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Lady Marbely war ins Siegerland gereist, weil sie an den Begräbnisfeierlichkeiten ihres unter mysteriösen Umständen verstorbenen Cousins teilnehmen wollte, der sie als Alleinerbin eingesetzt hatte. Die Aufgabe des Spezial-Butlers war es, die Lady dabei zu unterstützen und zu beschützen. Die Erklärungen, die ihm Mister Prince dazu telefonisch gegeben hatte, waren mehr als beunruhigend gewesen, auch für einen Spitzenmann des SSI.

SSI konzentrierte sich auf besonders heikle Fälle. Dem Special Service International standen Topleute der Verbrechensbekämpfung in den Bereichen Polizei, BKA, BND zur Verfügung. International kooperierte SSI mit FBI und PSA. Der Butler war einer der Mitarbeiter. Und er wusste, dass der Schutz der Lady und die Lösung der vielfältigen Probleme rund um den Tod ihres Cousins und dessen berufliche Tätigkeit nicht leicht würden.

Umso wichtiger war es, dass Lady Marbely sich während ihres Aufenthaltes in Deutschland einigermaßen wohlfühlte. Dazu gehörte das richtige Ambiente.

Das Viersternehotel war zweckmäßig eingerichtet. Die Suite im obersten Stockwerk bot einiges an Komfort, doch fehlte das spezielle Flair für eine an Luxus gewöhnte Dame.

Das Teegeschirr, mit dem der Butler soeben hantierte, wirkte bescheiden, wie die gesamte Einrichtung der Suite. Der Blick auf das im Augenblick von der Sonne beschienene Siegen war schön, bot aber nichts Außergewöhnliches.

Der Butler entschied sich, Lady Marbely vorzuschlagen, so rasch wie möglich das Anwesen des Verstorbenen in Königstein im Taunus aufzusuchen und es als Unterkunft zu nutzen, wenn es sich als geeignet herausstellte.

Als er der Lady starken heißen Tee mit gewärmter Milch und Sandwiches servierte, bat sie ihn, Platz zu nehmen und sich ebenfalls zu bedienen.

„Es stört Sie doch nicht, wenn ich rauche?“, fragte Lady Marbely nach dem ersten Schluck Tee.

„Natürlich nicht, Milady.“ Er gab ihr Feuer.

Lady Marbely sog mehrmals an einem Zigarillo und blies den Rauch in den Raum, bevor sie sich den Sandwiches zuwandte.

„Ich muss Sie loben, James. Der Tee ist vorzüglich, die Sandwiches könnten etwas Salz in der Butter vertragen.“

„Ich notiere den Wunsch, Milady.“

„Also, was schlagen Sie weiter vor?“

„Ich wäre Ihnen gerne behilflich, einen Terminplan für die nächsten Tage zu erstellen.“

Mit diesen Worten startete der Butler seinen iPad und öffnete den noch leeren Terminkalender.

„Ich rate Milady, folgende Termine einzuplanen: Begräbnisfeierlichkeiten Jakob Aufhauser, morgen elf Uhr, in Königstein. Fahrzeit Siegen – Königstein eineinhalb Stunden. Also Abfahrt vom Hotel neun Uhr fünfzehn.“

„Der neue Maybach trifft erst im Laufe des morgigen Tages ein“, erklärte die Lady. „Wir müssen Ihren Wagen nehmen.“

„Gern, Milady.“

„Und wir müssen meinen Chauffeur unbedingt im Krankenhaus besuchen.“

„Ich merke diesen Punkt vor, Milady.“ Der Butler tippte Buchstaben und Zahlen in den Tablet-PC. „Das Anwesen Ihres Herrn Cousins in Königstein könnte sich als angemessenere Unterkunft als das Parkhotel erweisen. Außerdem sollten wir uns ein Bild davon machen, wie Ihr Vetter gelebt hat.“

„Sie kannten ihn?“, fragte die Lady.

„Wie darf ich Ihre Frage verstehen, Milady?“

„Sie erwähnten die Leibesfülle Jakobs, also vermute ich, dass Sie ein Bild oder ihn selbst gesehen haben. Soweit ich weiß, war er nicht besonders dick.“

Der Butler dachte kurz nach. „Mir ist nicht bewusst, eine Bemerkung über das Aussehen Jakob Aufhausers gemacht zu haben, wenn Milady gestatten.“

„Sie nannten ihn Fetter, und das heißt doch …“

Der Butler lächelte. „Ein Missverständnis, Milady. Leicht aufzuklären. Vetter mit V ist ein Synonym, ein anderes Wort für Cousin.“

„Ach herrje. Ich verstehe. Sie können fortfahren, James. Ich meine mit dem Erstellen des Terminplans.“

„Sehr wohl, Milady. Da wären noch um fünfzehn Uhr die Testamentseröffnung im Amtsgericht Königstein unterzubringen und später eine Besichtigung der Firma Ihres Cousins hier in Siegen.“

„Und der Besuch meines Chauffeurs im Spital.“

„Natürlich. Darf ich also folgende Reihenfolge der morgigen Termine vorschlagen: Fahrt nach Königstein, Teilnahme an den Trauerfeierlichkeiten, Testamentseröffnung, Rückfahrt nach Siegen, Besuch Ihres Chauffeurs im Krankenhaus. Eine Besichtigung der Fabrik des Verstorbenen und seines Anwesens in Königstein müssen wir auf übermorgen verschieben. Ich ersuche Milady um Verständnis, dass Sie bis dahin weiterhin mit dem Park Hotel vorlieb nehmen müssen.“

„Ich bin voll und ganz zufrieden, James. Es ist ein ruhiges, sauberes Haus mit einem schönen Blick auf die Stadt. Kein Problem.“

„Und ich bitte weiter um Verständnis, wenn ich die nächsten Stunden Milady nicht zur Verfügung stehen kann.“

„Was haben Sie vor, James?“

„Eine Fahrt nach Königstein.“

„Noch heute?“

„Es ist die letzte Gelegenheit, Ihren Verwandten zu sehen, bevor er in die Erde versenkt wird. Ich möchte mir ein Bild machen, woran er tatsächlich gestorben ist.“

„Ich komme selbstverständlich mit“, schlug Lady Marbely resolut vor.

„Ich muss Sie bitten, davon Abstand zu nehmen, Milady. Es sind gewisse Manipulationen am Körper des Herrn Cousins notwendig, die nicht für die Augen einer Lady bestimmt sind. Außerdem bedeutet das Eindringen in den Kühlbereich des Bestattungsinstituts einen Gesetzesverstoß, der einer Dame Ihres Ranges schwerlich zuzumuten ist.“

„Dann werde ich fernsehen und Gin-Tonic trinken.“

„Und die weißen Mäuse in Empfang nehmen, die im Laufe des Abends geliefert werden.“

Die Lady hob die Augenbrauen, und der Butler erkannte eine weitere Verständigungsschwierigkeit. „Die Labormäuse benötige ich für eine medizinische Untersuchung.“

Milady lachte befreit auf, wurde aber sofort wieder ernst. „Sofern die armen Tiere nicht leiden müssen …“

„Das, Milady, kann ich leider nicht versprechen. Es hängt davon ab, ob Ihr geschätzter Verwandter eines natürlichen Todes gestorben oder ermordet worden ist.“

Lady Marbely nickte nachdenklich. „Ich verstehe.“

Der Butler startete seinen silbergrauen Mercedes GLK 220 und fuhr vom Hotelparkplatz zur A45, Richtung Frankfurt am Main. Bei Nieder-Mörlen verließ er die Autobahn, um den Verkehrsstaus in der Stadtregion Frankfurt zu entgehen. Er fuhr am ehemaligen Führerhauptquartier in Butzbach vorbei, dessen mit Efeu bewachsener und einer Schiefermauer getarnter Luftschutzbunker noch zu sehen war. Die sanften Hügel des Naturparks Hochtaunus, in dem Königstein lag, waren dicht mit Laubbäumen bewachsen, deren dunkle Zweige einen ersten Hauch von Grün erkennen ließen.

Der Luftkurort Königstein war von überdurchschnittlich vielen Wohlhabenden bis Reichen bewohnt. Die vielen Gärten und Villen und die an den Straßen parkenden Autos vermittelten einen ersten Eindruck der Kaufkraft seiner Bewohner. Es war kurz nach achtzehn Uhr. Die Sonne versank als rotorangefarbener Ball hinter der im Westen gelegenen Schlossruine. Am Fuße des Hanges, auf der die Festung stand, lag der Friedhof. Der Butler fuhr in die Limburger Straße zum Bestattungsinstitut Pietät Bertram, das in einer Gründerzeitvilla mit Türmchen und Erkern untergebracht war, und prüfte die Zugänge zu dem düster wirkenden Gebäude.

Der Butler entschloss sich, für sein heikles Vorhaben den Einbruch der Dunkelheit abzuwarten. Er gab die Adresse des verstorbenen Cousins von Lady Marbely in das Navigationsgerät ein und fuhr ein Stück weiter in die Theresenstraße, von der aus die Villa Andreae auf dem Gaisberg gut zu erkennen war. Das kleine Schloss leuchtete weiß durch die dichte Vegetation des Parks. Im Sommer, wenn die Büsche und Bäume Blätter trugen, würde man keine Sicht mehr auf das Gebäude haben, das auf den Butler mehr als vielversprechend wirkte. Wenn das Innere des Schlosses ebenso ansprechend war, böte es das ideale Ambiente für Lady Marbelys Aufenthalt.