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„Wir müssen herausfinden, wer das Essen organisiert hat“, wandte sich Lady Marbely an den an ihrer linken Seite positionierten Butler.

Dieser erhob sich und begab sich zu Angela Obermann, besprach sich mit ihr und kehrte an seinen Platz zurück. „Die Obermanns haben das gemacht.“

„Das muss ich regeln. Die Kosten werde ich übernehmen“, stellte Lady Marbely fest und begab sich, freundlich lächelnd, zu den Obermanns, bei denen sie so lange blieb, bis die Speisen aufgetragen wurden. Zum Reuessen wurde Tafelspitz mit Frankfurter Grüner Soße serviert. Lady Marbely fand den Geschmack der Soße interessant und erkundigte sich bei ihrem Butler, woraus diese bestand.

„Verschiedene Kräuter“, gab der Butler zur Antwort. „Zu dieser Zeit des Jahres aus Glashäusern stammend, Milady.“

„Und Sie als Mann wissen natürlich nicht, um welche Kräuter es sich handelt.“

„Um Ihre Frage so exakt wie möglich zu beantworten: Es ist mir bekannt, liegt aber für gewöhnlich nicht im Bereich meiner persönlichen Interessen. Der Umstand, dass Milady sich mit dieser Frage beschäftigt, ändert natürlich die Situation.“ Bei diesen Worten erhob sich der Butler kurz von dem gepolsterten Stuhl und deutete eine Verbeugung an.

„Übertreiben Sie nicht, James! Ich bin mir bei Ihnen nicht sicher, ob Sie mich nicht auslachen.“

„Das liegt mir fern, Milady.“

„Und die Kräuter in der Soße?“

„Schnittlauch, Petersilie, Sauerampfer, Borretsch, Kerbel, manchmal auch Dill. Die Pimpinelle nicht zu vergessen.“

„Die Pimpi… was?“

„Pimpinelle oder Kleiner Wiesenknopf, eine wild wachsende Pflanze.“

„Ich verstehe. Und das alles wird gedünstet und gemixt.“

„Wie Milady belieben.“

„Das heißt, ich irre mich in meiner Vermutung, die Zubereitung betreffend.“

„Milady irren nie.“

„Wie würden Sie die Grüne Soße bereiten, wenn ich Sie darum bäte, James?“

„Ich würde in diesem Fall die Kräuter fein hacken und mit saurer Sahne sowie mit Eigelb vermengen.“

„Und nicht kochen?“

„Es ist eine kalte Soße“, stellte der Butler fest und war froh, dass Hans Obermann das Gespräch unterbrach, indem er mit einer Gabel an ein Weinglas schlug, sich erhob und an den Verstorbenen erinnerte, zu dessen Ehren man sich hier versammelt hatte.

Obermann bedankte sich auch bei Lady Marbely für die Einladung zu diesem Essen, worauf diese, leicht verlegen, nickte. Er schloss mit den Worten: „Jakob Aufhauser, unser geschätzter Chef, lebte ausschließlich für den Beruf. Er opferte vieles in seinem Leben uns und unserem Betrieb. Angela und ich wollen ihm ein letztes Mal dafür danken.“

Mit dem Essen und dem Dornfelder, einem trockenen Weißwein aus Wachenheim in Rheinland-Pfalz, lockerte sich allmählich die Stimmung im Saal, und nach dem Dessert, das aus Espresso und Schokoladenmuffins auf Pfefferkirschen, gefüllt mit Mandelmilch-Kirscheis, bestand, wie den Menükarten zu entnehmen war, kamen die Gespräche in Fahrt.

Lady Marbely widmete sich besonders intensiv der Konversation mit Alexander Henschel, der fast unverschämt mit ihr flirtete. Ihre Wangen nahmen dabei einen leicht rosigen Schimmer an. Der Butler wiederum, der die Lady nicht aus den Augen ließ, fand sein Gespräch mit Frau Obermann sehr aufschlussreich. Die schöne Frau verriet ihm, dass Jakob Aufhauser praktisch bei ihnen gewohnt hatte.

„Ganz wenige Wochenenden verbrachte er hier, in seiner Villa, in Königstein“, erklärte sie. „Und da ist es auch passiert. Er war nie krank gewesen. Ich kann es mir nicht erklären. Wäre er bei uns gewesen, hätten wir ihn retten können.“

Der Butler, der wissen wollte, welche Art Beziehung zwischen Frau Aufhauser und dem Verstorbenen bestanden hatte, fragte wie beiläufig: „Die Leute von Pietät Bertram berichteten Lady Marbely von einer seltsamen Tätowierung Jakob Aufhausers, irgendwo im Rückenbereich. Leider hatten wir keine Chance mehr, dieser Frage nachzugehen.“

„Da kann ich Ihnen leider nicht weiterhelfen. Auch mein Mann nicht. Wir waren eng befreundet, respektierten aber die Grenzen des anderen. Nur so konnte es all die Jahre gut gehen.“

Die schöne Angela sprach entweder die Wahrheit, oder sie war nur vorsichtig. Der Butler nahm sich vor, dies möglichst rasch herauszufinden. Diese Gelegenheit ergab sich beim nächsten Termin, im Amtsgericht Königstein, Burgweg 9.

*

Als die Lady das Autofenster herunterlassen wollte, um die frische Frühlingsluft zu genießen, bat der Butler sie, dies besser zu unterlassen. Er werde die Klimaanlage entsprechend justieren.

„Sie haben Angst um mein Leben“, sagte die Lady geradeheraus.

„Sollte es jemanden geben, der nicht damit einverstanden ist, dass Sie das Vermögen Jakob Aufhausers erben, wird er noch vor der Testamentseröffnung zuschlagen. Und er hat es ja bereits zweimal getan.“

Und wie zum Beweis wurden die Worte des Butlers durch einen Knall unterbrochen. Eine Gewehrkugel schrammte das vordere rechte Seitenfenster entlang, an dem Lady Marbely saß.

„Dreimal!“, korrigierte sich der Butler trocken. „Der Wagen ist glücklicherweise schusssicher, Milady.“

„Ob ich die Erbschaft ablehnen sollte?“, rief die Lady.

Der Butler blieb so ruhig, als hätte lediglich ein Ast den Wagen gestreift. „Davon rate ich ab. Ihnen wird auf jede erdenkliche Weise Schutz geboten. Genau dazu bin ich bei Ihnen!“

„Aber Ihr Auto ist jetzt zerkratzt“, bedauerte die Lady.

„Es hat den Anschein.“

Milady bewahrte Contenance. „Was haben Sie beim Reuessen in Erfahrung bringen können, James?“

„Das Gespräch darüber, Milady, müssen wir leider bis nach der Testamentseröffnung verschieben. Die Zeit drängt.“

*

Im Amtsgericht Königstein hatten sich auch das Ehepaar Obermann sowie Aufhausers Rechtsanwalt Dr. Gundolf Siedler eingefunden. Der etwa Fünfzigjährige mit dem schon schütteren Haar wirkte nervös. Er musterte die Ankommenden durch die dicken Gläser seiner randlosen Brille, die er immer wieder zurechtrückte.

„Eine Überfunktion der Schilddrüse“, stellte Lady Marbely flüsternd fest. „Sehen Sie nur diese Glotzaugen!“

„Oder Stress, Milady. Angst. Der Mann hat etwas zu verbergen.“

„Darf ich mich vorstellen: Doktor Siedler. In meine Hände hat der Verstorbene die Vollstreckung seines Testaments gelegt, nach der Eröffnung des Dokumentes durch den Amtsrichter.“ Der Rechtsanwalt schüttelte Milady die Hand. Der Butler, der von ihm ignoriert wurde, betrachtete den nervösen Menschen, der elegant gekleidet war und an seiner Rechten einen Ehering trug. Die linke Hand schmückte ein silberner Ring mit einem schwarzen Schmuckstein.

Nach wenigen Minuten bat der Richter die Anwesenden in die Amtsstube, forderte sie auf, Platz zu nehmen und setzte sich selbst an einen ausladenden Schreibtisch. Der Reihe nach ließ er die Geladenen vortreten und überprüfte anhand einer Liste ihre Personalien. Dann war es so weit. Er griff nach einem Brieföffner und brach das Siegel über einem Schriftstück. Dabei fiel dem Butler auf, dass auch der Richter einen schwarzen Ring trug. Und noch jemand hatte bei der Verabschiedung einen solchen Ring getragen. Der Butler fand es ärgerlich, dass er zu wenig darauf geachtet hatte und nun nicht mehr wusste, um wen es sich gehandelt hatte.

Der Richter räusperte sich, dann verlas er Jakob Aufhausers Letzten Willen. Er stockte dabei mehrere Male, weil er offenbar Probleme mit der Handschrift des Verstorbenen hatte. „Ich, Jakob Aufhauser, vererbe die Villa Andreae meiner Cousine Amanda Marbely. Ebenso gehen alle meine Firmen, laut beiliegender Liste, an Lady Marbely, sowie mein Barvermögen von zweiunddreißig Millionen Euro, das sich in Form von Sparbüchern, Aktien und Bargeld in meinem Depot in der Deutschen Bank in Königstein befindet. Meiner Cousine vertraue ich das künftige Geschick meiner Firmen und damit der darin Beschäftigten an, weil sie zu den wenigen gehört, die all das optimal verwalten können. Die Firmen sollen, nach nötiger Klärung und Sanierung, weiter betrieben werden. In meinem Interesse, im Interesse der Arbeiter, aber auch im wirtschaftlichen Interesse der Region. Weiterhin: Das Ehepaar Obermann, dem ich zu großem Dank verpflichtet bin, erbt ein Barvermögen von fünfhunderttausend Euro, das ihnen hoffentlich hilft, sich von den mühevollen Aufgaben rund um die Firma zurückzuziehen.“ Der Amtsrichter legte eine kurze Pause ein. „Dann folgen Datum und Unterschrift. Eine Beilage, wie im Testament angeführt, liegt nicht vor. Die Anwesenden können Einsicht in das Dokument nehmen und es kopieren lassen. Und Sie, Lady Marbely, Frau und Herr Obermann, müssen schriftlich bestätigen, dass Sie die Erbschaft antreten, beziehungsweise ablehnen. Die nächsten Schritte sind dem Testamentsvollstrecker, Rechtsanwalt Gundolf Siedler, vorbehalten, sofern er diesen Auftrag annimmt.“