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Die Fahrt von Siegen nach Königstein verlief programmgemäß, begünstigt durch den Frühlingssonnenschein, der die hügelige Landschaft zum Funkeln und Strahlen brachte. Die getönten Scheiben des GLK 220 schützten gegen die Blendung, die von Flüssen, Bächen und Fensterscheiben ausging.

Vor der Verabschiedungshalle des Friedhofs stand schon eine Gruppe von Menschen, die auf Einlass warteten. Als ein Mann vom Bestattungsunternehmen die Tür öffnete, geleitete der Butler Lady Marbely in die erste Sitzreihe. Er selbst blieb stehen, um einen besseren Überblick zu haben.

Sanfte Orgelklänge drangen von der Empore; der Saal füllte sich mit dunkel gekleideten Menschen, die alle ehrfürchtig auf den metallbeschlagenen Sarg blickten, auf dem geradezu unheimlich wirkende blaue Rosen lagen.

Rechts neben Lady Marbely nahmen, nachdem sie die Lady begrüßt hatten, eine schlanke, attraktive Frau und ein düster wirkender Mann Platz. Es handelte sich um Hans Obermann, einen der Geschäftsführer des Verstorbenen, mit seiner Frau Angela. Der Mann, den eine tiefe Narbe im Gesicht verunstaltete, ähnelte einem bösen Hund. Das Wortspiel Obermann-Dobermann drängte sich geradezu auf, fand der Butler.

Zur Linken der Lady saß ein großer blonder Mann, dessen Haarfülle unnatürlich wirkte. Der Butler vermutete, dass er eine Perücke trug. Und noch etwas wirkte unecht an Alexander Henschel, dem zweiten Geschäftsführer. Er lächelte trotz des ernsten Anlasses unaufhörlich, auch während seiner Trauerrede, in der er des teuren Verstorbenen gedachte, dessen Leben er von Kindheitstagen bis zum achtundfünfzigsten Lebensjahr würdigte. Henschel verwies auf das große technische Können Jakob Aufhausers, sowie auf sein geschäftliches Talent, das ein Viermannunternehmen zu einem führenden Betrieb der Region Siegen hatte aufblühen lassen.

„Jakob Aufhausers ganze Leidenschaft galt der Firma, für Beziehungen und Vergnügungen blieb wenig Zeit, nachdem er auf tragische Weise seine Familie verloren hatte“, bemerkte der unermüdlich lächelnde Mann. „Jakob … unser Jakob … war in den Jahren nach dem Tod seiner Frau und seines Sohnes mit dem Betrieb verheiratet. Und wir, seine Ersatzkinder, werden uns bemühen, sein Werk würdig fortzusetzen.“

Der evangelische Pfarrer rief zum Gebet, segnete die Trauergemeinde, das Licht wurde gedämpft und erlosch unter den Klängen der Orgel. Menschen husteten und schnäuzten sich. Der Sarg wurde von vier Trägern nach draußen gebracht und auf einen schwarzen vierrädrigen Wagen gehoben. Die Trauernden folgten betend dem Gefährt in den an diesem Tag heiter wirkenden Friedhof, dessen Gräber mit gelben und weißen Narzissen, frühen Tulpen und späten Schneerosen geschmückt waren.

Der Butler ging zur Linken der Lady. Ihnen folgte der Rest des Kondukts, der an einer Gruft, die an den Arkaden des Friedhofs lag, zum Stillstand kam. Der Pfarrer segnete erneut Sarg und Trauernde, dann wurde der Sarg auf eine Plattform gehoben, die sich, mechanisch betrieben, langsam in die Gruft senkte.

„Aus der Erde sind wir genommen, zur Erde sollen wir wieder werden. Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub“, sagte der Pfarrer und beendete die Verabschiedung mit dem feierlichen Ruf: „Ruhe in Frieden.“

Die Trauergäste stellten sich in einer langen Reihe an, um der Lady und den Geschäftsführern ihr Beileid auszusprechen.

Der Butler war in Gedanken an frühere Begräbnisse in seiner eigenen Familie versunken, als ihn etwas blendete. Er trug keine Sonnenbrille und spürte das grelle Licht schmerzhaft in den Augen. Er erkannte sofort, dass es sich um das Objektiv eines Zielfernrohrs handeln musste, das, von den Strahlen der Frühlingssonne getroffen, hell aufleuchtete. Ohne nachzudenken hechtete er vor Lady Marbely, sodass sein Rücken die klein gewachsene Frau gegen die Schussrichtung abschirmte. Fast gleichzeitig empfing er einen so heftigen Schlag, dass er mit Milady zu Boden ging. Dort lag er einen Moment nach Luft ringend, bis er wieder reden konnte. „Ein Attentat!“

„Sind Sie verletzt, James?“

„Ich trage schusssichere Kleidung, Milady, die vor dem Eindringen eines Projektils schützt, nicht jedoch vor dessen Wucht beim Aufprall.“ Flüsternd fügte er hinzu: „Aber wir wollen kein Aufsehen erregen. Ich bin gestolpert.“

Die Lady entschuldigte sich bei den verschreckten Umstehenden für das Missgeschick ihres Butlers.

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„Worauf soll ich beim Totenmahl achten?“, fragte Lady Marbely ihren Begleiter, als sie sich zum Kurhaus von Königstein begaben.

Der Butler beugte sich zu ihr hinab, um nicht allzu laut sprechen zu müssen. „Ich habe mir vorgenommen, Antworten auf einige Widersprüchlichkeiten zu finden.“

„Erzählen Sie, James! Lassen Sie sich doch nicht jedes Wort aus dem Mund ziehen, oder wie das heißt.“

„Aus der Nase, Milady. Ein seltsames Sprichwort, das auf die Quacksalber vergangener Jahrhunderte zurückgeht, die vorgaben, Menschen zu heilen, indem sie ihnen Würmer aus der Nase zogen. Würmer, die angeblich im Kopf zu seelischen und geistigen Schwierigkeiten führten.“

„Sie sind offenbar ein wandelndes Lexikon, James.“

„Aber wir wollen nicht vom Thema abweichen, Milady. Mich beschäftigt die Frage, warum der Verstorbene eineinhalb Autostunden entfernt von seiner Firma wohnte. Das bedeutet, wenn ich nicht irre, eine tägliche Fahrzeit von drei Stunden.“

„Sie irren nicht, James. Und weiter?“

„Warum hat die schöne Frau Obermann den zumindest äußerlich eindeutig weniger attraktiven Herrn Obermann geheiratet?“

„So schön ist sie gar nicht“, wehrte Lady Marbely ab. „Sie hat etwas Nonnenhaftes an sich.“

„Es gibt auch schöne Nonnen. Wenn Milady diesen Einwurf gestatten. Sie erinnert mich an eine Politikerin in der Ukraine.“

„Julia Timoschenko. Und die sitzt im Gefängnis“, bemerkte Lady Marbely trocken. „Welche Fragen liegen Ihnen noch auf der Zunge, James?“

„Hatte Ihr geschätzter Herr Cousin eine Freundin? Zum Beispiel. Und wie verhält es sich mit den Beziehungen des Herrn Henschel?“

„Sie meinen den zweiten Geschäftsführer?“

„Erster oder zweiter wird sich noch herausstellen, wenn Milady erlauben“, bemerkte der Butler. „Warum trägt Henschel eine Perücke, warum lächelt er ständig? Außerdem verstehe ich noch nicht, warum der Verstorbene sein Vermögen ausgerechnet seiner englischen Cousine hinterlässt, zu der er kaum Kontakt hatte.“

„Das ist allerdings bemerkenswert, James. Darüber habe ich mir auch schon Gedanken gemacht.“

„Die Antwort, Milady, wäre hilfreich.“

„Sicherlich. Sonst noch was?“

„Ich hoffe, ich habe nicht den Eindruck erweckt, Milady Aufträge erteilen zu wollen. Das wäre nicht mit meiner Rolle … äh, meiner Position in Ihren Diensten vereinbar. Es handelt sich bei den erwähnten Unklarheiten um Fragen, die ich mir selbst stelle und die ich versuchen werde, zu beantworten.“

„Und ich helfe Ihnen selbstverständlich dabei.“

2.

Die Villa Borgnis, in der das Trauermahl ausgerichtet wurde, befand sich im Kurpark. Der Butler musste beim Anblick des Gebäudes unwillkürlich gähnen und führte diesen Umstand einerseits auf die kurze Nachtruhe, andererseits aber auch auf die Atmosphäre zurück, die das Kurhaus der Stadt Königstein ausstrahlte. Dem Anlass entsprechend, ewige Ruhe. Die Menschen, die sich hier zum sogenannten Reuessen versammelt hatten, wagten kaum zu sprechen. Sie flüsterten miteinander. Der Butler brach den Bann, indem er sich mit Lady Marbely in normaler Lautstärke unterhielt.

Die Lady, als engste Angehörige des Verstorbenen, saß an der Stirnseite der weiß gedeckten Tafel. An den Längsseiten nahmen die beiden Geschäftsführer Platz. Der düstere Hans Obermann mit seiner schönen Frau Angela. Ihnen gegenüber saß Alexander Henschel, der sich vergeblich bemühte, sein Lächeln zu dämpfen. Die restliche Trauergemeinde bestand zum Großteil aus Männern, die, wie der Butler vermutete, aus Jakob Aufhausers Firma stammten.