Schwarzenegger hob die freie Hand und fuhrwerkte mit den Fingern in der Luft herum, er schien nach den passenden Worten zu suchen.
»Nein«, sagte er schließlich, »du hast keine Augen, sondern Perlen!«
Maria schmiegte sich an ihn und schielte vertrauensvoll zu ihm auf. Schwarzenegger zog das Kinn zum Hals, anscheinend, damit Maria ihm nicht hinter die Brillengläser sah.
»Hier ist viel Rauch«, sagte er, »warum gehen wir ausgerechnet auf dieser Promenade spazieren?«
»Weiß ich nicht«, sagte Maria.
Schwarzenegger bog ab und führte sie vom Balustradengitter weg mitten durch den Rauch. Nach ein paar Schritten bekam es Maria mit der Angst, denn der Rauch wurde so dicht, daß man nichts mehr sah, nicht einmal Schwarzenegger – sie konnte nur noch seine Hand und den Teil des Armes sehen, der um ihre Schulter gelegt war.
»Woher kommt dieser ganze Rauch?« fragte Maria. »Hier brennt doch nirgends etwas.«
»CNN«, antwortete Schwarzenegger.
»Wie, die verbrennen hier ihren Kram?«
»Nein, nein«, sagte Schwarzenegger. »Sie zeigen es nur.«
Ach so, Maria verstand: Alle, die jetzt an sie und Schwarzenegger dachten, schauten dabei vermutlich CNN, und die wiederum zeigten irgendwelchen Rauch. Das zog sich arg in die Länge.
»Keine Bange«, sagte der unsichtbare Schwarzenegger. »Es hört gleich auf.«
Der Rauch hörte ganz und gar nicht auf, so weit sie sich auch von der Promenade entfernten. Es hätte, wie ihr plötzlich einfiel, gut sein können, daß anstelle von Schwarzenegger schon minutenlang irgendein anderer neben ihr herlief – und wenn es der war, der Lenin auf jener Samstagsschaffe die Hand auf die Schulter … – ein Gedanke, der sie so entsetzte, daß sie mechanisch die Kopfhörer zurechtrückte und den Walkman einschaltete. Die Musik klang seltsam, wie zerhackt: Erst sang jemand schmachtend von der Liebe zwischen einer Gitarre und einer Trompete, dann fuhr ein elektronisches Geheul dazwischen, das sich nach einem Wolfsrudel anhörte. Doch fand Maria das immer noch besser, als den fernen Detonationen und dem nachfolgenden wüsten Stimmengewirr ausgesetzt zu sein.
Da kam auf einmal eine Gestalt aus dem Rauch geschossen, direkt auf Maria zu, und stieß sie heftig vor die Brust. Maria schrie auf und sah einen Mann in Tarnanzug mit Maschinenpistole vor sich stehen. Der Mann blickte sie an und wollte etwas sagen, als Schwarzenegger den Arm von Marias Schulter nahm, den Mann beim Kopf packte, ihn sanft zur Seite drehte und den erschlaffenden Körper außer Sichtweite beförderte. Schwarzeneggers Arm kehrte auf Marias Schulter zurück, und Maria schmiegte sich an seinen stahlharten Rumpf.
»Ach, ihr Männer immer«, gurrte sie leise.
Der Rauch schien sich allmählich zu lichten. Maria konnte wieder Schwarzeneggers Gesicht erkennen und bald schon seinen ganzen großen Körper, der – wie ein Denkmal vor der Enthüllung – unter der hellgrauen Plane des Trenchcoats verborgen war.
»Sag mal, Arnold«, fragte sie, »wohin gehen wir eigentlich?«
»Weißt du das denn nicht?« sagte Schwarzenegger.
Errötend blickte Maria zu Boden.
Wenn ich nur wüßte, was das ist, die alchimistische Ehe! dachte sie. Ob das weh tut? Ich meine, hinterher? Wäre ja nicht das erste Mal.
Sie blickte auf und sah die vielgerühmten Grübchen auf seinen Wangen: Schwarzenegger lächelte. Maria schloß die Augen, sie konnte ihr Glück nicht fassen, doch dann ging sie los – der Richtung folgend, wohin die Hand, die auf ihrer Schulter lag, sie lenkte.
Als Schwarzenegger stehenblieb, schlug sie die Augen auf und sah, daß von dem Rauch ringsum nicht mehr viel übrig war. Sie standen auf einer unbekannten Straße zwischen alten, mit Granitplatten verkleideten Häusern. Die Straße war leer; nur ganz weit hinten, dort, wo hinter einem Streifen Rauch die Uferpromenade zurückgeblieben war, hetzten gekrümmte kleine Männlein mit Maschinenpistolen sinnlos hin und her. Schwarzenegger trat merkwürdig von einem Bein auf das andere – es schien Maria, als plagten ihn irgendwelche Gewissensbisse, und erschrocken überlegte sie, ob diese womöglich mit ihr zu tun hatten.
Ich muß dringend etwas Romantisches von mir geben, dachte sie. Nur was? Ach, eigentlich egal.
»Weißt du, Arnold«, begann sie und schmiegte sich an seine Flanke, »mir ist auf einmal so … Ach, ich weiß nicht, vielleicht kommt dir das dumm vor. Ich darf doch aufrichtig sein?«
»Natürlich«, sagte Schwarzenegger und wandte ihr die schwarzen Brillengläser zu.
»Weißt du, wenn ich bei dir bin, bekomme ich schreckliche Lust zu fliegen! Mir ist, als wäre der Himmel ganz nah!«
Schwarzenegger legte den Kopf in den Nacken und schaute nach oben.
Zwischen den Rauchschwaden war tatsächlich ein tiefblauer Himmel zu sehen – daß er wer weiß wie nahe gewesen wäre, ließ sich nicht sagen, aber besonders weit weg schien er auch nicht zu sein.
Ach, dachte Maria, was rede ich da nur wieder zusammen.
Doch sie durfte jetzt nicht mehr lockerlassen.
»Und du, Arnold, wie ist es mit dir? Möchtest du fliegen?«
Schwarzenegger dachte einen Moment lang nach.
»Möchte ich.«
»Und, nimmst du mich mit? Ich bin …« Maria lächelte verschämt. »Ich bin doch so ein Erdhörnchen.«
Schwarzenegger dachte noch einen Moment lang nach.
»O. k.«, sagte er. »Ich nehme dich mit.«
Er sah sich aufmerksam nach allen Seiten um, so als suchte er nach ihm allein bekannten Wegzeichen. Augenscheinlich fand er sie, denn nun packte er Maria entschlossen beim Arm und zog sie mit sich fort. Maria war verblüfft, wie schnell der Übergang von der poetischen Abstraktion zum praktischen Handeln erfolgte – doch was ein richtiger Mann war, der verfuhr eben so.
Schwarzenegger schleppte sie die lange Zeile eines zu Stalinzeiten gebauten Hauses entlang. Nach ein paar Schritten hatte Maria sich seiner schnellen Gangart angepaßt und trabte, in seinen Mantelärmel verkrallt, neben ihm her. Wäre sie langsamer gelaufen, hätte sich – das ahnte sie! – Schwarzeneggers galant gebotene Armstütze sofort in einen stählernen Greifer verwandelt und sie erbarmungslos über das Pflaster geschleift – und seltsam, dieser Gedanke machte sie unendlich glücklich, ein Glück, das tief drinnen in ihrem Bauch entsprang und sich in warmen Wellen über den ganzen Körper ausbreitete.
Als die Hausecke erreicht war, bog Schwarzenegger in eine Einfahrt, die Ähnlichkeit mit einem Triumphbogen hatte. Der Hof, auf dem sie kurz daraufstanden, schien zu einer ganz anderen Stadt zu gehören. Nichts störte die morgendliche Stille; nirgendwo ein Fetzchen Rauch, man mochte gar nicht glauben, daß unweit von hier irgendwelche besorgten Menschen mit ihren Maschinenpistolen zugange waren.
Schwarzenegger wußte sichtlich genau, wohin er Maria führte. Sie umrundeten den kleinen Kinderspielplatz, wo die Schaukeln standen, und tauchten in ein Labyrinth schmaler Gänge zwischen rostigen Garagencontainern. Während Maria mit süßem Schauder daran dachte, daß gleich hier irgendwo, schnell und ein bißchen peinlich, die alchimistische Ehe vollzogen werden würde, führte ein letzter Durchschlupf sie in ein leeres, von unterschiedlich hohen, verschiedenfarbigen Blechwänden umgrenztes Geviert.
Bei näherem Hinsehen erwies sich der Ort als doch nicht ganz leer. Er war, wie nicht anders zu erwarten, von Flaschen übersät, zwei alte Autoreifen lagen herum, dazu die verschlissene Tür eines Lada sowie eine große Menge rätselhafter mechanischer Kleinmüll, wie er sich stets in der Nähe von Garagen ansammelt.
Und es gab ein Flugzeug.
Es nahm fast den ganzen Raum ein, obwohl Maria es erst ganz zuletzt bemerkte – vermutlich deshalb, weil ihr Bewußtsein die entsprechenden, von den Augen empfangenen Signale einige Sekunden als offenkundige Halluzination ausgefiltert hatte. Maria wurde bange.