädel. Ich mußte an die verzierte Seite in dem alten Manuskript denken, die archaische Schrift, den Seitenrand mit dem Ornament von acht grinsenden Totenschädeln (sieben davon fehlt der Unterkiefer, trotzdem schaffen sie es zu grinsen), jeder in einem spaltenbreiten Kreis. Wir bieten dir das ewige Leben an. Wie unwirklich erschien mir jetzt die ganze Sache mit der Unsterblichkeit, während sich meinen Augen die glänzenden Streben der George-Washington-Brücke zeigten, die irgendwo im Südwesten leuchteten, und die aufstrebenden Gründerstiltürme von Riverdale, die uns zur Rechten umgaben. Und auch die nach Knoblauch riechende Gegend von Manhattan, direkt vor uns. Einen Moment lang befiel mich plötzlicher Zweifel. Diese verrückte Hedschra. Wir Idioten nahmen die ganze Sache ernst, waren verrückt genug, so gut wie gar kein psychologisches Kapital in eine übergeschnappte Märchengeschichte zu investieren. Noch war es nicht zu spät, Arizona zu vergessen und statt dessen nach Florida, Fort Lauderdale, Daytona Beach zu fahren, wo all die willigen, sonnengebräunten Puppen nur darauf warteten, von vier kultivierten Jungen aus dem Norden vernascht zu werden. Wie es hin und wieder vorkommt, schien Ned meine Gedanken zu lesen. Er warf mir einen scharfen, spöttischen Blick zu und sagte sanft: „Niemals sterben zu müssen. Immer weiter leben! Kann das denn wahr sein, wirklich wahr?“

2. Kapitel

Ned

Das eigentlich Faszinierende, die Herausforderung, für mich der ästhetische Gewinn an der Sache, ist der Umstand, daß zwei von uns sterben müssen, damit die beiden anderen vom Tod befreit werden. Das sind die Bedingungen, die die Hüter der Schädel stellen, vorausgesetzt, daß Elis Übersetzung des Manuskripts richtig ist. Ich glaube schon, daß die Übersetzung korrekt ist — Eli ist unglaublich genau in allen literaturwissenschaftlichen Dingen. Aber man muß immer die Möglichkeit mit einbeziehen, daß der ganze Text ein Schwindel ist, den Eli selbst verfaßt hat, daß alles Nonsens ist. Betreibt Eli irgendein verschrobenes Spiel mit uns? Ich traue ihm alles zu. Er ist ein verschlagener Jude, kennt alle Tricks der Ghettobewohner und hat vielleicht eine abgefeimte Geschichte ausgeheckt, mit der er drei unglückliche

Goyim ihrer Bestimmung zuführen kann: einem rituellen Blutbad in der Wüste. Nimm den Dünnen zuerst, den Schwulen, und stoß ihm das scharfe Schwert in sein gotteslästerliches Arschloch! Aber wahrscheinlich male ich mein Bild von Eli verwirrter, als er wirklich ist, und projiziere Teile meiner eigenen verdrehten, bisexuellen psychischen Instabilität auf ihn. Eli wirkt aufrichtig, ein netter jüdischer Junge eben. Aus jeder Gruppe von vier Kandidaten, die sich selbst dieser Prozedur ausliefern, muß einer freiwillig aus dem Leben scheiden, und ein zweiter wird von den beiden anderen umgebracht. Sic dixit liber calvariarum. So spricht das Buch der Schädel. Guck, auch ich spikka da Caesarish. Zwei sterben, zwei überleben. Eine tolle Ausgangsstellung, eine viereckige Mandala. Ich zuckte in der schrecklichen Spanne zwischen Ableben und Ewigkeit. Für den philosophischen Eli bedeutet dieses Abenteuer eine schwarze Version von Pascals Spiel, eine existentialistische Alles-oder-nichts-Exkursion. Für Ned, den Möchtegern-Künstler, ist es eine schmerzvolle Angelegenheit, eine Frage von Form und Erfüllung. Wen von uns erwartet welches Schicksal? Oliver mit seinem animalischen Lebenshunger des Mittelwestens: Er wird nach dem Born der Ewigkeit greifen, er muß es ja; keine Sekunde denkt er an die Möglichkeit, daß er zu denen gehören könnte, die sterben müssen, damit die anderen leben. Und Timothy wird natürlich auch aus dem Arizona-Abenteuer gesund und unsterblich hervortreten und dabei heiter seinen Platinlöffel schwenken. Leuten wie ihm ist es vorbestimmt zu siegen. Warum sollte er den eigenen Tod zulassen, wenn ihn ein solches Vermögen erwartet? Man stelle sich nur einmal vor, seine Kapitalanteile würden im Jahr um durchschnittlich sechs Prozent steigen, und das achtzehn Millionen Jahre lang. Danach wird er das Universum kaufen können! Und noch mehr! Damit sind Oliver und Timothy ganz offensichtlich die Kandidaten für die Unsterblichkeit. Eli und ich müssen uns dem fügen, freiwillig oder eben anders. Rasch sind die übriggebliebenen Rollen auf die verbleibenden Akteure verteilt: Eli wird derjenige sein, den sie umbringen, ganz klar. Das Opfer ist immer der Jude, oder? Sie werden ihm die ganze Zeit hindurch nett begegnen, ihm Dankbarkeit dafür zeigen, daß er das Tor zum ewigen Leben in alten Archiven gefunden hat. Und im geeigneten rituellen Moment werden sie ihn — rums! — einfach packen und ihm eine Nase voll Zyklon-B verpassen, womit das Problem Eli endgültig erledigt wäre. Damit bliebe ich für den Freitod übrig. Diese Entscheidung, sagte Eli und zitierte das betreffende Kapitel und den ganzen Vers aus dem Buch der Schädel, muß absolut freiwillig getroffen werden, muß aus dem Wunsch erwachsen, sich selbst zu opfern, andernfalls können die gewünschten Vibrationen nicht freigesetzt werden. In Ordnung, meine Herren, ich stehe zu Ihren Diensten. Geben Sie nur den Befehl, und ich werde meinen Beitrag zum Wohl des Ganzen leisten. Ein einziger Wunsch, möglicherweise der erste, den ich je hatte. Aber zwei Bedingungen, zwei Sachen sind damit verbunden. Timothy, du mußt mit einem Teil deines Wall-Street-Vermögens eine sorgfältige Ausgabe meiner Gedichte subventionieren: ordentlich gebunden, auf gutem Papier und mit einem kritischen Vorwort von jemandem, der sich mit diesem Zeugs auskennt, wie Trilling, Auden, Lowell, na, irgend jemand diesen Formats. Wenn ich für dich sterbe, Timothy, mein Blut für dich vergieße, willst du mir dann meinen Wunsch erfüllen? Und Oliver, von Ihnen erbitte ich auch einen Dienst, Sir. Das quid pro quo ist ein sine qua non, wie Eli sich ausdrücken würde. Am letzten Tag meines Lebens möchte ich gerne eine Stunde lang mit dir allein sein, mein teurer, hübscher Freund. Ich möchte einen Weg in deine jungfräuliche Seele finden. Gehöre zum Schluß ganz mir, geliebter Ol! Ich verspreche dir, ich werde großzügig mit der Vaseline umgehen. Dein leicht glänzender, fast haarloser Körper, dein straffer, athletischer Po, deine süße, bislang unbehelligte Rosette. Gib es mir, Oliver. Mir, mir, mir, gib mir alles. Ich gebe dir mein Leben, wenn du mir nur einen Nachmittag lang deinen Hintern leihst. Ist das nicht romantisch? Ist deine Verlegenheit nicht köstlich? Komm schon, Oliver, sonst wird aus dem Handel nichts. Und du wirst kommen. Du bist kein Puritaner, du denkst praktisch, du bist einer, der an sich selbst zuerst denkt. Du wirst sehr leicht die Vorteile des Überlebens erkennen. Zumindest tust du gut daran. Befriedige den kleinen Perversen, Oliver. Sonst wird aus dem Handel nichts.