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Er war klein, untersetzt, kaum mehr als ein Meter sechzig groß und trug nur eine Hose aus grobem Drillich, die ihm bis zur Mitte der Oberschenkel reichte. Seine Haut war tief gebräunt, eine Farbe fast wie Mahagoni, und das Gewebe schien aus sehr feinem Leder zu sein. Sein breiter, hochstirniger Schädel war völlig kahl, noch nicht einmal um die Ohren herum befand sich eine Spur von Haarwuchs. Sein Hals war kurz und dick, die Schultern waren breit und kraftvoll, die Brust war athletisch, Arme und Beine waren wahrhaft muskelbepackt: Er machte ganz den Eindruck von überwältigender Kraft und Gesundheit. Seine ganze Erscheinung und seine Ausstrahlung von Qualifikation und Macht erinnerte mich auf ganz außergewöhnliche Weise an Picasso: ein kleiner, kräftiger, zeitloser Mensch, der alles ertragen kann. Ich hatte keine Vorstellung, wie alt er wohl sein mochte. Ganz sicher nicht mehr jung, aber auch weit entfernt von der Schwäche des Alters. Fünfzig? Sechzig? Ein rüstiger Siebziger? Seine Alterslosigkeit war das verwirrendste an ihm. Er schien von der Zeit gänzlich unberührt, überhaupt keine Abnutzungserscheinungen: So, dachte ich, muß ein Unsterblicher aussehen.

Er lächelte freundlich, zeigt dabei große, lückenlose Zahnreihen und sagte: „Ich bin ganz allein hier, um Sie zu begrüßen. Wir erhalten nur selten Besuch und erwarten ihn deshalb auch nie. Die anderen Brüder arbeiten auf den Feldern und werden vor der Nachmittagsandacht nicht zurückkehren.“ Er sprach ein perfektes Englisch in einer eigentümlich leblosen, akzentfreien Art, einen IBM-Akzent, um es einmal so zu umschreiben. Seine Stimme war fest und wie Musik, seine Worte kamen gelassen und selbstsicher. „Bitte, seien Sie willkommen, solange, wie Sie bleiben wollen. Wir haben die Möglichkeit, Gäste unterzubringen, und laden Sie ein, hier bei uns in unserer Zufluchtsstätte zu wohnen. Beabsichtigen Sie, länger als einen Nachmittag zu bleiben?“

Oliver starrte mich an. Timothy. Ned. Ich war also der Sprecher. Ein eigenartiger Geschmack in meiner Kehle. Die Absurdität, die blanke Lächerlichkeit dessen, was ich sagen sollte, kam mir zu Bewußtsein und versiegelte meine Lippen. Ich spürte, wie meine sonnenverbrannten Wangen von der Schamröte überzogen wurden. Kehre um und fliehe, kehre um und fliehe, kreischte eine Stimme zwischen meinen Ohren. Zurück in das Kaninchenloch. Lauf. Lauf. Lauf, solange du noch kannst. Ich zwang eine einzige, heisere Silbe heraus:

„Ja.“

„In diesem Fall erhalten Sie Zimmer. Wollen Sie mir bitte folgen?“

Er verließ den Raum. Oliver warf mir einen aufgebrachten Blick zu. „Sag’s ihm!“ flüsterte er scharf.

Sag’s ihm. Sag’s ihm. Sag’s ihm. Na los, Eli, sag’s. Was kann dir schon passieren? Schlimmstenfalls wirst du ausgelacht. Das ist doch nichts Neues für dich, oder? Also sag’s ihm. Das jetzt ist der Moment, an dem alles zusammenläuft, die Rhetorik, die selbstbetrügerische Übertreibung, die ganzen intensiven philosophischen Debatten, alle Zweifel und Gegenzweifel, die ganze Fahrt. Jetzt bist du da. Du glaubst, daß es der richtige Ort ist. Also sag’s ihm.

Bruder Antony, der Olivers Flüstern mitbekommen hatte, blieb stehen und drehte sich zu uns um. „Ja?“ sagte er mild.

Verwirrt suchte ich nach Worten, bis ich schließlich die richtigen fand. „Bruder Antony, Sie müssen nämlich wissen — daß wir alle das Buch der Schädel gelesen haben …“

Peng.

Der unerschütterlich gleichmütige Gesichtsausdruck des Bruders geriet für einen Moment ins Wanken. Kurz bemerkte ich das Zucken von — Überraschung? Verwirrung? Ratlosigkeit? — in seinen rätselhaften dunklen Augen. Aber sehr schnell gewann er die Kontrolle über sich zurück. „In der Tat?“ sagte er, die Stimme wieder so fest wie vorher. „Das Buch der Schädel? Was ist das für ein merkwürdiger Name! Ich frage mich, was ist das Buch der Schädel?“ Die Frage war rhetorisch gemeint. Er bedachte mich mit einem hellen, kurzlebigen Lächeln, wie der Strahl eines Leuchtturms, der nur einen Moment lang den dichten Nebel durchschneidet. Aber wie der scherzende Pilatus blieb er nicht da, um uns zu antworten. Ruhig ging er nach draußen und bedeutete uns mit einem kurzen Fingerschnippen, daß wir ihm folgen sollten.