Am deutlichsten unterschied Spartanburg sich von der letzten Station durch die lange Schlange an der Zahlfunkstation, als die Angehörigen der Gruppe von Nashville ihre Freunde und ihre Familien zu Hause anrufen wollten.
Die Bewohner der Station waren es offenkundig gewöhnt, dass die Konvois bei ihnen Mittagspause einlegten. Eines der Gebäude innerhalb der Schutzmauern war eine Imbissstation, die noch aus der Vorkriegszeit stammte. Im Laufe der Jahre hatte die Sonne das Plastikmaterial um das flache Dach des Gebäudes vergilben lassen. Die Stahlstange, die früher einmal eine Leuchtschrift getragen hatte, war verlängert worden und trug jetzt die Funkantenne der Station.
Auf dem Parkplatz des Restaurants standen uralte Picknicktische aus verschiedenen Materialien, die man offenbar überall zusammengekratzt hatte. Vielleicht ein Drittel davon stammte noch aus der Vorkriegszeit. Eine Hand voll Mädchen im Teenageralter in Shorts und T-Shirts bedienten. Callys Omelette war zäh und überteuert, aber die Bedienung gab sich große Mühe, schenkte ihr mehrfach Wasser nach und entschuldigte sich mit einem freundlichen Lächeln für die Qualität des Gebotenen.
»Wenn du den Geschmack von dem Zeug hier loswerden willst, solltest du dir in dem Laden dort drüben ein kleines Glas eingelegte Pfirsiche besorgen. Einer von unseren Nachbarn verkauft sie, und die sind wirklich gut. Ich meine, wenn man Pfirsiche mag.«
»Danke, werde ich tun.« Cally lächelte, wobei ihr die wehmütigen Blicke des Mädchens, die ihrem PDA galten, nicht entgingen.
»Du bist College-Studentin … nicht wahr? Das muss schön sein.« Das trug ihr einen bösen Blick eines anderen Mädchens ein, das ein wenig schneller als sie bediente.
»Ja, mir gefällt es. Wo willst du dich denn bewerben?«
»Das würde nichts nützen.« Das Mädchen wurde rot. »Die nehmen einen nicht, wenn man aus einem anderen Staat kommt, sofern man nicht Geld hat.«
»Ich kenne eine ganze Menge auswärtige Studenten. Und es gibt schließlich auch Stipendien.«
»Dazu muss man Prüfungen bestehen. Ich habe mich erkundigt.« Sie warf dem anderen Mädchen einen finsteren Blick zu, als dieses, mit einem Stapel gebrauchter Teller beladen, einen unfreundlichen Laut von sich gab. »Ich wette, von deinen auswärtigen Freundinnen kommt keine von einer Prämienfarm, oder?«
»Wenn du die Prüfungen nicht schaffst, musst du eben lesen und studieren, bis du es schaffst.«
Das Mädchen lachte. »Bibliothek.« Sie deutete auf den Wohnwagen des Bounty-Agenten. »Zwei Regale voller Lexika aus der Vorkriegszeit und ein zerfleddertes Exemplar von Ledergöttinnen von Phobos.«
»Das kann doch nicht dein Ernst sein.« Cally fiel die Kinnlade herunter.
»Nee.« Sie grinste verkniffen. »Na ja, es sei denn, du zählst die Pornomagazine mit, die Agent Thomas unter seinem Bett verstaut. Ich habe mich schon mal so gelangweilt. Ups, ich muss jetzt gehen, die Pfirsiche solltest du echt versuchen.« Sie zuckte zusammen, als sie das Gesicht der Frau in mittleren Jahren sah, die aus dem mit Isolierband geflickten Plastik-»Fenster« der Imbissbude heraussah, und fing an, leere Teller und Besteck einzusammeln.
Cally starrte ihr einen Augenblick lang nach, ehe sie in ihrem Rucksack nach einem abgegriffenen Exemplar von Pygmalion wühlte und das Buch einen Augenblick lang anstarrte.
Ich kann mir ja wieder eins besorgen. Sie stopfte das Trinkgeld des Mädchens hinter den Einbanddeckel, leerte ihr Wasserglas und ging dann zu der Tür, wo das Mädchen gerade herauskam, um sich die nächste Ladung abzuholen. Als sie den roten Handabdruck im Gesicht des Mädchens und ihre geröteten Augen sah, presste sie die Lippen zusammen und drückte ihr das Buch in die Hand. »Du darfst nie aufgeben«, redete sie ihr zu, griff ihr unters Kinn und drehte ihr den Kopf herum, damit sie ihr in die Augen sehen musste. »Niemals aufgeben. Niemals. Du schaffst das.«
Das Mädchen zuckte zusammen und musterte ihr Gegenüber scharf, als ob ihr plötzlich der Verdacht gekommen wäre, dass sie viel älter als zwanzig war, was auch immer sonst sie sein mochte. Sie lächelte grimmig, stopfte sich das Buch in die Tasche und machte sich wieder an die Arbeit.
Cally hörte sie murmeln »Danke, Ma’am«, als sie zu dem VW-Bus zurückschlenderte, wieder exakt wie eine Studentin auf Reisen, bemüht, ihre Selbstvorwürfe wegen Verletzung ihrer Tarnung nicht zu offensichtlich werden zu lassen.
Vor den Mauern verzog Cally das Gesicht, als sie das Kudzu-Gestrüpp am Straßenrand sah. »Das gibt Probleme mit Abat, nicht wahr?«
»Was? Ja, und wie. Das kommt an diesen Orten häufig vor. Wenn es kein gutes Anbauland ist oder dicht beim Haus von jemandem liegt, geht es niemand etwas an. Da reinzugehen und das Zeug wegzuschaffen, das macht ’ne Menge Arbeit, und dafür kriegt man keine Prämien und die eigene Saat wächst davon auch nicht. Bis dann irgendein armer Teufel von einem Grat gebissen wird. Ich kann dir bloß sagen, Mann, auf der ganzen Welt gibt’s nicht genug Geld, um mich zum Farmer zu machen.«
Als das Land und die Straße dann hügeliger wurden, türmten sich zuerst die kleinen, immer größer werdenden Bäume und das Gestrüpp wie grüne Mauern entlang der Straße auf, dann kamen riesige Granitdurchbrüche, als sie in die Blue Ridge Mountains hinaufklettern, die wie eine gewaltige Wand vor ihnen aufstiegen, welche der nachmittägliche Dunst nur geringfügig weicher machte. Jetzt, wo das sich ändernde Terrain es nicht mehr nötig machte, eine Roundup-Zone zu haben, tauchten hier und da kleine Grasinseln und irgendwelche Cally unbekannten blauen Blumen auf, die sich im Felsboden festkrallten und gelegentlich dazwischen ein paar leuchtend gelbe Kleckse von Bergazaleen. Reefer schaltete die Klimaanlage ab und kurbelte die Seitenscheiben herunter, um die frische, kühle Bergluft hereinzulassen. Cally gab sich Mühe, nicht die Nase zu rümpfen, weil damit auch der Auspuffgestank des restlichen Konvois hereinkam, und schlang sich ihr Haar zu einem Pferdeschwanz, damit ihr die dunklen Locken nicht ins Gesicht flogen.
An einem der Durchstiche konnte man noch Reste von einigermaßen exotischem Schutt erkennen, wo sie den Wall in die Luft gejagt hatten, die Straße dann nach Fertigstellung der Green River Gorge Zugbrücke beim Wiederaufbau der Route zum Hafen von Charleston neu zu eröffnen.
An der Zugbrücke gab es keine Verzögerung, weil der vorderste Truck bereits synchronisierte Codes vorausgefunkt hatte, um den Brückenwärter zu verständigen. Cally beruhigte es, den ungewöhnlich wachsamen Mann dabei zu beobachten, wie er ganz offensichtlich den Konvoi und seine sämtlichen Sensoren im Auge behielt, während der VW über die heruntergelassene Brücke polterte.
Nach der ersten Ausfahrt hinter der Brücke überholten sie gelegentlich lokalen Verkehr — hie und da einen uralten Pickup-Truck oder einen Off-Roader aus den Berggemeinden, die nach der großen Entlassungswelle überlebender Soldaten nach dem Krieg wieder zu einem Leben zurückgekehrt waren, wie sie es die letzten vierhundert Jahre geführt hatten. Ein wenig ärmer vielleicht, aber was machte das Leuten schon aus, die sich an dieses Hochland ebenso gewöhnt hatten und es liebten, wie ihre Vorfahren ihr früheres Zuhause geliebt hatten; schließlich hatten sie ihre Berge, ihre Nachbarn, und für sie fühlte sich die gerade erträgliche Armut, die sie umgab, eher wie ein vertrautes, ausgetretenes Paar alter Schuhe an, als sie wirklich zu belasten. Ihre Berge waren nichts für Weichlinge, Faulpelze oder habgieriges Volk, aber sie hatten sie vor einer Gefahr beschützt, die weichere und reichere Leute völlig hilflos gemacht hatte. Dieses Wissen hatte die Zuneigung der Ortsansässigen zu ihren Bergen zu einem immer währenden Band geschmiedet, das eigentlich weit über bloße Zuneigung hinausging und bis zu respektvoller Ergebenheit reichte. Und das war einer der Gründe dafür, dass die ländlichen Regionen in den Appalachen die wohl niedrigsten Abwanderungsquoten auf dem ganzen Planeten hatten. Die Bewohner dieser Bergregion wussten zwar, dass es in der modernen Galaxis viele Orte gab, wo Menschen leben konnten, aber dieser Ort hier gehörte nur ihnen, und sie waren fest entschlossen, ihn auch zu behalten.