»Herrgott, hast du ein Glück gehabt. Um jemanden k.o. zu schlagen, musst du sie praktisch umbringen.« Sie sah sich auf dem leeren Korridor vor dem Apartment um und schüttelte dann den Kopf, ehe sie die Tür schloss.
»Autsch«, wiederholte Cally kläglich und hielt sich die Hand an den Kopf, als sie von der jetzt bewusstlosen Uniformierten herunterstieg und unsicher zum Bett taumelte.
»Was zum Teufel war da los?«, wollte Janet wissen und sah zuerst Reefer, dann Cally und schließlich die beiden bewusstlosen Frauen auf dem Boden an.
»Äh … ich habe ein Geräusch gehört, und das hat mich erschreckt, und ich habe versucht aufzustehen, aber, na ja, dann bin ich gestürzt. Autsch.«
»Gestürzt?«, wiederholte Janet wie ein Echo.
»Ja, Mann. Das war total verrückt.« Reefer rieb sich das Kinn. »Yeah, Janny, ich schwör’s dir, sie ist gestürzt. Es war, als wollte sie ihr Gleichgewicht halten, und schließlich ist da kein Platz, wo doch der Futon aufgeklappt ist und alles das, und die sind einfach zu Boden gegangen. Mann … ich kann bloß sagen, wow!«
»Hast du ein Tylenol? Ich denke, ich habe mir auch den Knöchel verstaucht.«
»Moment mal, lass mich deine Augen sehen.« Sie hielt mit einer Hand Callys Kinn und schob ihr den Kopf hoch ins Licht, sah ihr in beide Augen. »Also, nach einer Gehirnerschütterung sieht mir das nicht aus, schätze ich. Teufel noch mal, deine Augen sehen besser aus als meine, und das nach all dem Shit. Ich denke, ich werde gleich eifersüchtig.«
»Äh … was ist mit denen?« Reefer war aufgestanden, hatte sich seine Boxershorts ein Stück hochgezogen und wusste offenbar nicht, ob er die zwei Uniformierten anstarren oder seine Jeans suchen sollte.
»Äh … Tylenol ist im Medizinschränkchen im Bad, geh nur.« Janet winkte Cally hinaus, ehe sie wieder die beiden Bewusstlosen anstarrte. »Also, die waren offensichtlich allein, sonst wären wir jetzt alle bewusstlos und würden gleich eingeschlossen. Das sind Greer und Walton. Die sind echt gierig. Ich denke, die wollten uns entweder durchsuchen oder das Zeug einfach klauen. Äh … lass mich mal nachdenken.«
Als Cally ins Bad ging, sah sie aus dem Augenwinkel, wie die andere Frau zu dem Küchen-/Schreibtisch ging, sich etwas in den Mund schob und dann ein Glas Wasser einfüllte, um es runterzuspülen. Sie schloss die Tür, spülte zwei Tylenol die Toilette hinunter, zerzauste sich das Haar ein wenig, damit es so aussah, als hätte sie geschlafen, und ging ins Wohnzimmer zurück, wo Thad und Janet jetzt hellwach waren, wenn auch nicht mehr ganz so nüchtern wie vorher. Reefer half Thad dabei, den beiden Frauen die Uniformen auszuziehen, während Janet ein paar Decken auf dem Boden ausbreitete.
»Und du bist auch sicher, dass das klappen wird, Janny?«, jammerte er und zog einer der Frauen ein T-Shirt zuerst vom einen und dann vom anderen Arm.
»Was Besseres fällt mir nicht ein. Diese Schlampen werden sich an nichts mehr erinnern. Kipp sie in einen Korridor, schüft ihnen Bier drüber, werf ihre Kleider in die Verbrennungsanlage, dann, darauf wette ich, sind die von der Schmiere viel zu beschäftigt damit, alles zu vertuschen, um zu viele Fragen zu stellen. Wenn die genügend Hirn gehabt hätten, jemandem zu sagen, wo sie hingehen, hätten wir jetzt dieses Gespräch nicht.« Sie zuckte hilflos die Achseln und stellte zwei Dosen Bier neben die Decken auf den Boden. »Aber schüttet sie erst voll Bier, wenn sie dort sind, okay, Reef? Ich will nicht, dass meine Wohnung die ganze nächste Woche nach Alk stinkt.«
Cally lehnte sich benommen gegen den Futon, stieß sich dabei die Knie an und ließ sich schließlich, immer noch mit beiden Händen ihren Kopf haltend, herunter.
»Äh, kann ich jetzt wieder schlafen?«, murmelte sie.
»Äh … klar.« Janet musterte sie scharf, schien sie aber dann nicht mehr zu beachten, als Cally sich zusammenrollte und sich das zweite Kissen über die Augen zog.
Nevis and St. Kitts
Donnerstag, 16. Mai
Mit dem Ausbleiben der Touristen und des Geldes, das diese ins Land brachten, war es auf vielen Karibikinseln während und nach dem Posleen-Krieg zu einem erheblichen Bevölkerungsrückgang und demzufolge gelinde gesagt erheblichen Umweltschäden gekommen. Nevis and St. Kitts hatten Glück gehabt. Je nachdem wie man das sah, konnte man natürlich auch sagen, dass sie klug gewesen waren. Eine strikte Einwanderungspolitik, die vor und während des Krieges nur Einwanderer zugelassen hatte, die FedCreds oder erhebliche Dollarbeträge mitbrachten, hatte es der Regierung ermöglicht, genügend Hiberzine und Lebensmittel vom Festland einzulagern, um sowohl die ursprünglichen Bürger wie auch die auserwählten wenigen Neuen damit zu versorgen.
Unglücklicherweise hatte ein Hurrikan, der die Insel erfasst hatte, eine der Anlagen mit Patienten unter Hiberzine getroffen. Man ging davon aus, dass einen, der aufs Meer hinausgespült worden war, nicht einmal Hiberzine retten konnte — jedenfalls dann nicht, wenn die Haie sich einmal mit ihm befasst hatten. Auf diese Weise hatten die Behörden plötzlich über große Beträge in harter Währung auf örtlichen Banken verfügt, auf die keine Angehörigen Anspruch erhoben. So wie die Dinge lagen, hatten weder die Ortsansässigen noch die wiederbelebten Patienten der beiden anderen Hiberzine-Anlagen nachhaltige Einwände erhoben, als die Regierung dieses Kapital für Investitionen zur Wiederbelebung der touristischen Attraktionen der Inseln benutzt hatte. Zugegebenermaßen gab es in der Nachkriegswelt nicht viel Tourismus, aber um den wenigen, den es gab, bemühte Nevis and St. Kitts sich und bekam ihn auch.
Nicht dass der schlanke, jung aussehende Mann mit schütterem Haar, der jetzt unter einem Sonnenschirm lag und die Salzluft und einen Mai-Tai mit einem winzigen Papierschirm genoss, sich mit derartigen Gedanken beschäftigt hätte. Stattdessen galt sein Denken, wie es ja häufig und bei vielen Menschen der Fall war, dem Thema Geld. Genauer gesagt der Herausforderung, mehr davon an sich zu bringen und dabei seinen Arbeitgeber im Unklaren über die Herkunft der Gelder und die bloße Existenz seiner zusätzlichen Mittel zu lassen.
Der Ort, an dem er sich augenblicklich befand, hatte mit dieser Herausforderung viel zu tun. Er hatte eine Vorliebe für schnelle Autos, große Häuser sowie Designerkleidung und unterschied sich darin nicht von vielen seiner Zeitgenossen, aber in seinem Alltagsleben hätte er sich damit verraten. Stattdessen hatte er einen Kompromiss gefunden, der es ihm erlaubte, einen Teil seines nicht ganz legalen Einkommens zu nutzen, ohne dass seine Freude an anderen kleinen Luxusgütern getrübt wurde. Der Atmung, beispielsweise. Und so lebte er im Alltagsleben von seinem seiner Ansicht nach völlig unzureichenden Gehalt. Und ein- oder zweimal im Jahr, wenn er Urlaub hatte, verschwand er von der Bildfläche. Aus der Sicht seiner Arbeitskollegen war er ein Naturfreund, der seine Urlaube auf anstrengenden Wanderpfaden in der Natur verbrachte. In Wirklichkeit freilich hielt er sich dann an Orten wie diesem auf, wo er teure Kleidung tragen, in teuren Lokalen essen, in teuren Hotels absteigen, sich mit teuren Frauen vergnügen und, ganz allgemein gesprochen, in dem Stil leben konnte, den er vorzog. Am Ende seines Urlaubs wanderte seine Kleidung in irgendeine wohltätige Sammelstelle, was ihn zwar ziemlich ärgerte, was er aber als eines der kleinen Opfer so lange hinzunehmen bereit war, bis er es sich leisten konnte, in den Ruhestand zu treten. Sehr anonym, natürlich.
Plötzlich versperrten zwei eindeutig männliche Beine seinen bis zu diesem Zeitpunkt äußerst befriedigenden Ausblick auf eine schlanke Brünette in einem Monokini. Sie verfügte nicht über sehr reichliche weibliche Attribute, aber was sie hatte, war auf attraktive Weise verteilt. Er blickte leicht verstimmt aus zusammengekniffenen Augen zu seinem unwillkommenen Besucher auf.