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»Wir warten, bis du deine Sensoren zurückgeholt hast«, sagte Wendy, stieg auf den Fahrersitz und sah Cally dabei zu, wie sie die kleinen Kästchen von den Fahnenstangen holte und sie in ihren Wagen zurücklegte.

Eine dicke Wolkenbank schob sich heran, und Cally konnte den Regen in der Luft riechen, als sie hinter dem blauen Mini-Van wieder auf die Straße rollte und die Heimfahrt in die Stadt antrat.

3

Wieder in ihrem Apartment eingetroffen, stellte sie die ein wenig angekratzte matt orangefarbene Muschel, die Annie voll Stolz für sie »gefunden« hatte, neben einen kleinen Topfkaktus auf ihren Nachttisch und ging dann das klebrige Salz und den Sand abduschen. Sobald sie sich darüber klar war, welche ihrer Identitäten in Ferien gehen musste, würde sie noch einmal duschen müssen, aber darüber würde sie sich den Kopf zerbrechen, sobald sie sauber war.

Als sie ihren roten Bikini auf die Badematte fallen ließ, konnte sie draußen den Donner hören, gleich darauf klatschten die ersten Regentropfen gegen das kleine Badezimmerfenster.

Ein paar Minuten später kam sie aus dem Bad, ein Handtuch um den Kopf gewickelt und in einen zu großen, flauschigen blauen Bademantel gehüllt, öffnete mit einem Daumendruck die unterste Schublade ihrer Ankleide, zog sie diesmal ganz heraus und griff nach hinten, nach einer zerkratzten, schwarzen Schuhschachtel. In der Schachtel lagen ihre fünf »Spezialidentitäten«, von denen selbst die Bane Sidhe nichts wussten — nicht nach ihrer Kenntnis. Grandpa hatte ihr das damals im Postie-Krieg eingebläut: Du brauchst immer einen Geh-zur-Hölle Plan. Mhm. Die beiden kommen nicht infrage, die muss ich aktualisieren. Aus der Nähe gehe ich nie für dreißig durch, das würde mehr Kosmetikarbeit erfordern, als ich schaffe. Okay. Dann die hier. Marilyn Grant aus Toledo Urb. Gut, dass ich sie schon am Abend vorher ausgewählt habe. Ich werde eine Dauerwelle brauchen und eine Tönung, die sich nicht gleich beim ersten Duschen wieder herausspült. Ups. Als Hobbys hat sie Akustikgitarre und Musik aus den Sechzigern. Kann ja heiter werden.

Ein paar Stunden später stand sie vor dem dreiteiligen Spiegel, rümpfte über den Chemikaliengeruch, der jetzt ihr Schlafzimmer erfüllte, leicht die Nase und sah sich das Ergebnis der vorgenommenen Veränderungen an. Warme braune Augen starrten sie an, die sie altmodischen Kontaktlinsen ohne Wirkung verdankte. Nicht ganz kastanienbraune Locken reichten ihr bis zu den Schultern. Sie hatte nicht viel abschneiden müssen, weil die Locken ja das Haar ein wenig kürzer gemacht hatten. Und richtig gebräunt war sie auch nicht, eher medium. Kurze Nägel an der linken Hand und etwas längere an der rechten, mit rosa Nagellack, der besonders Brünetten so schmeichelt. Die Zehennägel waren in einer anderen Rosaschattierung gehalten. Beide mit kleinen Fehlern an den Rändern, und sie würde auch ein wenig abspringen lassen und das dann im Laufe der nächsten paar Tage nicht sehr fachmännisch reparieren.

Sie zog die Bildausweise heraus und sah sich das Gesicht an, verglich es mit dem Spiegel. Ja, das habe ich mit Wangenpolstern gemacht. Ziemlich lästig eigentlich, aber wenigstens kann man heutzutage dauergewelltes Haar waschen. Ein dreifaches Hurra für die moderne Kosmetik. Aber stinken tut das Zeug immer noch. Ein kurzer Blick auf die Fensterscheiben, gegen die immer noch der Regen klatschte, und sie schüttelte den Kopf, öffnete die Tür zum Rest ihres Apartments und schnippte den Deckenventilator an. Das und der Ventilator im Bad, der nach draußen entlüftete, würden etwas helfen. Und im Übrigen hatte sie auch schon in schlimmerem Gestank geschlafen.

Cally sah zur Uhr hinüber. Noch nicht einmal neun. Zum Teufel, vielleicht gibt es eine Alternative. Sie rümpfte die Nase und sah in den Kleiderschrank. Touristenmäßig, touristenmäßig … blaues Hawaii-Hemd, weiße Caprihosen, weiße Sandalen, billiger Muschelschmuck, eben touristenmäßig. Perfekt.

Ein paar Straßen von der Market entfernt gab es ein wirklich gutes Seafood-Lokal — so gut, dass sie sich bewusst anstrengen musste, nicht zu oft hinzugehen, weil es dort zu viele Leute gab und sie darauf achten musste, nicht irgendwelche Verhaltensmuster erkennen zu lassen. Dass heute Abend irgendwelche Kadetten dort sein würden, war unwahrscheinlich — das war ganz entschieden eine schlechte Woche für Kadetten. Der perfekte Ort für Touristen.

Sie rief auf ihrem PDA die Lokalnachrichten für Toledo Urb aus den letzten zwei Wochen auf und schaltete auf Audio, während sie sich anzog. Sie würde — wie sie das immer tat — darauf achten, Ortsansässigen aus dem Weg zu gehen, aber für alle anderen war sie gesichert.

Im Bristol bestellte sie sich an der Bar einen tropischen Krabbensalat und eine extra große Mango Margarita; als sie gegessen hatte, saß sie dann immer wieder an ihrem Drink nippend da und hörte zu, wie der Barmusiker auf seiner Gitarre Jimmy Buffett massakrierte, hörte mit einem Ohr hin und belauschte mit dem anderen die übrigen Gäste.

»… und dann habe ich Tom gesagt, dass wir den Oktobertermin niemals schaffen, wenn er mir nicht zusätzliches Personal verschafft …«

»… manchmal denke ich mir, dass sie die Richtige ist, aber dann frage ich mich wieder …«

»… unglaublich, die Preise hier! In der Urb kostet wirklich nichts so viel … yeah, weiß ich schon, aber doch nicht so viel mehr, ich meine, schließlich ist das Meer hier ja gleich vor der Tür …«

»… endlich, endgültig, und ich weiß auch, dass ich mich jetzt eigentlich besser fühlen sollte und frei und alles das, aber manchmal komme ich mir wie ein richtiger Idiot vor, dass ich mich nie gefragt habe, weshalb sie eigentlich nie gemeckert hat, wenn ich wieder mit dem Boot hinaus musste …«

Bingo. Sie studierte unter halb geschlossenen Lidern den Typen, der mit dem Barkeeper redete. Um die vierzig, schütteres Haar — aber er trug es kurz und mit Würde -, nicht über die Glatze gekämmt und auch kein schlechtes Toupet. Man hätte das hinkriegen können, aber der Fischer konnte sich das entweder nicht leisten oder war ganz einfach nicht eitel. Nicht fett. Na ja, ein kleiner Bauchansatz, aber ohne Verjüngung war das ja kaum zu vermeiden. Sie sah Schultern und einen Bizeps, die auf ein Leben körperlicher Arbeit deuteten, sah die wettergegerbte Haut und entschied, dass sie schon Schlimmeres gesehen hatte. Ganz locker nahm sie ihr Glas und ging zu dem leeren Hocker neben ihm hinüber, bat den Barkeeper um ein Glas Wasser und ein Stück Key Lime Pie.

»Herrgott, das sieht aber süß aus«, sagte der Fischer nach einem Blick auf ihre Margarita und schüttelte sich, »und dazu essen Sie Kuchen?«

»Ja, ich bin eben eine Süße.« Sie grinste ihn an.

»Also, entschuldigen Sie, wenn ich das so sage, aber das sieht man Ihnen gar nicht an.« Er warf einen kurzen Blick auf ihre Taille, sah dann aber höflich gleich wieder weg.

Sie verzog das Gesicht, als der Typ mit der Gitarre — ihn als Musiker zu bezeichnen wäre wirklich übertrieben gewesen — schon wieder einen Akkord verpatzte, sah, wie der Fischer ebenfalls zusammenzuckte, und lachte.

»Da es also offenbar nicht die Musik ist, würde mich wirklich interessieren, was ein hübsches, junges Mädchen hierher führt und mit alten Knackern wie uns trinken lässt?« Er machte eine Handbewegung, die die ganze Bar einschloss. »Arbeitet Ihr Boyfriend etwa hier?«

»Hatten Sie je einen Abend, wo Sie einfach nicht allein sein wollten?«, fragte Cally mit einem sanften Lächeln.

»Was, heute Abend meinen Sie?« Er nahm einen langen Schluck aus seinem Bierglas und starrte ins Leere. »In letzter Zeit eigentlich immer.« Dann trank er aus und winkte dem Barkeeper nach einem frischen Bier. »Sie klingen auch nicht so, als ob Sie aus der Gegend kämen. Äh, entschuldigen Sie«, wischte er dann ihre Erklärung weg. »Ich bin bloß neugierig.«