Rabun Gap. Sie hat den Attentäter im Visier und drückt ab, ganz sachte, dann spritzt es rot auf, und der Tod stinkt. Effiziente Männer in Weiß machen sauber, und dann kommen die Posties, und die Männer in Schwarz sind so völlig lautlos und so effizient, wenn es ums Töten geht. Schwielen vom Rosenkranz an seiner Hand. Und die Nonnen in der Schule wollen ihr nichts sagen, und dann ist da Father O’Reilly. Team Conyers gibt es nicht mehr. Es gibt sie nicht mehr, keinen mehr, Father? Vater unser, der du bist …
Segne mich, Father, denn ich habe gesündigt. Wie lange? Neunzehn Jahre, zwei Monate, drei Tage. Father, es ist eine lange Liste. Da war eine Prostituierte, die sich auf Nanoforscher spezialisiert hatte. Zwei von ihnen sind gestorben, nachdem sie ihren Bericht geliefert hatte. Ich musste … Father? Father? In einem Wutanfall zerschlägt sie den Bildschirm und starrt den leeren Stuhl dahinter an, und da ist keine Tür und auch keine Tür, durch die sie hereingekommen ist. Da muss doch eine Tür gewesen sein, oder nicht? Und keine Decke, bloß die Wände bis ganz nach oben.
Die Florida Keys. Sie ist wieder mit Dad auf dem Boot, und er ist stolz auf sie, weil sie gerade einen richtig großen Fisch gefangen hat, und sie hat sich das Salz, das der Wind mit sich gebracht hat, aus dem Haar gewaschen, sitzt am Stegrand und betrachtet den Sonnenuntergang, während Mom die Fitzer herauskämmt. Michelle ist im Wasser und schwimmt mit Dad, und ein Delfin schnattert ihr etwas zu, während sie ihn unter dem Kinn krault. Und Mom hat ihr eine leckere kalte Limonade gebracht und einen Teller …
Der Wecker schrillte, und sie brachte ihn mit einem Schlag ihrer Hand zum Verstummen, schaltete zugleich das System aus und schnappte reflexartig nach dem Waschlappen, um sich das Gesicht abzutrocknen. Mhm, den Strand habe ich immer gemocht. Vielleicht werde ich das nächste Mal, wenn ich einen richtigen Urlaub kriege, wieder hinfahren und die Gegend besuchen. Schließlich habe ich mir das schon lange versprochen. Ich schätze, nach vierzig Jahren wird sie sich wahrscheinlich ein wenig verändert haben. Heute muss ich Cally sein. Mal sehen, Cally ist sehr leger, hat ein lockeres Mundwerk, trägt häufig uni-Oliv, aber mag auch Rot.
Sie warf den gebrauchten Waschlappen in den Korb und trug ihn in die Küche, streckte der leeren Kaffeemaschine, die sie am Vorabend einzuschalten vergessen hatte, die Zunge heraus und drückte im Vorbeihasten mit dem Ellbogen den Einschalteknopf. Dann, vor der Küchentür, klappte sie den Deckel der Waschmaschine auf, warf die Kleider hinein und dazu ein Päckchen duftfreien Stoffpfleger, ehe sie den Deckel wieder zuklappte. Die Maschine registrierte das zusätzliche Gewicht, analysierte den Inhalt, und dann konnte sie hören, wie sie sich füllte, während sie die Tür wieder hinter sich schloss.
Sie wühlte im Kühlschrank herum, bis sie einen Riegel Schoko-Käsekuchen als Frühstück fand, schaltete die Nachrichten ein und warf wieder einen finsteren Blick auf die Kaffeemaschine, die immer noch nicht fertig war.
Repräsentantenhaus und Senat debattieren immer noch weiter, was »posleenfrei« im Hinblick auf Wiederaufbau und Staatscharakter bedeutet. Yeah, die Urbies sind wirklich verärgert, dass sie mit dem Senat immer noch wegen Lebensmittelsubventionen Ärger haben. Und die internen Medien der Urbs sorgen dafür, dass sie ausführlich weiter Nachrichten über jeden Angriff von wilden Posleen in CONUS (Continental USA) bekommen, also ist wohl nicht damit zu rechnen, dass sie die Nase rausstrecken und selbst nachsehen. Manchmal hat man mehr davon, im Sinne der Gesetze nicht zu existieren, als wenn man volle Bürgerrechte besitzt.
»Ah, endlich.« Sie schnappte sich ihre Tasse und füllte sie mit Kaffee, tat einen Würfel Zucker dazu und sah sich das Wetter und die Berichte über Wilde an, ehe sie sich anziehen ging. Für mich sieht es ganz gut aus.
Im Schlafzimmer schlüpfte sie in einen roten Bikini und ein T-Shirt und Jeans darüber, schlüpfte in ein altes Paar Sneakers, stopfte saubere Unterwäsche und ein Handtuch in einen ziemlich ramponierten khakifarbenen Rucksack und band sich das Haar zu einem Pferdeschwanz. Sie wühlte in den vielen Geldbörsen in der untersten Schublade, bis sie eine khakifarbene mit Klettverschluss fand, in der ein sehr aufrichtiger Ausweis und Kreditkarten auf den Namen von Cally Neilsen steckten. Die Geldbörse war ein wenig altmodisch. Es war eine von denen, die sie nur ganz selten benutzte und die daher kaum strapaziert wurde — und daher auch nur ganz selten ersetzt werden musste. Sämtliche Brieftaschen zeigten kunstvolle Gebrauchsspuren. Diese hier hatte sich die ihren auf die altmodische Tour erworben, obwohl der Inhalt ebenso häufig auf den neuesten Stand gebracht werden musste wie die anderen, um auf dem Laufenden zu bleiben, nur der Familienname hatte sich, wie das auch bei den anderen der Fall war, im Laufe der Zeit mehrmals geändert. Zum Glück waren die Darhel ebenso wenig wie die Bane Sidhe daran interessiert, dass die Computeridentifikationsprozeduren in den USA wirklich sicher waren.
Während sie dabei war, den Colt.45 und drei Zusatzmagazine im Wagen zu verstauen, wünschte sie sich, sie hätte für ihr Picknick mehr als bloß eine kleine Kühlbox mit Bier besorgt. Klar, sie hatte ihren Notvorrat — sie verließ den Wall nie, ohne ihn mitzunehmen -, aber dabei handelte es sich nicht gerade um die Art von Erfrischungen, die einem Appetit machten. Ihre Augen hellten sich auf, als sie Justines Beutel mit Käsekringeln entdeckte. Genau das Richtige. Wendys Kinder würden ihre Freude daran haben.
Sie fuhr zur Ausfahrt James River, einmal, weil sie nahe lag, zum andern aber auch, weil man weniger Mühe hatte, durch das schlichte Schiebetor aus massivem Stahl und dann über die sich daran anschließende Zugbrücke zu kommen. An einigen der anderen Tore waren die Wachen manchmal richtig eklig. Sie brauchte bloß ein paar Minuten, um den Checkpoint zu passieren. Die.45 und drei Ersatzmagazine sowie ihre Bestätigung vom Schießplatz reichten aus, um sie von der städtischen Konvoivorschrift und der entsprechenden Gebühr zu befreien. Selbst in der Nachkriegswelt konnten Haftungsfragen recht lästig sein. Die Stadtbehörden von Charleston, gewählt von einer überwiegend aus Südstaatlern bestehenden Bevölkerung, die aus den Urbs zurückgekehrt war, sowie der örtlichen Miliz und den Kadetten von Fleet Strike, hatten sich für eine echte Südstaatenlösung entschieden. Da Touristen aus den Urbs im Allgemeinen von vorne herein mutiger und vernünftig genug waren, um mit den Konvois zu reisen, funktionierte das recht gut. Die wenigen, denen das nicht passte, mochten sich über die Gebühr aufregen, aber die Leute von Charleston glaubten fest daran, dass man die örtliche Population an wilden Posties am besten dadurch knapp hielt, dass man es unterließ, sie zu füttern.
Die Straße nördlich des vom Wall umgebenen Teils von Folly war nicht so gepflegt wie die Straße zu dem vom Wall geschützten städtischen Strand, aber sie war wenigstens nicht so schlimm, wie man nach Jahrzehnten öffentlicher Vernachlässigung und zwei ausgewachsenen Hurrikanen hätte glauben können. Besonders unternehmungslustige Bürger Charlestons, die den nicht vom Wall geschützten Teil des Strandes benutzten, hatten sich angewöhnt, im Kofferraum eimerweise gereinigte Muscheln als eine Art inoffiziellen Wegzoll für den Gebrauch am Strand mitzubringen. Die Kadetten der Zitadelle machten ein paarmal im Jahr Strandpicknicks, und dabei herrschte die inoffizielle Tradition, dass man dicke Bleche sowie Vorschlaghämmer mitbrachte und improvisierte Wettbewerbe abhielt, um festzustellen, wer die meisten Muschelschalen pulverisieren konnte (den augenblicklichen Rekord hielt die Golf-Kompanie mit dreiundzwanzig Eimern). Mit den so produzierten Überresten füllten die Kadetten sorgfältig alle größeren Sprünge und Schlaglöcher, sodass die Straße im Lauf der Zeit für den lokalen Verkehr einigermaßen brauchbar geworden war, auch wenn sie nicht so glatt und dauerhaft wie Asphalt war.