Seine Einzelwohnung schien auch für menschliche Besucher bequemer zu sein, die sich gewöhnlich zu zweit oder in kleinen Gruppen wohl fühlten, aber unglücklicherweise auf größere Ansammlungen negativ reagierten. Die wenigen Wissenschaftler, die die Geschichte der Menschen trotz einer natürlichen Abneigung für dieses von Gewalt durchsetzte Thema studiert hatten, waren, nachdem sie das Verhalten von Menschen in größeren Ansammlungen ihrer eigenen Spezies im Laufe ihrer Geschichte studiert hatten, zu etwa gleichen Teilen geteilter Meinung darüber, ob die Menschen nun pathologische Einzelgänger oder versteckte Xenophoben waren. Er neigte der ersten Hypothese zu und verhielt sich auch dementsprechend. Für ihn hatte das bisher gut funktioniert. Ehrlich, solange man dafür sorgte, dass sie nicht in ein zu dichtes Gedränge kamen, waren viele Menschen im Grunde genommen gar nicht so übel.
Im Augenblick bereitete er sich auf seinen häufigsten Besucher vor, Nathan O’Reilly, dem man die Sorge für die Hauptbasis der Bane-Sidhe-Operationen auf der Erde anvertraut hatte. Obwohl die Informationsgewinnung und auch andere Operationen am besten mit einem Zellensystem funktionierten, ließ sich doch eine gewisse Bürokratie nicht ganz vermeiden, sobald man ein gewisses Niveau der Komplexität überschritten hatte. O’Reillys ganz spezielle philosophische Disziplin erforderte es, dass er sich nicht verheiratete und auch keinen Nachwuchs hatte, und demzufolge verfügte er auch nicht über einen nennenswerten Clan, aber seine Position und seine hohe Bildung setzten ihn mit einer Art hochrangigem Ältesten gleich. Aelool empfand großen Respekt für den Monsignore. Sie teilten eine Leidenschaft für Logikspiele, und Father O’Reilly hatte ihn mit dem Schachspiel vertraut gemacht. Es ganz zu meistern würde zumindest ein Jahrhundert in Anspruch nehmen. Vielleicht würde er sich dann für den Gefallen revanchieren und seinen Freund Aethal lehren können.
Die angemessene Gastfreundschaft gegenüber menschlichen Besuchern erforderte die rituelle Zubereitung einer Bohnenbrühe, die bei dieser Spezies in hohem Ansehen stand. Er hatte diese Kunst vom besten Experten gelernt, den er hatte ausfindig machen können. Ein perfekt sauberer Topf und die entsprechende Apparatur, eine winzige Prise Salz, dann die im Handel erhältlichen getrockneten und vorgerösteten Bohnen durch ein grobes Mahlwerk treiben, dazu Quellwasser aus Flaschen, dann die einzelnen Komponenten an den jeweils richtigen Stellen in die Maschine eingeben, und die Suppe wurde jedes Mal perfekt zubereitet. Er konnte nicht verstehen, wie es eine Saison für Wasser geben konnte, aber wenn er es bestellte, wussten die immer, was er meinte, und deshalb legte er sich auch nicht mit ihnen an.
Aelool hatte gelernt, dass manche Schachspiele abstrakter als andere waren. Dasjenige, das er gewählt hatte, hatte Holzfiguren, die äußerst fein geschnitzt waren. Das Pferd gefiel ihm besonders. Er war einige Male Pferden begegnet. Sie waren nicht gerade vernunftbegabt, aber dennoch hätte er gern einmal eines in seiner Wohnungsgruppe gehabt, falls man sie klein genug züchten konnte.
Nachdem er alles für seinen Gast bereit gemacht hatte, saß er ein paar Minuten still da und arbeitete an der Konstruktion seines neuesten Projekts. Als das Licht leicht ins Gelbe umschlug und damit das Eintreffen des Gelehrten ankündigte, legte er das Projekt still beiseite und drückte den Knopf der Sprechanlage.
»Es ist offen«, sagte er.
»Aelool, wie geht es Ihnen heute Nachmittag?«
»Gut«, erwiderte er in dem rituellen Gruß. »Darf ich Ihnen Kaffee anbieten?«
»Ja, bitte. Schwarz.«
Der Indowy stellte eine Tasse Kaffee und ein Glas Wasser mit einer Olive auf das Tablett. Tatsächlich war der Kaffee nicht schwarz. Er war dunkelbraun. Und wenn man mit Fett und Nährstoffen angereicherten Säugetierschweiß hinzufügte, machte ihn das nicht weiß, sondern eher hellbraun. Aber er hatte sich daran gewöhnt, dass Menschen in solchen Dingen zu übertreiben pflegten.
Sie begannen ihr Schachspiel. Er hatte Weiß — was in seinem Fall tatsächlich weiß war -, also eröffnete er das Spiel. Zurzeit war er dabei, Variationen der Turmeröffnung zu lernen. Während sie spielten, brachte O’Reilly ihn auf den neuesten Stand hinsichtlich der Erdoperationen.
»Denen wird es nicht leicht fallen, Worth zu ersetzen. Die meisten Kampfveteranen, die sie haben, sind es gewöhnt, Posleen zu töten, nicht Mitmenschen. Zugegeben, sie verfügen immer noch über die Profis, die er rekrutiert und ausgebildet hat, aber die Darhel haben schon immer mehr dazu geneigt, sich ihre Erkenntnisse durch Hacken und durch gründliches Aktenstudium zu beschaffen und sich weniger auf wirklich vernunftbegabte Agenten oder Einsatzspezialisten zu stützen. Ihre Ausbildungssysteme sind schwach, und jeder Verlust tut ihnen weh.«
»Die undichte Stelle macht mir mehr Sorgen. Wir brauchen Tarnung. Der Plan ist sehr langfristig angelegt, und wenn er vorzeitig bekannt würde, könnte ihn das zum Scheitern bringen.«
»Team Isaac hat eine beeindruckende Erfolgsrate.«
»Dann kann man ihnen nur Glück wünschen.«
4
Charleston
Mittwoch, 15. Mai
Es war wenige Minuten vor sechs, und die Ränder der über den Himmel verstreuten Wolken leuchteten in strahlendem Rosa, als Cally am Columbia-Tor des Walls aus dem städtischen Bus stieg. Sie hatte ihren Rucksack und einen Rollkoffer bei sich und trug ein altes Paar Shorts mit einem T-Shirt, dazu eine grell bunte Strandmütze und einen leuchtend gelben Folly Beach Visor. Ihr Gesichtsausdruck vermittelte an leichte Verzweiflung grenzende Hoffnung, als sie den Blick an den Fahrzeugen entlangwandern ließ, die sich für den morgendlichen Konvoi aufreihten. Sie ging auf einen ziemlich heruntergekommen wirkenden weißen Van zu, aber die finsteren Blicke der Frau hinter dem Steuer ließen sie nach einer anderen Fahrgelegenheit suchen. Ziemlich am Ende der Schlange entdeckte sie einen VW-Bus, der wahrscheinlich schon an die achtzig Jahre alt war. Die Malereien an den Seitenflächen waren unterschiedlich stark verblasst, aber offenkundig doch im Laufe der Jahre immer wieder mit Sorgfalt nachgebessert worden. Der Totenschädel mit den oben herauswachsenden Rosen war absolut perfekt, ebenso die liebevoll aufgemalte Schrift, die sie bereits kannte, ehe sie weit genug an den anderen Fahrzeugen vorbei war, um sie zur Gänze lesen zu können.
Ehe sie näher trat, kümmerte sie sich um ihren Buckley, schaltete Stimmzugang und Antwort ab, reduzierte die Emulationen bis herunter auf zwei und stopfte das Ding dann in ihre Handtasche zurück. Das würde ja gerade noch fehlen, dass das Ding im falschen Augenblick das Falsche sagte.
Der Fahrer des VW-Busses hatte langes, blondes Haar, einen buschigen Schnurrbart, doch einen gepflegten Bart. Er war gebaut wie ein kleiner Bär. Beim Näherkommen konnte sie einen schwachen Hauch von Eichenblättern und Patchouli wahrnehmen, das sich in den Salz- und Fischgeruch von den Tanks hinten mischte. Die Musik aus seinem Würfelspieler hallte aus dem offenen Fenster, und seine Finger klopften den Takt auf dem Fensterrahmen mit. »… gotta tip they’re gonna kick the door in again. I’d like to get some sleep before I travel …«
»Hey, du da mit dem T-Shirt. Surfst du?« Er nahm sie zur Kenntnis, als sie den Koffer heranzog.
»Na ja, ab und zu schon. Aber gewöhnlich gehe ich dazu nach LA. Für die Wellen hier habe ich nicht einmal mein eigenes Brett mitgebracht. Um so weit rauszugehen, hatte ich weder das Geld noch die Zeit.«