„Sehr schön! Von Ihnen?“
„Nein, Milady. Sebastian Brandt, Das Narrenschiff.“
„Wie wahr“, sagte Lady Marbely und begann ihre vollen Lippen zu schminken.
*
„So geht das nicht! Euer Unvermögen gefährdet den Ausbau unserer Bewegung. Und das lasse ich nicht zu!“ Die Stimme des Führers klang entschlossen. Er schrie die beiden Männer an, die vor seinem breiten Schreibtisch standen.
„Wir sind keine Killer“, sagte der Richter.
„Wir haben im Rahmen unserer beruflichen Möglichkeiten getan, was wir konnten. Die Engländerin erfuhr nichts von der Fabrik in Kirchhundem“, verteidigte sich der Rechtsanwalt.
„Und wie erklärt ihr euch, dass eben diese Frau jetzt auf der Suche nach eben dieser Fabrik ist?“, fragte der Führer mit schneidender Stimme.
„Der verdammte Butler. Er hat Verdacht geschöpft und …“
Der Führer unterbrach den Richter: „Jeder Mensch mit Verstand weiß, dass das verluderte Siegener Werk nicht so viel Geld abwerfen kann. Und damit genug! Wir wenden uns jetzt der Zukunft zu. Wenn ihr auf eine solche Wert legt, dann korrigiert eure Fehler.“
„Ich wiederhole: Wir sind keine Killer“, sagte der Richter mit fester Stimme. „Wir sind als Juristen in die Bewegung eingetreten und bleiben Juristen.“
„Ich möchte nicht drohen, meine Herren. Aber ihr müsst verstehen, dass wir uns Widerstand und Unfähigkeit in den eigenen Reihen nicht leisten können.“
„Schon gut. Was verlangen Sie von uns?“, fragte der Rechtsanwalt.
„Wiedergutmachung. Die Lady muss entweder weg oder zurück nach England, und dieser seltsame Butler wird in jedem Fall liquidiert.“
„Wir werden uns beraten und einen Weg finden“, lenkte der Rechtsanwalt ein.
„GFF darf nicht an die Engländerin fallen. Das zerstört die finanzielle Basis unserer Bewegung.“
„Und bringt Sie ins Gefängnis“, warf der Richter mit einem hintergründigen Lächeln ein. „Sie wissen schon: verbotene Weiterverbreitung von Kriegswaffen und Geldwäsche.“
Der Führer schwieg und deutete mit einer Bewegung seiner linken Hand an, dass sich die beiden Männer entfernen sollten. Auf dem Ringfinger trug er einen schwarzen Siegelring mit zwei Lemniskaten.
*
Der Rechtsanwalt, der Dr. Gundolf Siedler ablöste, war eine Frau. Dr. Sarah Rombach. Jung, dynamisch, mit ihrem kurzen Haar beinahe männlich wirkend.
„Ich hab dem Amtsrichter eingeheizt“, sagte sie. „Die Übernahme von GFF in Kirchhundem läuft glatt.“
„Man wollte mich reinlegen“, stellte Lady Marbely fest.
„Das wird schwer nachzuweisen sein. Ich schlage vor, wir belassen die Angelegenheit, wie sie ist. Alles Weitere wird sich ergeben“, erklärte die Rechtsanwältin in ihrem hellen Büro in der Siegener Friedrichstraße.
„Wir werden uns einen Überblick verschaffen“, entgegnete Lady Marbely.
„Wenn Sie durch Ihre Unterschrift bestätigen, dass Sie auch das neu aufgetauchte Erbe antreten, können Sie über den gesamten Besitz unbeschränkt verfügen.“
„Keine verborgenen Schulden oder andere Unannehmlichkeiten?“, fragte die Lady, ihren Waterman-Füller in der Rechten haltend.
In diesem Moment schaltete sich der Butler in das Gespräch ein. „Die Erbschaft ist so hoch, dass kein finanzielles Risiko besteht, sollten verborgene Lasten zum Vorschein kommen. Unsere bisherigen Ermittlungen förderten keine dramatischen Erkenntnisse zutage, Milady, mit Ausnahme der Fabrik in Kirchhundem, der eigentlichen Grundlage des Vermögens Ihres verstorbenen Cousins. Hier sind weitere Recherchen nötig. Aber wir raten Ihnen, auch diesen Teil der Erbschaft zu akzeptieren, im Interesse der in der Firma Beschäftigten, sowie der Region.“
Lady Marbely setzte schwungvoll ihre Signatur unter das Dokument. „Und jetzt übersiedeln wir von Siegen nach Königstein.“
*
Marion Metz, die tüchtige Haushälterin Jakob Aufhausers, empfing die Lady am Tor zur Villa Andreae und half dem Butler, die Koffer aus dem Maybach ins Haus zu befördern. Auch der Käfig mit den drei noch lebenden Mäusen befand sich im umfangreichen Gepäck.
„Sie bleiben natürlich“, sagte die Lady zu der jungen Frau. „Und wir benötigen weiteres Personal. Ich denke an eine ständige Reinigungstruppe. Ob Frauen oder Männer ist nicht von Belang. Oft erweisen sich in dieser Hinsicht sogar Männer als geschickter. Und eine Gärtnerin oder einen Gärtner brauchen wir auch. Wir wollen doch wissen, wer der Täter ist, sollte ich ermordet werden. Nicht wahr, James?“
„An so etwas wollen wir gar nicht denken, Milady. Wir haben auf Sieg gesetzt.“
„Sie haben in Siegen auf Sieg gesetzt. Wer weiß, ob das auch für Königstein gilt?“
„Da kann ich Milady beruhigen. Unser Siegeswille erfasst ganz Deutschland.“
„Und morgen die ganze Welt“, rief Lady Marbely übermütig aus.
Der Butler sah sie überrascht an.
„Da habe ich wohl im Überschwang was Falsches gesagt“, meinte die Lady kleinlaut. „Deutschland reicht ja auch erst mal.“ Sie kicherte. „Und gegen Siegeswillen ist doch eigentlich nichts einzuwenden oder, James?“
„Es steht mir nicht zu, Sie zu belehren. Dennoch zitierten Sie gerade eben aus einem Kampflied der SA. Es zittern die morschen Knochen der Welt vor dem großen Krieg. Wir haben den Schrecken gebrochen, für uns war’s ein großer Sieg. Wir werden weiter marschieren, wenn alles in Scherben fällt, denn heute gehört uns Deutschland – und morgen die ganze Welt.“
„Auweia!“ Lady Marbely wirkte betroffen. „Ich verstehe. Der Wille zu siegen darf nicht zerstörerisch sein.“
„Sie bringen es perfekt auf den Punkt, Milady.“
„Und doch, mein guter deutscher James. Diese Zeiten sind längst überwunden. Deutschland ist heute ein demokratisches Land, die Vergangenheit ein böser Spuk, der nicht mehr bis in die Gegenwart reicht.“
Der Butler schwieg und begann einen Koffer der Lady auszupacken.
„Und wir Frauen kümmern uns um das Einstandsessen“, wandte sich Lady Marbely an die Haushälterin.
„Ich schlage eine lokale Spezialität vor“, gab sich Frau Metz begeistert. „Taunus-Wildschweinrückenmedaillons mit Thymian und Knoblauch und Spätzle.“
„Was verstehen Sie unter Spätzle, Frau Metz?“, erkundigte sich die Lady.
„Eine deutsche Spezialität, die aus Mehl, Eiern und Wasser besteht“, erklärte Marion Metz. „Kleine … wie soll ich sagen … kleine, längliche Knödel.“
„Also Egg Dumplings.“
„Ich kümmere mich um den Wein“, unterbrach der Butler das Gespräch der Frauen und ließ sich den Schlüssel zum Weinkeller aushändigen.
„Ich begleite Sie“, sagte Marion Metz, und Lady Marbely machte Anstalten, sich anzuschließen. Zur großen Überraschung der Haushälterin war die Metalltür zum Weinkeller unverschlossen. „Das verstehe ich nicht. Das letzte Mal, als ich dort unten war, habe ich abgesperrt. Das war vor zwei Wochen, als Herr Aufhauser einige Tage in der Villa verbringen wollte und dann so tragisch ums Leben kam.“
Der Butler bat die beiden Frauen, zurückzubleiben, während er das dunkle Gewölbe betrat.
„Der Lichtschalter befindet sich rechts vom Eingang“, erklärte Frau Metz noch, dann stieß sie einen Schreckensschrei aus, als im Aufflackern der Neonröhren ein lebloser Körper auf dem Steinboden erkennbar wurde. Der Mann lag auf dem Rücken, Arme und Beine von sich gestreckt, irgendwie an ein aufgespießtes Insekt aus einer Käfersammlung erinnernd.
Dieser Eindruck verstärkte sich, als der Butler die Schwertspitze sah, die aus dem Brustkorb des Mannes ragte. Schließlich stellte er fest: „Der Amtsrichter. Doktor Arnold.“