»Was, einfach so?« Sie musterte ihn ungläubig.
»Oh, es wird natürlich irgendeine formale Entscheidung oder einen Abschluss oder so etwas geben, wenn wir zurückkommen, aber für den Augenblick haben die entschieden, dass dieser Einsatz viel zu kritisch ist, um ihn abzubrechen, und es ist auch viel zu spät, ihn jemand anderem zuzuteilen.«
»Okay«, nickte sie.
»Okay? Hattest du vor, dich auf die Ersatzbank setzen zu lassen, oder was sollte das?« Er wirkte wütend.
»Du weißt doch, was das sollte, verdammt! Komm mir jetzt nicht mit Psychogebrabbel, Grandpa.« Sie nahm einen Schluck von ihrem Kaffee.
»Ich spreche nicht davon, dass du Petane getötet hast. Ich spreche davon, wie du das getan hast — ohne eine Überprüfung anzufordern. Wolltest du denn auf die Ersatzbank?«, fragte er erneut.
»Oh, selbstverständlich nicht.« Sie fuhr sich mit den Fingern durch die braunen Locken und verzog das Gesicht. »Schau mal, der letzte Einsatz war ziemlich stressig, und vielleicht hast du ja mit dem Recht, was du da von wegen eigenes Leben redest. Ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen, okay? Und sobald wir zurück sind, ich meine, wenn die Bosse mich dann nicht erschießen oder so, werde ich richtigen Urlaub nehmen. Einen echten, meine ich, einen, in dem ich keinen töte, okay?«
»Und dich nicht gerade in einer Bar nach einem Mann umsehen?«, fragte er.
»Hey, ich habe versprochen, Urlaub zu nehmen, aber nicht, dass ich mit der großen Liebe meines Lebens sesshaft werden und sechs Kinder auf die Welt bringen will, klar?« Sie sah erneut auf die Flasche mit dem Sirup, schüttelte dann aber den Kopf und aß ihre Pfannkuchen, ohne Sirup darüber zu schütten. Der Geschmack von Ahornsirup ging ihr im Augenblick auf die Nerven.
Vitapetroni trug sein Tablett mit dem Mittagessen in das kleine Nebenzimmer und schloss die Tür. Die Wände waren mit Werbeplakaten für berühmte Städte geschmückt, Plakaten aus der Vorkriegszeit. Er setzte sich so hin, dass er Paris den Rücken zukehrte, und ließ seine Augen über das Panorama von Venedig wandern, ehe er den jungen alten Mann auf der anderen Seite des Tisches ansah.
»Lisel, Wanzensuche, bitte.«
»Sehr gerne.« Die rauchige Stimme aus dem PDA des Doktors entsprach nicht gerade den Vorstellungen, die man von einem würdevollen Psychiater hatte.
»Die einzigen Wanzen hier sind ich und Mister O’Neals AID, und Susan würde uns sicherlich nicht belauschen«, meldete der PDA dann.
»Susan, hör nicht zu, bis ich wieder deinen Namen nenne«, befahl Papa O’Neal.
»Geht klar, Mike, wie wär’s, wenn wir beide uns auf die Bahamas verdrücken und du dort eine ehrliche Frau aus mir machen würdest? Schalte ab.« Dann herrschte Stille.
»Lisel, bitte abschalten.« Vitapetroni setzte sich.
»Aber sicher, Doktor«, schnurrte sie. »Wiedersehen.«
»Sie haben eine Lisel auf Ihren Buckley geladen? Führt das nicht häufig zu Abstürzen?«, fragte Papa O’Neal.
»Ich hab die Emulation ganz runtergeschaltet. Hab einfach kein Vertrauen zu künstlicher Intelligenz. Ich weiß, dass unsere AIDs und Buckleys sauber sind, es ist nur … wissen Sie, Xeno-Geschichte ist eines meiner Hobbys, und ich habe für die Betrachtungsweise der Indowy durchaus Verständnis.« Er aß ein Stück seines Taco und schien sogar Geschmack daran zu finden.
»Aber auf Papier sind Sie nicht zurückgegangen?«, witzelte O’Neal.
»Ich habe gesagt, dass ich misstrauisch bin, nicht etwa Luddit.« Der Doktor holte ein kleines Fläschchen mit scharfer Soße aus einer Tasche und träufelte etwas davon auf sein Essen.
»Wissen Sie, Habanera Soße ist eigentlich Schwindel. Okay, Doc, es ist Ihr Groschen«, sagte er.
»Groschen? Jetzt weiß ich also endlich, wie alt Sie sind, Sie alter Knackerkollege.« Er kniff sich in den Nasenrücken. »Was Cally betrifft … und zuallererst möchte ich klarstellen, dass ich mit Ihnen als Callys Teamleiter spreche, nicht etwa ihrem Großvater. Die Vertraulichkeitsregeln lassen das eine zu, aber nicht das andere.«
»Ja, ich weiß Bescheid. Nur zu, sagen Sie, was Sie sagen müssen.« Er griff nach dem Fläschchen und goss ein wenig in seine Chili-Schale.
»Es gibt da schon einiges, was ich nicht weitergegeben habe. Sie ließ nach dieser Tötung physische Anzeichen von Schuldgefühl erkennen.« Er schluckte und warf einen schnellen Blick auf die Tür. »Das könnte gut sein oder schlecht, je nachdem wie sie damit umgeht. Für den Einsatz ist sie wahrscheinlich okay, sonst hätte ich es erwähnt, aber … ich möchte, dass Sie ein Auge auf sie haben.«
»Ist das alles?« Er strich sich Butter auf einen Mais-Muffin, führte ihn halb zum Mund und blickte auf, wartete.
»Yeah, das ist es. Es hat wahrscheinlich nicht viel zu sagen, aber falls Sie vor Ort eingreifen müssen, psychologisch meine ich, sollten Sie das wissen.« Der Doktor gab etwas Pfeffer auf sein Maispüree.
»Und für welches Team sind Sie? Ich mag Charleston.« Papa O’Neal nahm einen Löffel Chili, überlegte einen Augenblick und goss dann noch mehr Soße drauf.
»Das ist reiner Lokalpatriotismus. Ich sage, Indianapolis wird die fertig machen.«
»Soll das ein Witz sein? Die Braves haben seit dem Krieg erst ein einziges Mal den Wimpel nach Hause getragen. Selbst meine arthritische Großmutter könnte die schlagen.« Er grinste.
Mittwochnachmittag, 22. Mai
Als Tommy Sunday in seiner Geburtsstadt Fredericksburg herangewachsen war, hatte er gerne Tacos gegessen. Dann kamen die Posleen, Fredericksburg ging unter, und Tommy wurde einer der Zehntausend und trat anschließend in die Gepanzerten Kampfanzüge ein — auch als GKA bekannt. Als Verpflegung hatte den Zehntausend gedient, was sie sich eben hatten beschaffen können, wobei die Auswahl vorzugsweise nach dem Nährwert und erst in zweiter Linie nach dem Geschmack erfolgt war. Später, bei den GKA, waren die Anzugrationen ordentlich gewesen, aber an Tacos kamen sie nicht heran.
Bevor er und Wendy »starben«, hatten sie es geschafft, einen beachtlichen Anteil ihrer FedCreds zu verstecken und später auf diskreten Konten zu investieren. Damit waren echte Tacos und eine ganze Menge anderer Dinge erschwinglich geworden, obwohl die Bane Sidhe nicht gerade großzügige Gehälter zahlte.
Er versuchte den Anflug von Enttäuschung zu verbergen, als er auf seinen Teller blickte. Das hier entsprach nicht ganz seiner Vorstellung von echten Tacos. Die Maistortilla war echt, ebenso auch die Bohnen, der Käse und das Gemüse. Aber Tofu mit der Struktur und dem Geschmack von Rindfleisch ließ einiges zu wünschen übrig. Unglücklicherweise war die Alternative Hühnchen, und nach Tommys fachmännischer Ansicht waren Hühnchen-Tacos noch schlimmer als Tofu-Tacos. Und seine Fleischration aß er dann lieber als gebratenes Hühnchen, statt es gehackt in seinem Taco zu sich zu nehmen und sich dann über den unvermeidlichen Tofu zu ärgern. Aber er hatte begriffen: Dass er und Wendy sich einiges leisten konnten, lag an den nach allgemeinen Maßstäben exorbitanten Gehältern, die die GKA im Posleen-Krieg bezahlt hatten und die seine Frau klug angelegt hatte. Dass sie außerdem beträchtliches Geschick im An- und Verkauf von Antiquitäten entwickelt hatte, tat dem nicht gerade einen Abbruch.
Nach der Posleen-Landung war in Fredericksburg das alte Hobby seiner damaligen Freundin, Recherchen in örtlicher Geschichte anzustellen … nicht mehr zu halten gewesen. Sie war in die Franklin-SubUrb umgezogen und hatte dort erfolglos versucht, in der Feuerwehr einen Beitrag zur Kriegsführung zu leisten. Dann war die SubUrb aufgefressen worden. Nachdem Wendy auch diesem Schicksal hatte entkommen können, war ihr Zutrauen zur Stabilität jeder beliebigen Stadt oder Ortschaft ernsthaft erschüttert gewesen. Als der Krieg dann zu Ende gegangen war und sie geheiratet hatten und sesshaft geworden waren, hatte sie ihr Interesse an der Geschichte auf Gegenstände konzentriert, die man leicht befördern konnte.