»Sprich mit Michelle.«
»Du weißt verdammt gut, weshalb ich das nicht kann.« Er seufzte. »Ich weiß einfach nicht, worin das Problem liegt. Eine Weile habe ich gedacht, wenn ich einfach bloß warte … und du scheinst ja Kinder zu mögen. Honey, ich habe nicht mehr so schrecklich viel Zeit.«
»Nun, da kann ich nur sagen, es tut mir Leid.« Sie klang eher, als wäre sie indigniert und nicht so sehr, als ob es ihr Leid tun würde, »aber ich habe einfach nicht den richtigen Mann gefunden. Dafür habe ich einen Job, einen recht wichtigen sogar, den nicht jeder machen könnte. Und auf den verstehe ich mich verdammt gut.«
»Ein Job ist doch kein Ersatz für ein Leben!« Sie konnte hören, wie er tief durchatmete und dann seufzte. »Dieser Job frisst dich auf, und er ist auch nicht gut für dich. Dort draußen gibt es eine Menge guter Männer und auch viele Orte, wo man sie kennen lernen kann, nicht bloß Bars.«
»Jetzt Augenblick mal, ich mag vielleicht aussehen wie zwanzig, aber ich …«
»Cally, ich will mich nicht mit dir streiten«, fiel er ihr ins Wort. »Ich weiß, dass du eine erwachsene Frau bist. Denk einfach darüber nach, ja?«
»Okay, meinetwegen.« Sie holte tief Luft und ließ den Atem dann langsam entweichen. »Damit du’s nur weißt, ich nehme gerade eine Woche Urlaub. Ich habe die Unterlagen für unseren nächsten Einsatz, darf aber nichts darüber sagen. Nach meiner Reise werden wir jedoch mehr als genug Zeit haben, um das alles auf die Reihe zu kriegen. Du solltest alle zusammentrommeln, und wir treffen uns dann am dreiundzwanzigsten um zwanzig Uhr auf der Windfarm. Ich melde mich wieder, okay?«
»Urlaub? Wird auch langsam Zeit. Wohin geht’s denn?«
»Ich habe mich noch nicht entschieden. Ich werde das von Tag zu Tag unterwegs tun«, meinte sie. »Wenn ich alles planen müsste, wäre es kein Urlaub. Geht das klar mit unserem Treffen?«
»Ja, ja, zwanzig Uhr, dreiundzwanzigster. Du wirst mir also wirklich nicht sagen, wo du hingehst, wie?« Er klang leicht verstimmt.
»Nee. Alles Liebe, Grandpa. Wiedersehen.«
Sie legte auf und grinste das Telefon ein paar Augenblicke lang an, ehe sie ihre Taschen vom Gehsteig aufhob und sie zum Wagen trug. Einen Augenblick lang wirkten ihre Züge angespannt. Okay, dann ist’s eben ein Arbeitsurlaub. Ich kann einfach nicht glauben, dass die diesen Mistkerl geschützt haben. Verdammt, doch, ja, ich kann es. Beschissene Pragmatiker. Okay, ich bin ja auch keine Idealistin mit verträumten Augen, aber gewisse Maßstäbe muss es doch geben.
Den Rest des Nachmittags und Abends verbrachte sie damit, die öffentlichen Unterlagen von Sinda Makepeace zu knacken — Führerschein, Kreditkarten, Einkaufskarten, die Grundbucheintragungen für ihren Apartmentblock, Spuren im Internet. Jay und Tommy würden das nächste Woche sehr viel gründlicher machen, aber da sie sie jetzt noch nicht informieren durfte, würde sie sich auf die Weise wenigstens einen kleinen Vorsprung verschaffen.
Nach zwei Stunden, in denen der Buckley Musteranalysen durchlaufen ließ, hatte sie ein vorläufiges Profil, um anfangen zu können, die Rolle aufzubauen.
»Meinst du, du könntest einen kompletten Backup für mich vornehmen, ehe wir auf diesen Einsatz gehen? Gibt schließlich keinen Grund, dass wir beide sterben, oder?«
»Halt die Klappe, Buckley.«
»Geht in Ordnung.«
Dann kamen die Vorbereitungen für ihren Urlaubseinsatz. Die Zielperson war keine große Nummer, also sollte das nicht schwer fallen, aber Cally war beim Vorbereiten eines Einsatzes gewohnheitsmäßig gründlich. Das war auch der entscheidende Grund dafür, dass sie noch am Leben war.
Da sie sich Petanes Gesichtszüge schon vor Jahren eingeprägt hatte, als sie noch jung und eifrig und davon überzeugt war, dass man sie für diesen Einsatz einteilen würde, reichte eine leichte Selbsthypnose, um die Einzelheiten wieder an die Oberfläche zurückzubefördern. Es war natürlich möglich, dass man ihn verändert hatte, aber in dem Fall hätte Robertson das ja wahrscheinlich gesagt. Immer vorausgesetzt, dass Robertson mir die Wahrheit sagt und nicht sein eigenes Spiel spielt.
Eine 3D-Gesichtsmodellierungsanwendung ermöglichte es ihr, ihr Gesicht in eine Form zu bringen, mit der das System etwas anfangen konnte. Und dann war es nur noch ein einfacher Hackvorgang, die Kameraaufzeichnungen für die Geldautomaten Chicagos zu downloaden und eine weitere kleine Anwendung, um die Bilder nach Übereinstimmungen durchsuchen zu lassen. Normalerweise hätte sie die Hackerei in den Banken Jay überlassen, aber sie war schließlich nicht seit über dreißig Jahren in diesem Geschäft, ohne dabei ein paar Tricks außerhalb ihrer eigenen Spezialitäten gelernt zu haben. Klar, beim ersten Durchgang bekam sie eine ganze Menge falscher Positivmeldungen, aber bereits beim ersten Dutzend konnte sie einen echten Treffer registrieren, ihn durch die Anwendung schicken, ihn modifizieren und erneut durchlaufen lassen. Damit konnte sie die Hälfte der Treffer eliminieren. Als sie die dann nach ein paar weiteren positiven durchsuchte und die Anwendung erneut verfeinerte, brachte sie das auf etwa zweihundert echte positive, aus denen sie manuell eine Hand voll falscher und zweifelhafter aussortierte. Die lud sie in ihre Datenbasis, ließ eine dritte Anwendung laufen und forderte den Buckley auf, von einem üblichen Terminplan Montag bis Freitag auszugehen, seine Arbeit auf eine vermutliche Zone von ein paar Häuserblocks und sein Zuhause auf eine von zwei möglichen Adressen zu lokalisieren. Bei einer davon handelte es sich vermutlich um die Adresse einer Freundin. Nach einem schnellen Blick auf eine Landkarte entschied sie sich für den Fleet Strike Tower als die vermutliche Arbeitsstelle. Na ja, dann hat Robertson in dem Punkt zumindest die Wahrheit gesagt. Für mich sieht das jedenfalls nicht so aus, als ob der Kotzbrocken tot wäre. Aber das lässt sich ändern. Ich hätte ja gute Lust, seine Konten zu knacken, um ein komplettes Profil zu bekommen, aber das Risiko, dabei Spuren zu hinterlassen, ist viel zu groß. Mir wäre es wirklich lieber, wenn meine Oberen sich an die Idee gewöhnen könnten, dass Petane tot ist, bevor ich mich zu dem Hit bekenne. Falls ich das je tue. Mhm. Wenn das nicht interessant ist! Die haben den nie von der Zieleliste genommen — und ihn nur automatisch als inaktiv markiert, als er als tot eingetragen wurde. Sie entschied sich für Risiko und hackte die Nummernschilderdatenbasis von Illinois, um Marke, Modelljahr und Zulassungsnummer seines Autos zu bekommen, und lud dann die Ergebnisse der Analyse und die sonstigen Daten auf einen Würfel, den sie so einstellte, dass er sich nicht nach dem ersten Lesen selbst löschte. Das war ein kalkuliertes Risiko, aber wenn es wirklich ernst wurde, würde ihre eigene Magensäure den Würfel ebenso wirksam zerstören wie das sonst eher übliche Glas Essig.
»Gratuliere! Wirklich einmal eine kreative neue Art sicherzustellen, dass wir beide umgebracht werden. Hast du je die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass das wirklich keine so gute Idee sein könnte?«
»Klappe halten, Buckley.«
»Geht in Ordnung.«
Unter einem Kornfeld in Indiana
Mittwoch, 15. Mai
Indowy-Wohnungen waren etwa ein Viertel so groß wie die normaler menschlicher Wesen. Das lag nicht einmal daran, dass sie Platzangst gehabt hätten. Es kam einfach daher, dass sie sich in Gruppen viel sicherer fühlten. Trotzdem hatte Aelool das Opfer gebracht, sich ein Zimmer für sich allein zu nehmen, weil er gelegentlich Menschen zu sich einladen musste. Selbst auf Chicago Basis zogen die meisten Indowy es vor, sich lieber nicht mit Fleischfressern einzulassen, wenn das Zusammentreffen nicht unbedingt notwendig war. Davon waren nur die wenigen Menschenkinder ausgenommen, die in Sohon als Lehrlinge tätig waren und deren Familien man unter den Bane Sidhe speziell auf ihre Anpassungsfähigkeit hin ausgewählt hatte. Diese Menschenkinder waren Vegetarier. Dass sie als Teil einer Spezies zur Welt gekommen waren, die bis jetzt ihre fleischfresserischen Wurzeln noch nicht ganz aufgegeben hatte, war ja nicht gerade ihre Schuld.