„Es ist ein ziemlich heikles Thema, das eine Engländerin vielleicht nicht verstehen wird“, meinte Stefan Obermann.
„Versuchen Sie es! Vielleicht hilft uns ein Glas Wein.“ Lady Marbely lächelte dem jungen Paar aufmunternd zu.
Ruth Henschel entschuldigte sich, dass sie nicht daran gedacht hatte, nachzuschenken. „Ich hatte mich zu sehr auf unser Gespräch konzentriert.“
„Ich habe einen Mund, um mich zu Wort zu melden. Morgen werde ich für Nachschub sorgen. Sie müssen keine Angst haben, dass Sie mich durchfüttern müssen“, erklärte die Lady lachend. „Kochen und abwaschen kann ich auch. Wenn ich auch durch mein privilegiertes Leben etwas aus der Übung gekommen bin. Also, was hat es mit den Ringen auf sich?“
„Ich erinnere mich, dass mein Vater einen schwarzen Ring trug“, antwortete Ruth Henschel, „kann aber nicht sagen, welche Bedeutung er für ihn hatte.“
„Mein Vater befürchtete, eine rechtsgerichtete Gruppierung versuche Einfluss auf Aufhausers Betriebe zu nehmen“, ergänzte Stefan Obermann.
„Und Sie glauben“, fragte Lady Marbely, „dass die Ringe damit in Zusammenhang stehen?“
„Die zwei Lemniskaten auf dem Schmuckstein“, erklärte der junge Obermann, „liegen nur, wenn man sie aus einem bestimmten Blickwinkel betrachtet. Dreht man sie um neunzig Grad, werden sie zu zwei Achten.“
„Und das bedeutet?“ Lady Marbely machte erwartungsvoll große Augen.
„88. Ein Zeichen für Neonazis. Der achte Buchstabe im Alphabet. HH. Heil Hitler. Dreht man das Alphabet um und zählt von hinten, kommt man auf SS.“
„Du meinst, dass Vater …“, wandte sich Ruth Henschel an ihren Freund.
„Ich fürchte, ja. Jedenfalls hatte mein Vater einer solchen Gruppierung angehört, bis er sich eines Tages davon lossagte und das mit mir besprach. Er wirkte so ehrlich, so überzeugend, dass auch ich sofort danach die Studentenverbindung verließ. Mein Vater erkannte den großen Irrtum in seinem Leben, den er korrigieren wollte. Das sei alles Vergangenheit. Die Zukunft liege anderswo. Sie sei in Ernsthaftigkeit und Ehrlichkeit und im Verzicht auf Gewalt zu finden.“
„Ich verstehe!“ Lady Marbely nickte eifrig.
Die Stimmung im Blockhaus hatte etwas Feierliches angenommen, erinnerte an eine religiöse Zeremonie. Es war Lady Marbely, die schließlich die Stille brach. „Mein … der Butler fand in Jakobs Computer die Zahlen 88 und 18, in einer Art Vermächtnis meines Cousins, in dem er die Aufkündigung eines Teufelspaktes erwähnt. Damit konnte er nur eine solche Gruppierung gemeint haben.“
„88 scheint klar zu sein. 18 kann Adolf Hitler oder Adlerhorst bedeuten“, sagte der junge Obermann.
„Adlerhorst?“, fragte Lady Marbely. „Was bedeutet das?“
„Das ehemalige Führerhauptquartier, in der Nähe von Königstein, in dem Hitler Weihnachten und Silvester 1944/45 verbrachte. Noch heute eine Pilgerstätte einschlägiger Kreise.“
Ruth war erbleicht. „A. H. Mein Vater … Das sind auch seine Initialen.“
„Aufhausers geheime Firma in Kirchhundem, in der Kriegsgerät hergestellt wurde“, erklärte Lady Marbely. „Ihr Vater leitete diese Fabrik. Sie war Grundlage des enormen Reichtums meines Cousins.“
„Und sollte der Finanzierung dieser rechten Gruppe dienen“, vermutete Stefan Obermann. „Die Neonazis sollten so aus ihrem finanziellen Tief geholt werden.“
„Und weil ich dazwischen kam“, führte Lady Marbely den Gedankengang fort, „mussten so viele Menschen sterben. Insofern hatten Sie wohl recht, als Sie mich anfangs verdächtigten.“
„Und die Rolle des Butlers?“, fragte Ruth Henschel.
„Entweder Engel oder Teufel. Aber das hatten wir schon“, meinte Stefan. „Ich bin gespannt, wie es weitergeht.“
„Ich ahne nichts Gutes“, befürchtete Lady Marbely. „Die Angelegenheit mit dem Butler werde ich morgen klären. Ich fahre nach Siegen, um mich mit einem meiner Berater zu treffen. Er hat mir den Butler empfohlen. Wenn Sie mir bitte dazu Ihren Wagen leihen. Der Maybach ist zu auffällig. Sie können ihn inzwischen benutzen.“
Stefan Obermann stimmte begeistert zu.
„Und dieses Auto ist absolut sicher“, fügte Lady Marbely noch hinzu.
Als sie wenig später ihren Koffer aus dem Maybach holte, vernahm sie einen leisen Pfiff. James!, durchfuhr es die alte Lady. Ohne zu zögern sprang sie ins Dickicht, und tatsächlich stand ihr Butler, perfekt gekleidet wie immer, im Mondlicht und verbeugte sich höflich.
„Wir müssen reden“, sagten beide gleichzeitig.
„Sie haben den Vortritt, James.“
„Gut, dann rasch zum Kern der Sache.“ Der Butler schaute ernst drein. „Es gibt drei Möglichkeiten, wie es weitergehen kann: Sie misstrauen mir weiterhin. Das würde bedeuten, wir gehen getrennte Wege. Für immer.“
„Oder?“
„Oder Sie trauen mir wieder, was ich sehr hoffe. Dann könnten wir wie zuvor gemeinsam weiter ermitteln.“
„Und die dritte Möglichkeit?“
„Sie vertrauen mir wieder, mit Vorbehalt, wir bleiben in Kontakt, arbeiten jedoch getrennt weiter.“
„Das ist schwer, James.“
„Das Vertrauen zu mir, Milady? Ich hoffe, ich trage daran keine Schuld.“
„Man kann Vertrauen nicht wie eine Lampe ein-und ausschalten. Das braucht Zeit. Und: Nein, Sie können nichts dafür. Es sind die vertrackten Umstände, die alles so kompliziert gemacht haben.“
„Mephisto, der Zwietracht sät. Wie PSA-Agent Larry Brent befürchtet hat.“
„Und wer ist dieser Mephisto? Sie haben doch eine Ahnung, James.“
„Noch liegt dieser Fall bedauerlicherweise im Dunkeln.“
„Welche der drei Möglichkeiten würden Sie wählen, wenn Sie in meiner Haut steckten?“
„Das ist schwer zu sagen. Ich hoffe natürlich nicht, dass Ihr Misstrauen so groß ist, dass Sie nicht mehr mit mir zusammenarbeiten wollen. Von den verbliebenen zwei Möglichkeiten hat jede ihre Vor-und Nachteile.“
„Die wären, James?“
„Die gemeinsame Weiterarbeit bietet die größte Sicherheit für Sie, bremst jedoch das Tempo.“
„Also bleibt die getrennte Zusammenarbeit, auch wenn das sprachlich einen Widerspruch bedeutet?“
„Der Vorteil bestünde in einer Täuschung des Täters. Zugleich wäre es sehr riskant für Sie. Sie wären, sozusagen, der Köder, mit dem man die Verbrecher fangen könnte, mit allen damit verbundenen Risiken.“
„Sie machen das sehr geschickt, James. Sie wollen mich dazu überreden, indem Sie an meinen Mut und meinen Ehrgeiz appellieren.“
„Nichts liegt mir ferner, Milady.“
„Und es ist Ihnen gelungen. Ich wähle die dritte Möglichkeit, lasse mich von den Tätern schnappen und locke sie damit aus der Reserve. Und Sie, mein lieber James, retten mich.“
„Ein bestechender Plan, der, wie gesagt, den Nachteil hat, dass er riskant ist und Ihr Leben in Gefahr bringt.“
Lady Marbely sah ihn vertrauensvoll an. „Um das zu verhindern, sind Sie da.“
„Sehr wohl, Milady, ich werde mein Möglichstes tun. Und dazu gehört dies hier.“ Mit diesen Worten steckte er einen Ring an Lady Marbelys Ringfinger der linken Hand, denn nur die Deutschen und die Österreicher tragen den Ehering rechts.
„Mein Gott, James! Das ist ja mein Ring. Was für eine schöne Überraschung!“
„Es ist Ihr Ehering, Milady, leicht modifiziert. Er enthält nun einen Peilsender, der es mir ermöglicht, Ihren Spuren zu folgen, wohin auch immer diese führen. Dieser Knopf auf der Unterseite ist für den äußersten Notfall bestimmt. Damit können Sie ein SOS-Signal abgeben.“