Das Warten kam ihr länger vor, als es wirklich dauerte. Das Adrenalin in ihrem Kreislauf wirkte bereits und dehnte die Zeit. Sie konnte ihr Herz in der Brust schlagen spüren und verspürte bereits jenes ganz spezielle Einsatzgefühl, bei dem sie sich eine Extraportion lebendiger fühlte. Die Farben im Raum waren voller und intensiver als noch vor ein paar Minuten. In die Katzen- und Luftauffrischergerüche des Apartments mischte sich jetzt der Geruch des Tees, den die Freundin in der Küche getrunken hatte. Sie konnte den leicht hohlen Klang ihres eigenen Atems hören, während der Schalldämpfer versuchte, den Lärm zu kompensieren.
Es dauerte gar nicht lange, bis sie den Schlüssel in dem altmodischen Schloss hörte. Sie zwang sich, gelockert und völlig ruhig zu bleiben, als der Türknauf sich drehte und die Tür nach innen schwang.
Er betrat den Raum mit noch weniger Bewusstsein der Lage als ein Zweijähriger, der sich wenigstens für seine Umgebung interessiert hätte. Als er die Tür mit einer Hand hinter sich schloss, drehte er sich erwartungsvoll in Richtung Küche herum. Cally bezweifelte, dass er sie auch nur aus dem Augenwinkel sah, als sie hinter ihn trat, ihn bei den Haaren packte, ihm den Kopf nach hinten zog und ihm in die Kniekehle trat.
Als ihm die Knie einknickten und so sein Kopf tiefer war als der ihre, schlang sich ihr anderer Arm um seine Kehle und drückte gegen seine Luftröhre, während die Hand in seinem Haar nach hinten glitt und seinen Hinterkopf festhielt, sodass er keine Chance hatte, nach Luft zu schnappen.
Unglücklicherweise setzte in diesem Augenblick sein Überlebenstrieb ein, und er begann wild um sich zu schlagen und versuchte, ihren Griff zu brechen.
Die einfachste Reaktion darauf wäre gewesen, sich fallen zu lassen und ihm das Genick zu brechen. Eine zum Kampf fähige Person, und als solche war Petane marginal anzusehen, lebend zu nehmen, war immer schwieriger als eine schlichte Tötung.
Schwer zu sagen, ob er absichtlich oder instinktiv versuchte, gegen einen Beistelltisch voll zerbrechlich wirkenden Nippesgegenständen zu treten, aber es wäre definitiv schlecht, in dem Apartment Spuren eines Handgemenges zu hinterlassen. Genauso schlecht wäre es, den Kerl versehentlich zu erwürgen. Und verdammt noch mal, ich habe keine Ahnung mehr, wie viele es inzwischen sind!
Sie trat einen Schritt zurück und zerrte ihn mitten ins Zimmer, wo er beim Umsichschlagen nichts erreichen konnte; dann beobachteten sie den Sekundenzeiger der Wanduhr, um den richtigen Zeitpunkt zu erwischen, und ließ ihn ein paar Sekunden, nachdem er aufgehört hatte, um sich zu schlagen, zu Boden sinken.
Lausige Instinkte — er hat an der Schwelle nicht einmal gezögert. Sie seufzte erleichtert auf, als sie seinen Puls fand. Den Mistkerl mit Herzmassage wiederzubeleben wäre lästig gewesen.
Beeilung war angesagt, seine Hände und Füße mit den Plastikbändern zu sichern, ehe sie sich den Stuhl und die Strumpfhosen holte. Das Risiko, dass er zu sich kam, ehe sie ihn an den Stuhl gefesselt hatte, war recht groß, und so musste es natürlich auch heute kommen. Gerade hatte sie seine Handgelenke gesichert und die Plastikbänder abgenommen — die Wahrscheinlichkeit, dass sie Spuren hinterließen, war zu groß -, als er zu sich kam und wieder anfing zu brüllen und um sich zu schlagen. Dabei kippte er mit dem Stuhl um. Sie achtete nicht darauf und fesselte seine beiden Beine an das jeweilige Stuhlbein, ehe sie den Stuhl wieder aufstellte. Er brüllte immer noch. Was für ein Schwachkopf. »Jetzt hören Sie mal her, Sie Idiot«, erklärte sie. »Hören Sie dieses hohle Geräusch? Das ist ein Dämpfer. Niemand kann Sie außerhalb des Zimmers hören, Sie brüllen sich bloß heiser.«
Sie hätte sich gerne eine Zigarette angezündet und sie geraucht, während er sich allmählich beruhigte, aber es ging natürlich nicht an, abgestandenen Rauch zu hinterlassen. Also legte sie bloß den Kopf etwas zur Seite und beobachtete ihn, wartete. Gott sei Dank dauerte es nicht sehr lange, bis ihm der Dampf ausging.
»Wahrscheinlich haben Sie sich gefragt, weshalb ich diese Besprechung einberufen habe.« Sie grinste schief und seufzte dann. »Schauen Sie, Petane, wir führen eine umfassende Überprüfung der von Ihnen gelieferten Informationen durch, gehen sie Punkt für Punkt durch, inklusive dem, was Sie jetzt sagen, und vergleichen es mit Ihren Berichten in der Vergangenheit. Je früher Sie es ausspucken, desto früher können Sie dorthin zurückkehren und Ihrer Freundin ein paar Aufputschmittel geben, um sie zu wecken und dann Ihren Abend fortzusetzen.« Sie zuckte die Achseln. »Schauen Sie, mir ist das alles ziemlich egal, ich muss bloß dieses dämliche Verhör hinter mich bringen, damit ich mich wieder meiner echten Arbeit widmen kann.«
»Himmel nochmal, Ihr Typen habt mich jetzt total verbrannt, ist Ihnen das klar? Zumindest so gut wie. Warum in drei Teufels Namen sind Sie das Risiko eingegangen, sich hier mit mir zu treffen? Warum haben Sie nicht einfach über den Briefkasten ein Treffen verlangt und mir Zeit gelassen, das ordentlich vorzubereiten … oh. Spionageabwehr.« Seine Schultern sackten nach vorne. »Sind Sie Fleet Strike oder Army?« Seine Stimme hatte den hohlen, hoffnungslosen Klang eines Mannes, der nicht damit rechnete, den morgigen Tag zu erleben.
»Sehr scharfsinnig überlegt.« Sie grinste ein Raubtiergrinsen. »Aber Sie können immer noch nützlich sein, Colonel. Wir brauchen bloß einen Katalog, wie viel Schaden Sie angerichtet haben, und dann sagen wir Ihnen, was Sie denen sagen sollen. Sie können sich glücklich preisen, Mann. Wenn wir Sie genügend nützlich machen können, überleben Sie möglicherweise sogar.«
»Augenblick mal … ich … ich möchte Ihren Ausweis sehen«, sagte er.
»Oh, einen Ausweis wollen Sie. Dann haben Sie also gewusst, mit wem Sie es zu tun hatten, als Sie sich dazu entschlossen haben, ein beschissener Verräter zu werden.« Das spie sie ihm förmlich ins Gesicht.
Er wurde bleich.
»Also, Colonel, warum sind Sie zur anderen Seite übergegangen?« Das war keine Frage, sondern eine Forderung. »Ich will es aus Ihrem Mund hören, Sie minderwertiger Hurensohn.«
»Ich hatte doch keine Wahl! Die hätten mich sonst umgebracht!« Jede Spur von Gelassenheit war von dem Mann abgefallen. »Ich bin doch in diesen Schlamassel hineingeraten, indem ich euch Typen geschützt habe! Ihr habt gesagt, ihr würdet für mich sorgen, und als die dann bei mir auftauchten, wart ihr nirgends zu sehen. Was zum Teufel hätte ich denn tun sollen?«
»Ich vermute, es ist Ihnen nie in den Sinn gekommen, dass man auch wie ein Soldat einfach sterben kann«, sagte sie kalt.
»Yeah, das dürfen Sie meinetwegen mal versuchen.« Seine Stimme klang bitter und rau.
»Also, fangen wir ganz am Anfang an.« Sie setzte sich auf die Couch und machte eine beiläufige Handbewegung. »Fangen wir einfach da an, als Sie ›in diesen Schlamassel‹ geraten sind, wie Sie es formuliert haben. Fangen Sie dort an. Lassen Sie nichts weg. Das meiste wissen wir. Also brauche ich wohl kaum zu sagen, dass Sie wirklich, ganz wirklich nichts weglassen sollten. Wenn ich sauer bin, bin ich nämlich nicht besonders nett.« Sie klappte den PDA auf und tippte den Knopf, unter dem Record stand. Der Abstand zu ihm stimmte ziemlich genau.
»Okay, der Anfang also. Ich war Major, als man mich bei Kriegsbeginn aus der Reserve einberufen hat. Ich hatte ein paar Jobs bei … na ja, Chefs, die meine Leistung nicht zu würdigen wussten. Vor dem Krieg war ich bei Beförderungen übergangen worden und deshalb in den Ruhestand getreten. Aber für eine Kommandostelle stand ich auf der Verjüngungsliste nicht weit genug oben, und die Präparate dafür fingen auch an, knapp zu werden, ehe sie zu mir kamen. Aber ich stand auf der Liste, verdammt.« Er rieb sein Kinn am Hemd, weil es ihn offenbar juckte.