Justine ging gerne hin, allein schon wegen der mit Vorhängen abgeteilten Sektion für Jazzercise und weil Mitglieder sieben Tage die Woche sechzehn Stunden lang ohne Voranmeldung kommen durften. Sie stopfte sich schwarze Workout-Klamotten und ein Paar Jazz-Schuhe in eine Sporttasche und schaltete beim Hinausgehen das Licht aus.
Drei Stunden und schätzungsweise vier Liter Schweiß später hatte sie das Gefühl, wieder fit für menschliche Gesellschaft zu sein. Na ja, nach einer gründlichen Dusche jedenfalls. Als sie in den Umkleideraum zurückging, wurde sie von einem Typen angerempelt, der ein Handtuch über der Schulter trug und offenbar zum Raum mit den Gewichten unterwegs war. Der Mann entschuldigte sich knapp und ging weiter. Sie riss die Augen auf, ging aber ebenfalls weiter, ohne einen Blick auf den Würfel zu werfen, den er ihr in die Hand gedrückt hatte.
Im Ankleideraum sah sie sich den kleinen Streifen Papier an, der um den Würfel gewickelt war, und seufzte. Okay, das Codewort stimmte. Sie konnte nur hoffen, dass es für diese Extranachricht einen guten Grund gab, weil das nämlich lausige Arbeit war. Für was halten die mich eigentlich, einen wandelnden Chat Room? Wenn das kein echter Notfall ist, reiß ich einem den Arsch auf.
Sie duschte viel kürzer, als sie eigentlich vorgehabt hatte, und strich ihre Pläne für einen Lunch im Freien, den sie unten an der Battery geplant hatte. Dort gab es einen Stand, an dem, darauf hätte sie schwören können, die besten Crab Cakes der ganzen Stadt verkauft wurden. Und Justine hatte großen Spaß daran, die Möwen zu füttern. Sie warf einen finsteren Blick auf die Tüte mit Käsestangen auf dem Beifahrersitz und fuhr nach Hause.
Wenigstens konnte sie sich ein heißes Bad leisten, während sie sich das Ding ansah, und das tat sie auch. Zu ihrer Überraschung war das Hologramm, das sich aufbaute, Robertson, ein Computerfreak, der ihr Team schon mehrere Male bei technisch anspruchsvolleren Einsätzen unterstützt hatte.
»Cally, zunächst einmal bitte ich um Entschuldigung, dass ich das Risiko eingegangen bin, so mit Ihnen Verbindung aufzunehmen. Zum Zweiten ist dies genau genommen keine von der Bane Sidhe autorisierte Kommunikation.« Er fuhr sich mit der Hand durch sein krauses, braunes Haar und Runzelte die Stirn. »Wenn ich könnte, würde ich mich selbst darum kümmern, aber das liegt nicht auf meiner Linie. Ich weiß, dass Sie ein paar von den Typen erledigt haben, die den Schlag gegen Team Conyers angeordnet und durchgeführt haben.« Cally setzte sich in der Wanne auf, und ihre Gesichtszüge wurden eisig, als das Hologramm fortfuhr. »Ich habe nur an einem der Einsätze teilgenommen, aber ich erinnere mich noch gut, dass Sie … das sehr ernst genommen haben. Ich weiß, dass man das Team eingesetzt hatte, um Ihr Leben zu retten, als Sie noch ein Kind waren. Es fällt mir schwer, das zu sagen, Cally. Die Mistkerle haben gelogen.« Das Hologramm flackerte und zeigte einen Colonel der US Army mit rötlich braunem schütterem Haar, einem ordentlich gestutzten Schnurrbart und einem fliehenden Kinn. Ihr Magen verkrampfte sich hasserfüllt bei der Erinnerung an den Mann. Der Würfel hatte jetzt ihre volle Aufmerksamkeit.
»Ich bin sicher, Sie erinnern sich an Colonel Petane, der das Safehouse des Teams an die Darhel verraten hat. Man hat uns informiert, dass man Ihnen erklärt hat, Team Hector hätte Petane erledigt. Cally, er ist noch am Leben. Irgendeiner in diesem Haufen Pragmatiker«, er sprach das Wort wie ein Schimpfwort aus, »ganz oben hat entschieden, dass der gute Colonel eine nützliche Informationsquelle sein könnte, und so hat man ihm sein Leben dafür angeboten, wenn er sich umdrehen ließe. Womit ich noch widerstrebend einverstanden sein könnte, wenn er die einzige Quelle von etwas besonders Wichtigem wäre, aber dieser kleine Saukerl hatte nur Zugang zu sekundären oder tertiären Bestätigungen von Dingen, die wir bereits wissen. Er ist ein lebendes Beispiel für das Peter-Prinzip und ist zweimal bei einer Beförderung übergangen worden. Die Pragmatiker geben, wie es scheint, ihre Fehler nicht gern zu.
Sie haben das recht gut getarnt. Sie ließen ihn in das Verbindungsbüro von Army Fleet Strike in Chicago versetzen und haben mit großer Sorgfalt alle Einsätze, die mit diesem Büro zu tun haben, Team Hector zugewiesen. Wenn Sie sich je gefragt haben, weshalb Sie so selten mit Ihrem Team nach Chicago müssen, haben Sie jetzt den Grund dafür. Mir ging das ebenso, bis man mich dann im Lauf des Winters zweimal Hector zugeteilt hat. Ich schätze, man war weiter oben der Ansicht, dass ich persönlich nicht interessiert sei und deshalb keine Gefahr darstelle. Sie brauchten jemand, der mit Petane zusammenkam, und ich sollte die Gegenmaßnahmen überwachen und sicherstellen, dass wir nicht verbrannt werden. Ich weiß, dass ich manchmal Dinge tun musste, die mich später im Schlaf heimgesucht haben, aber nie so etwas. Loyalität ist keine Einbahnstraße, sie muss in beiden Richtungen gelten. Ich … also, wir haben zusammengearbeitet und ich wusste, dass Sie das gern wissen würden. Was Sie unternehmen ist Ihre Sache. Diese Nachricht wird in fünf Sekunden gelöscht.«
Natürlich konnte jemand wie Robertson die Löschung nicht auf die normale Tour machen. Das Hologramm des Verräters explodierte in einem Regen von Blut und Gehirnmasse und verblasste dann in einem spektakulären Sonnenuntergang. Sie zog den Würfel heraus und ging in die Küche, um ihn zu vernichten, ohne dabei auf das Wasser zu achten, das auf ihren Teppich tropfte. »Also, die wollten, dass ich Urlaub mache. Okay. Also werde ich Urlaub machen.« Ihr Mund war zu einem schmalen Strich zusammengepresst, als sie einen Salat auftaute und das Frischhaltegel in den Ausguss spülte, anschließend ein Päckchen Shrimps darüberkippte und alles mit Meerrettichsoße übergoss. Ein schwacher Ausgleich für Herman’s Crab Cakes, aber sie schmeckte ohnehin kaum etwas.
Nachdem sie sich das Haar gerichtet und ein schwarzes, schulterfreies Baumwollhemd und ausgebleichte Jeansshorts geschnappt hatte, rief sie ein paar Stücke im Web auf und drehte dabei geistesabwesend an den Armreifen, die sie am linken Handgelenk trug. Justine mochte am liebsten ultramoderne Cleveland-Crash-Musik. Eine Gruppe, die sich Anger Management nannte, spielte im Riverside Dive. Das klingt nach etwas, was ich jetzt brauchen kann. Hoffentlich ist der Fraß, den’s dort gibt, nicht zu widerlich.
Charleston
Montag, 13. Mai
Cally kehrte in den frühen Morgenstunden nach Hause zurück, allein. Musik heute Nacht, ja. Gesellschaft, nein. Wenn ich mir noch einmal so einen bigotten Verjüngungsgegner aufgable wie letzte Nacht, könnte ich vergessen, dass ich nicht den Auftrag habe, sie umzubringen. Die Reinigungscrew wäre dann vielleicht sauer, und außerdem gibt das immer einen schrecklichen Papierkrieg. Sie grinste, trat aus ihren Sandalen und schwang sie an den Riemchen, während sie vor sich hin summend zu ihrem Zimmer ging.
Make-up runter, erledigt. Frischen Waschlappen, erledigt. Ausweise verstaut, erledigt. Sie streifte Justines Kleider ab, warf sie in den Korb für die Wäsche und brummte dabei mit finsterer Miene: »Morgen früh Wäsche.«
Sie wählte am Audio ihres Monitors für die Nacht Dreed, schaltete die Gegenmaßnahmen ein, stellte den Wecker auf acht und kuschelte sich in ihr Kopfkissen.
Bhutan. Ein Banker, der mit nicht menschlichen Bankern zu gut zurechtkam. Er hatte etwas für Straßenhuren übrig, hat sie aber nicht gut behandelt. Eine davon war sehr zufrieden gewesen, nach seinem Herzanfall auf einer Insel im Südpazifik ihren Ruhestand anzutreten. Das Nannitengift war selbst mit galaktischem Gerät nicht nachzuweisen gewesen. Im begehbaren Kleiderschrank beobachtet. Die Leiche überprüft, der jetzt hysterisch gewordenen Hure ein Beruhigungsmittel gespritzt und sie dann zum Shuttle gebracht. Aus der Nähe war der Tod doch völlig anders.