Выбрать главу

Wo konnte ich mich verstecken? Wie konnte ich mich bedecken? Beobachtete mich jemand?

Aber tatsächlich schien es niemand bemerkt zu haben. Eli und die Brüder waren weit von mir. Timothy, der träge und lahm vorankam, lag weit hinter mir, fast außerhalb meines Sichtkreises. Der einzige in meiner Nähe war Ned, vielleicht drei Meter hinter mir. Da ich ihm mein Hinterteil zukehrte, war meine peinliche Stelle verdeckt. Mittlerweile spürte ich auch, wie er langsam schrumpfte; in Kürze wäre die Lage dort wieder geklärt, und ich könnte gemächlich durch die Chili-Reihen zu dem Baum schlendern, an dem meine Shorts hingen. Ja, jetzt war er wieder in Normalstellung. Alles unter Kontrolle. Ich drehte mich um.

Ned machte einen Sprung zurück, er sprang wirklich zurück, als meine Augen die seinen trafen. Sein Gesicht wurde rot. Er wandte den Blick ab, und ich begriff. Ich brauchte nicht das Vorderteil seiner Shorts nach einer Ausbeulung zu untersuchen, um zu wissen, was in seinem Kopf vor sich ging. Fünfzehn oder zwanzig Minuten lang hatte er seiner Phantasie freien Lauf gelassen, meinen Körper studiert, meinen Hintern betrachtet und hin und wieder kurze Ausblicke auf andere Pretiosen erhascht. Und dabei seine neckischen Homo-Träume über mich geträumt. Nun, darüber darf man sich nicht wundern. Ned ist eben ein Schwuler. Ned hat mich immer begehrt; auch wenn er es nie gewagt hat, sich mir zu nähern. Und ich hatte mich direkt vor ihm zur Schau gestellt, meinen ganzen Körper, eine Versuchung, eine Provokation. Trotzdem bestürzte mich dieser begehrliche Blick, der so offensichtlich in seinem Gesicht stand, so rauh; das schockierte mich. So sehr von einem anderen Mann begehrt zu werden. Das Objekt seiner Sehnsüchte zu sein. Und er wirkte wirklich betäubt und beschämt, als ich an ihm vorbeiging, um meine Shorts zu holen. Als wenn er dabei erwischt worden wäre, wie er sein wahres Gesicht zeigte. Und was, bitte schön, waren eigentlich die Intentionen gewesen, die ich gezeigt hatte? Meine Intentionen hatten fünfzehn Zentimeter weit von mir abgestanden. Das scheint mir doch eine sehr tiefgehende Sache mit uns beiden zu sein, tiefgehend widerlich und kompliziert. Das erschreckt mich. Gelangten Neds geile Variationen mittels einer Art Telepathie in meinen Kopf, wo sie alte Schamgefühle aufrührten? Merkwürdig, nicht wahr, daß er gerade in dem Moment steif wurde. Lieber Gott, ich dachte, ich verstünde mich selbst. Aber ständig muß ich entdecken, daß ich mir nicht bei einer Sache sicher sein kann. Noch nicht einmal in der Frage, wer ich bin. Oder was für eine Art Mensch ich sein könnte. Ein existentielles Dilemma, nicht wahr, Eli, nicht wahr, nicht wahr? Seine eigene Bestimmung herauszufinden. Wir drücken unsere Identität durch unser sexuelles Wesen aus, nicht wahr? Ich glaube nicht. Ich will es nicht glauben. Und doch bin ich mir nicht sicher. Die Sonne ist auf meinem Rücken ziemlich heiß geworden. Einige Minuten ist er so steif geworden, daß er mir weh tat. Und Ned hinter mir keuchte. Und die Vergangenheit kam wieder hoch. Wo mag Sissy Madden jetzt sein? Wo Jim und Karl? Wo mag Oliver sein? Wo mag Oliver sein? Oh, lieber Gott, ich glaube, Oliver ist sehr, sehr krank.

31. Kapitel

Eli

Ich bin davon überzeugt, daß die Meditationen der Kern der ganzen Prüfung sind. Man kommt gar nicht an ihnen vorbei, wenn man es hier zu etwas bringen will. Der Rest — die Gymnastik, die Diät, die Bäder, die Feldarbeit —, all das ist nichts weiter als eine Reihe von Techniken, um Selbstdisziplin zu lernen, um das störrische Ego auf das Kontrollniveau hinunterzuschrauben, auf dem die Langlebigkeit erst möglich wird. Natürlich hilft es einem, wenn man lange leben will, jede Menge Übungen zu machen, den Körper in Schuß zu halten, nichts Ungesundes zu essen etc. etc. Aber ich glaube, es ist ein Fehler, zu viel Betonung auf diese Aspekte des Tagesablaufs der Brüder zu legen. Hygiene und Gymnastik mögen ja ganz natürlich sein, wenn man die durchschnittliche Lebenserwartung auf achtzig oder fünfundachtzig Jahre anheben will, aber es gehört schon etwas mehr Transzendentales dazu, wenn man achthundert oder achthundertfünfzig Jahre alt werden will. Dazu benötigt man eine vollständige Kontrolle über alle körperlichen Funktionen. Und die Meditation ist der Schlüssel dazu.

Im momentanen Stadium forcieren sie die Entwicklung der eigenen, innerlichen Bewußtheit. Wir sollen zum Beispiel in die untergehende Sonne starren und deren Hitze und Kraft in unsere diversen Körperteile lenken — zuerst ins Herz, dann in die Hoden, die Lungenflügel, die Milz und so weiter. Ich möchte behaupten, daß es nicht eigentlich die Sonnenstrahlung ist, auf die es ankommt — dieser Teil ist bloß eine Metapher, nur ein Symbol —, sondern eher die Vorstellung, daß wir in Kontakt treten mit dem Herz, den Hoden, den Lungenflügeln, der Milz etc. etc., damit wir, falls es an diesen Stellen Probleme gibt, zu ihnen mit unserem Verstand hingelangen und alles erledigen können, was dort erledigt werden muß. Diese ganze Sache mit den Totenschädeln, um die sich so viel bei den Meditationen dreht, ist lediglich eine weitere Metapher, die nur deshalb angebracht wird, um uns einen Fixpunkt für unsere Aufmerksamkeit zu geben. So daß wir uns erst einmal auf das Bild des Schädels konzentrieren und es dann als Sprungbrett benutzen können, um in unser Inneres zu springen. Jedes andere Symbol würde den gleichen Zweck genausogut erfüllen, etwa eine Sonnenblume, ein Bündel Eicheln, ein vierblättriges Kleeblatt. Sobald man einmal mit einem wirksamen psychologischen Mittelpunkt versorgt ist, dem Manna, kann man alles als Fokus verwenden. Die Bruderschaft hat sich eben dabei auf die Symbologie des Totenschädels verschworen. Was ja eigentlich gar nicht so schlecht gewesen ist; ein Totenschädel ist immer geheimnisvoll, romantisch, verwunderlich. Deshalb sitzen wir da und starren auf Bruder Antonys kleinen Totenkopf-Anhänger aus Jade, und man erklärt uns, wir sollen verschiedene metaphorische Absorptionen und Einströmungen anstellen, was mit der Beziehung vom Tod zum Leben zu tun hat, aber was sie wirklich von uns wollen, ist, daß wir lernen, wie wir alle unsere mentale Energie auf ein einzelnes Objekt konzentrieren können. Sobald wir die Konzentration beherrschen, können wir unsere neugewonnene Fähigkeit auch einsetzen, um uns fortwährend selbst zu reparieren. Das ist das ganze Geheimnis. Lebensverlängernde Drogen, Gesundheitsnahrung, Sonnenkulte, Gebete und solche Dinge sind alle nur peripher; Meditation ist es, worauf es ankommt. Vermutlich ist es eine Art Yoga; und falls die Bruderschaft so alt ist, wie Bruder Miklos sagt, wäre es sicher angebrachter zu sagen, daß Yoga ein Abkömmling des Schädelhauses ist.

Wir haben noch einen weiten Weg vor uns. Immer noch befinden wir uns im einführenden Stadium inmitten der Trainingsübungen, die die Brüder die Prüfung nennen. Ich vermute, daß das, was noch vor uns liegt, hauptsächlich Psychologisches oder sogar Psycho-analytisches sein wird: eine Reinigung vom Ballast der Seele. Der häßliche Schrecken des Neunten Mysteriums ist ein Teil davon. Ich weiß noch immer nicht, ob ich diese Passage aus dem Buch der Schädel wörtlich oder metaphorisch interpretieren soll, aber wie dem auch sei, es wird auf jeden Fall darauf hinauslaufen, daß schlechte Schwingungen aus dem Fruchtboden entfernt werden. Einen Sündenbock töten wir, und der andere Sündenbock bringt sich selbst aus dem Spiel, im wörtlichen Sinn oder sonstwie, und was unter dem Strich dabei herauskommt, sind zwei frischgebackene Brüder, die ohne die vom mangelbehafteten Duo geborene Todesbedrohung sind. Abgesehen davon, daß wir unsere Gruppe als Ganzes reinigen müssen, bedarf auch unsere eigene Innenwelt einer Reinigung. Letzte Nacht besuchte mich nach dem Abendessen Bruder Javier in meinem Zimmer, und ich nehme an, daß er auch die anderen besucht hat. Er erklärte mir, daß ich mich auf die Beichtriten vorbereiten solle. Ich möge mein ganzes Leben rückbeschauen und dabei besonderes Gewicht auf die Episoden legen, für die ich mich besonders schuldig fühlte und schämte, und ich möge bereit sein, über diese verdrängten Episoden zu sprechen, wenn man mich danach fragte. Ich schätze, daß eine Art Selbsterfahrungsgruppe in Kürze ins Leben gerufen werden soll, angeführt von Bruder Javier. Oh, er ist ein schrecklicher Mann: graue Augen, dünne Lippen, ein feingeschnittenes Gesicht. Zugänglich wie ein Felsblock. Wenn er durch die Gänge läuft, meine ich immer, in seiner Begleitung dunkle, grollende Musik zu hören. Tritt herein, großmächtiger Inquisitor! Jawohl, Bruder Javier, der großmächtige Inquisitor. Nacht und Kühle; Nebel und Schmerz. Wann beginnt das Inquisitionsverhör? Was soll ich sagen? Welche meiner Schuldtaten soll ich auf den Altar legen, welche meiner Peinlichkeiten?