Das elektronische Schloss an der hinteren Tür zu knacken, kostete sie unter Einsatz eines hochgradig illegalen Zusatzgerätes ihres PDA nur wenige Sekunden. Normalerweise registrierte es das Schloss, wenn die Passepartout-Schaltung eines Schlüsseldienstes benutzt wurde, vergewisserte sich, dass dessen Einheit bei den städtischen Behörden registriert war, und zeichnete zusätzlich die Seriennummer der Einheut auf. Ihr Gerät fing dieses Signal nicht nur auf, sondern hackte sich auch in die Einstellung des Schlosses, versicherte ihm glaubwürdig, dass es ausgebaut und zur Reparatur in die Fabrik geschickt worden war, öffnete das Schloss, lud dann die Einstellungen neu und vermittelte ihm zu guter Letzt bezüglich des ganzen Vorfalls eine gründliche Amnesie.
Sobald sie sich im Inneren der Wohnung befand, würde sie die Sperrknöpfe für weitere Manipulationen an der Tür verwenden können, die ja schließlich gemäß ihrer Programmierung dafür sorgen sollten, dass unbefugte Leute draußen blieben, nicht etwa drinnen. Sie streifte sich Gummihandschuhe über, sperrte die Tür hinter sich ab und ging die Treppe suchen.
Das Haus war makellos gepflegt und roch nach Möbelpolitur und Ölseife. Jemand, vermutlich Mrs. Petane, schätzte offenbar Orientteppiche und Möbelreproduktionen im Queen-Anne-Stil. Das Mobiliar war gut, aber spärlich; wer auch immer die Wohnung eingerichtet hatte, hatte darauf geachtet, dass jedes einzelne Stück gut zur Geltung kam und die Räume nicht überladen wirkten. Das verlegte Parkett freilich veranlasste sie dazu, leicht die Nase zu rümpfen. Eigentlich eine sehr gute Wahl, aber einfach zu gepflegt. Da war kein Laut zu hören. Was sollte das?
Im Obergeschoss gab es ein kleines Arbeitszimmer mit Schreibtisch, Sessel, Couch sowie einem Bildschirm mit Würfelständer und darunter ein Sammelsurium von Musik- und Videowürfeln. Eine Hand voll Memorywürfel und ein paar Aktendeckel, aus denen Prospekte von Immobilienmaklern ragten, waren über den Schreibtisch verteilt.
Es gab auch zwei Gästeschlafzimmer, eines davon für ein Kind eingerichtet und beide von einer dicken Staubschicht bedeckt, so als ob sie schon lange Zeit nicht mehr benutzt worden wären. Im hinteren Bereich des Hauses fand sie das Schlafzimmer des Ehepaars und das dazugehörige Bad. Sie würde ihr kleines Geschenk im Bad unterbringen. Der Trick bestand darin, es so zu platzieren, dass die Frau der Zielperson es mit Sicherheit nicht finden würde, und zugleich sicherzustellen, dass die Ermittler darauf stoßen würden.
Sie hob ihr T-Shirt an und zog das flache, mit Isolierband verklebte Päckchen heraus. Für eine Immobilienmaklerin würde der kleine Handspiegel harmlos und normal wirken. Sie schob ihn in eine Schublade unter ein paar Flaschen Enthaarungscreme und Männerkölnisch. Okay, wo ist die beste Stelle für das Zeug? Unter dem Waschbecken?
Cally zuckte zusammen, als sie in der Einfahrt ein Motorengeräusch hörte. »Scheiße!«
Hastig schlug sie die Tür des Wandschränkchens zu und drückte das Päckchen an sich. Das Büro kam nicht infrage. Keine Ahnung, wo die zuerst nachsehen würden. Sie biss sich auf die Lippen, als sie zur Tür des ersten Gästezimmers rannte und wäre fast hineingehuscht, blieb aber dann wie angewurzelt auf der Schwelle stehen und starrte entsetzt auf den Staub, der das Parkett bedeckte und der jeden ihrer Schritte verraten würde. Sie konnte das schwache Piepsen des Schlosses an der Hintertür im Erdgeschoss hören und eilte ins Schlafzimmer zurück. Nicht den begehbaren Kleiderschrank — das war eine tödliche Falle. Und niemals ein Badezimmer. Schritte auf der Treppe. Sie verwünschte den elitären Geschmack der Frau, der dazu geführt hatte, dass es keine Möbel gab, hinter denen man sich verstecken konnte, und zwängte sich unter das Bett, griff unter ihr Hemd und presste sich das Päckchen mit dem Isolierband wieder an den Bauch.
Großartig gemacht, Cally. Wirklich zum Kotzen. »Spezialistin für Auftragsmord unter dem Bett der Zielperson gefunden!« Schwester Thomasina würde Schreikrämpfe kriegen. Nein, an die Decke würde sie gehen. Sie sah die Staubflusen an, die dicht vor ihrem Gesicht auf dem Boden lagen, und hielt sich ganz still, als das Klacken hoher Absätze und halblaute Verwünschungen einer Frauenstimme die Treppe herauf und ins Zimmer kamen. Na schön, sie ist nicht gerade die perfekte Hausfrau, oder? Idiot. Ich hätte auf der Straße auf beiden Seiten Kameras auf das Haus richten müssen, Buckley auf die Fahrzeuge der Familie aufpassen lassen und im Voraus ein Versteck aussuchen sollen. Schlampige Arbeit. Dabei bin ich nie schlampig. Wo zum Teufel kommt das heute her? Und jetzt liege ich unter dem verdammten Bett. Gott sei Dank mache ich das heute solo, denn sonst würde ich das einfach nicht überleben. Wenn ich es schaffe, hier heil rauszukommen, werde ich das vor keinem zugeben.
Sie fuhr fort, sich lautlos zu verwünschen, und gab sich dabei alle Mühe, nicht niesen zu müssen. Unglücklicherweise musste die Frau der Zielperson im Wagen etwas Parfüm aufgelegt haben. Eine Wolke von dem Zeug schwebte mit ihr ins Zimmer, und Cally spürte, wie ihre Augen zu tränen begannen. Jetzt bewegten sich die hohen Absätze zu dem begehbaren Schrank. Die Türen wurden geöffnet. Ein Kleiderbügel klapperte, dann fiel etwas Weiches auf das Bett. Die Frau klick-klackte ins Bad, dann wurde Wasser eingelassen. Anscheinend füllte sie das Waschbecken. Cally riskierte es, sich ganz leise zu räuspern. Das Wassergeräusch verstummte. Jetzt wieder die klickenden Absätze, bis sie neben dem Bett stehen blieben. Cally konzentrierte sich darauf, ganz langsam und gleichmäßig und möglichst lautlos zu atmen. Die Versuchung, in solchen Fällen den Atem anzuhalten, war immer groß, aber das war keine gute Idee. Am Ende musste man dann doch Luft holen, und das war dann lauter als gleichmäßig langsamer Atem.
Gerade setzte die Frau sich wieder in Bewegung; und Cally lauschte, wie die Schlafzimmertür geschlossen wurde, und unterdrückte ein erleichtertes Aufseufzen, als das Absatzklappern sich über den Flur entfernte, leiser wurde und schließlich die Treppe hinunter verklang. Jetzt atmete sie ein wenig leichter, als die hintere Tür sich schloss, bewegte sich aber erst wieder, als sie hörte, wie der Wagen draußen auf der Einfahrt anfuhr. Sie rutschte unter dem Bett heraus, aber noch ehe sie sich aufrichtete, zog sie ihren PDA aus der Tasche und drückte die Knöpfe, um den KI-Simulator und den Stimmzugang zu aktivieren.
»Alles im Eimer, oder?«, fragte der Buckley mürrisch.
»Buckley, beobachte die Kameras auf den Straßen der Umgebung nach den beiden Autos, die zu diesem Haus gehören.« Jetzt richtete sie sich auf und ging zur Tür, um ein richtiges Versteck zu finden für den unwahrscheinlichen Fall, dass dieses Miststück noch einmal zurückkam, ehe sie fertig war.
»Ich sehe eines.«
Sie knallte die Tür zu und war halb unter dem Bett, ehe sie sich ganz beruhigt hatte. »Buckley, kam es auf uns zu oder hat es sich von uns entfernt?«
»Hat wer was?«
»Das Auto, das du gerade gesehen hast.«
»Welches Auto?«
Die Knöchel der Hand, die den PDA hielten, wurden weiß. »Das Auto, das zu diesem Haus gehört, von dem du gesagt hast, dass du es gesehen hast.«
»Oh, das. Das ist jetzt weg.« Die Stimme klang fast vergnügt.
Sie richtete sich langsam und bedächtig auf, so als fürchte sie sich davor, was sie tun könnte, falls sie auch nur einen Augenblick lang die Kontrolle über sich verlor, und ging zur Tür, über den Flur die Treppe hinunter; unten sah sie ins Esszimmer. Da. Der Sessel mit der hohen Lehne am Piano würde ihr Deckung bieten. Wahrscheinlich staubig, aber wenn sie ihn benutzen musste, konnte sie die ganze Fläche hinter dem Sessel sauber wischen, dann würde niemand etwas bemerken. Ausgezeichnet. Sie überlegte gründlich, ehe sie redete.