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„Heh! Seht mal, da!“ Eli deutet auf etwas. Links vom Weg, halb versteckt von einem gelben Chollatrieb: ein großer, runder Stein, so groß wie der Rumpf eines Mannes, ein dunkler, grober Stein, der sich in Gewebe und Zusammensetzung vom örtlichen schokoladenfarbigen Sandstein abhebt. Das muß schwarzer Vulkanfels sein, Basalt, Granit, Grünstein oder sonst was in der Richtung. Eli läßt sich davor nieder, hebt ein Stück Holz auf und schiebt den Kaktus herunter. „Seht ihr?“ sagte er. „Die Augen? Die Nase?“ Er hat recht. Große tiefe Augenhöhlen lassen sich erkennen. Ein großes, dreieckiges, herausgemeißeltes Loch, die Nasenmuschel. Und direkt am Erdboden eine Reihe immenser Zähne, der Oberkiefer, der in die sandige Erde beißt.

Ein Schädel.

Er sieht aus, als sei er tausend Jahre alt. Wir entdeckten Spuren von weiterer künstlerischer Bearbeitung, Brauendämme, Wangenknochen und andere Züge; aber an den meisten hat der Zahn der Zeit genagt. Trotzdem ein Schädel. Unverwechselbar ein Schädel. Ein Wegweiser, der uns sagt, daß das, was wir suchen, nicht mehr allzuweit den Weg hinab liegt — oder er warnt uns vielleicht, daß hier die letzte Möglichkeit zum Umkehren sei. Eli bleibt eine ganze Weile stehen und untersucht den Schädel. Ned. Oliver. Beide davon fasziniert. Eine Wolke zieht über uns hinweg, taucht den Stein in Schatten und verändert unsere Sicht seiner Konturen; es sieht jetzt so aus, als hätten sich die leeren Augen mit Leben gefüllt und starrten uns an. Die Hitze wird zuviel für mich. Eli sagt: „Wahrscheinlich ist er präkolumbianisch. Sie haben ihn aus Mexiko mitgebracht, könnte ich mir vorstellen.“ Wir blicken nach vorn in den Hitzedunst. Drei große Saguaros, wie Säulen, versperren uns die Aussicht. Wir müssen zwischen ihnen hindurch. Und dahinter? Das eigentliche Schädelhaus. Zweifellos. Unvermittelt frage ich mich, was ich überhaupt hier mache, wie ich mich überhaupt jemals diesem Irrwitz anschließen konnte. Was zuerst wie ein Scherz aussah, wie ein Jux, scheint jetzt plötzlich allen real geworden zu sein.

Niemals sterben müssen. Oh, was für eine Scheiße! Wie soll so etwas denn möglich sein. Wir werden Tage damit verschwenden, das herauszufinden. Die Abenteuer von Mondsüchtigen. Schädel auf der Straße. Kakteen. Hitze. Durst. Zwei müssen sterben, wenn zwei leben wollen. Der ganze mystische Quatsch, den Eli von sich gab, hat sich für mich in dieser Halbkugel aus grobem schwarzem Gestein summiert, die so fest, so unübersehbar dort liegt. Ich habe mich einer Sache angeschlossen, die jenseits meines Horizonts liegt, und in ihr können große Gefahren für mich liegen. Aber von jetzt an gibt es kein Zurück mehr.

22. Kapitel

Eli

Und wenn dort gar kein Schädelhaus liegt? Und wenn wir am Ende des Weges nur einen Wall aus undurchdringlichen Stacheln und Dornen finden? Ich glaube, irgendwie habe ich das erwartet. Die ganze Expedition lediglich ein weiterer Fehlschlag, ein weiteres Fiasko für Eli, den Schmeggege. Der Schädel am Wegrand, der sich als trügerischer Beweis erweisen würde, das Manuskript als Traummärchen, der Zeitungsartikel als Betrug, das X auf unserer Karte nichts als ein blöder Scherz. Vor uns nur Kakteen und Mesquiten, ein dürres Ödland, der Arsch einer Wüste, in der noch nicht einmal Schweine sich so weit erniedrigen würden, hier hinzuscheißen. Was würde ich dann sagen? Ich würde mich in tiefster Demut an meine drei erschöpften Kameraden wenden und sagen: „Meine Herren, ich bin betrogen, und ihr seid in die Irre geführt worden. Wir sind einem Hirngespinst nachgelaufen.“ Ein reumütiges, dürftiges Lächeln würde meine Mundwinkel umspielen. Und dann würden sie mich schweigend und sachlich ergreifen, weil ich die ganze Zeit über gewußt habe, daß es zu einem solchen Ende kommen mußte. Und sie würden mich entkleiden, mir einen hölzernen Pflock ins Herz treiben, mich an einen hochaufragenden Saguero nageln, mich zwischen den flachen Felsen zu Tode quetschen, sie würden mir Chollas auf den Augen zerreiben, mich bei lebendigem Leib verbrennen, mich bis zum Hals in einem Ameisenhügel vergraben, mich mit ihren Fingernägeln kastrieren und dabei feierlich singen: Schmeggege, Schlemihl, Schlemazel, Schmendrick, Schlep! Geduldig werde ich die wohlverdiente Strafe auf mich nehmen. Demütigungen sind mir nicht fremd. Ein Desaster kann mich nicht erschrecken.

Demütigung? Desaster? Wie beim Fiasko mit Margo? Mein letztes größeres Debakel. Es tut immer noch weh. Letzten Oktober, Semesteranfang, regnerische, neblige Nacht. Wir hatten erstklassigen Shit, angeblich Roter Panamese, den Ned seinen Worten zufolge durch Beziehungen zum homosexuellen Underground erhalten hatte. Die Pfeife machte die Runde, Timothy, Ned und ich; Oliver hielt sich natürlich davon fern und schlürfte andächtig irgendeinen billigen Rotwein. Ein Quartett von Rasoumovski wurde im Hintergrund von der Platte gespielt. Tapfer erhob es sich über dem Trommelwirbel des Regens. Als wir high waren, entdeckten wir ein geheimnisvolles Geräusch bei Beethoven, ein zweiter Cellist schien auf unerklärliche Weise zu den Musikern zu stoßen, an einigen Stellen sogar eine Oboe, ein transzendentales Fagott unterhalb der Streicher. Ned hatte noch untertrieben — der Pott war super. Und irgendwie fühlte ich mich gedrängt, kam auf den Redetrip, auf den Bekennertrip, wollte mich ausschütten und sagte plötzlich zu Timothy, am allermeisten würde ich es bedauern, daß ich in meinem ganzen Leben noch nie mit einer gebumst hätte, die ich als wirklich tolle Frau ansehen würde.

Timothy, teilnahmsvoll und besorgt, fragte mich, wer für mich denn eine wirklich tolle Frau sei. Ich schwieg und ging in Gedanken die zur Wahl stehenden Möglichkeiten durch. Ned wollte helfen und schlug Raquel Welch, Cathérine Deneuve und Lainie Kazan vor. Schließlich stieß ich mit bewundernswerter Unbekümmertheit hervor: „Ich halte Margo für ein wirklich tolles Mädchen.“ Timothys Margo. Timothys arische Göttin, die goldene Schickse. Nachdem ich es ausgesprochen hatte, fühlte ich, wie eine rasche Folge von kurzen Dialogpassagen in meinem cannabisvernebelten Hirn widerhallte, und dann kehrte sich die Zeit so um, wie das eben unter dem Einfluß von Shit vorkommt, daß ich mein ganzes Auftreten als Schauspiel erlebte, jeder Satz kam prompt aufs Stichwort. Timothy fragte mich ganz ernsthaft, ob ich auf Margo abfahren würde. Ich versicherte ihm genauso ernsthaft, daß dem so sei. Jetzt wollte er wissen, ob ich mich weniger unzulänglich und mehr erfüllt fühlen würde, wenn ich mit ihr schlafen könnte. Zögernd antwortete ich ihm jetzt, während ich mich fragte, worum es eigentlich bei diesem Stück ging, mit vagen Umschreibungen und dem einzigen Erfolg, daß ich ihn erstaunlicherweise sagen hörte, er würde alles für morgen abend arrangieren. Was arrangieren, fragte ich. Margo, sagte er. Er würde mich mit Margo zusammenbringen, dies sei ein Akt christlicher Nächstenliebe.