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Die Schlängelbewegungen des Drachen nahmen zu und drückten den Atem aus ihm heraus. Glitzernde schwarze Fänge machten sich über seine Organe her und verschlangen sein Herz. Sie gruben sich in seinen Körper und suchten seine Seele.

Ein starker Arm umschloß ihn und hielt ihn eng umschlungen. Eine Hand hob sich. Sie glänzte im silbernen Licht und formte kindliche Bilder in der Nacht, und eine Stimme flüsterte kaum hörbar: »Sieh mal, Raist, Häschen...«

Er lächelte, er war nicht mehr ängstlich. Caramon war da.

Der Schmerz ließ nach. Der Traum wurde zurückgetrieben. Von weit entfernt hörte er ein Jammern voll bitterer Enttäuschung und Wut. Es spielte keine Rolle. Nichts spielte jetzt noch eine Rolle. Er fühlte sich jetzt nur noch müde, so schrecklich müde...

Raistlin stützte seinen Kopf auf den Arm seines Bruders, schloß seine Augen und trieb in einen dunklen, traumlosen, nicht enden wollenden Schlaf.

11

Die Wassertropfen in der Wasseruhr tropften unablässig, unbarmherzig und hallten im stillen Laboratorium wider. Tanis, der mit schmerzenden Augen angestrengt in das Portal starrte, meinte, daß die Tropfen einer nach dem anderen auf seine angespannten Nerven fielen.

Er rieb seine Augen, wandte sich bitter schnaubend vom Portal ab und ging zum Fenster, um hinauszusehen. Er war erstaunt, als er erkannte, daß es erst früher Nachmittag war. Nach dem, was er inzwischen alles durchgemacht hatte, wäre er nicht überrascht gewesen, wenn der Frühling gekommen und gegangen wäre, der Sommer in voller Blüte gestanden und wieder gegangen wäre und wenn der Herbst gerade einsetzen würde.

Auch der dichte Rauch vor dem Fenster war verschwunden. Die Feuer waren am Erlöschen, nachdem sie alles verzehrt hatten, was zu verzehren war. Er sah in den Himmel hinauf. Sowohl die guten als auch die bösen Drachen waren aus dem Blickfeld verschwunden. Er horchte. Kein Laut kam aus der Stadt unter ihm. Ein Schleier aus Nebel und Sturm und Rauch hing hoch über ihr, und auch die Dunkelheit des Eichenwaldes von Shoikan lastete auf ihr.

Die Schlacht war vorüber. Wie betäubt erkannte er das plötzlich. Sie war beendet. Und wir haben gewonnen. Sieg. Hohler, erbärmlicher Sieg.

Und dann wurde sein Blick von einem leuchtendblauen Flattern angezogen. Er sah über die Stadt und stieß einen überraschten leisen Pfiff aus.

Die fliegende Zitadelle trieb plötzlich in Sicht. Sie ließ sich aus den Gewitterwolken fallen und schwankte nun fröhlich weiter. Irgendwo hatte sie ein leuchtendblaues Banner erworben, das im Wind flatterte. Tanis studierte sie gründlicher und glaubte nicht nur das Banner wiederzuerkennen, sondern auch das anmutige Minarett, an dem es vorbeigeflogen war und das nun wie betrunken auf einem Turm der Zitadelle thronte.

Da konnte sich auch der Halb-Elf ein Lächeln nicht verkneifen. Das Banner und das Minarett hatten einst zum Palast von Herrscher Amothud gehört.

Tanis lehnte sich gegen das Fenster und beobachtete weiter die Zitadelle, die einen bronzenen Drachen als Ehrenwache aufgenommen hatte. Er spürte, daß Düsternis, Trauer und Angst nachließen und sich sein Körper entspannte. Egal, was auf der Welt je passieren würde oder auch auf jenseitigen Ebenen, einiges – unter anderem Kender – würde sich niemals ändern.

Tanis sah das fliegende Schloß über die Bucht schwanken, war dann jedoch ziemlich verblüfft, als die Zitadelle sich plötzlich überschlug und verkehrt herum in der Luft hing.

»Was macht Tolpan denn jetzt?« murmelte er.

Und dann verstand er es. Die Zitadelle begann wie ein Salz-Streuer schnell auf und ab zu hüpfen. Schwarze Gestalten mit Lederflügeln taumelten aus Fenstern und Türen. Auf und ab, auf und ab schwankte die Zitadelle, und immer mehr schwarze Gestalten purzelten über Bord. Tanis grinste. Tolpan räumte mit den Wachen auf! Erst als keine weiteren Drakonier mehr zu sehen waren, richtete sich die Zitadelle wieder auf und setzte ihren Weg fort... Doch dann, als sie fröhlich weiter schlingerte mit ihrer blauen Flagge, die im Wind flatterte, tauchte sie in einem wilden, unglücklichen Sprung direkt in den Ozean!

Tanis hielt den Atem an, aber fast unmittelbar darauf erschien die Zitadelle wieder, sprang wie ein Delphin aus dem Wasser, um wieder in den Himmel zu schweben. Wasser strömte jetzt aus allen Öffnungen. Und dann verschwand die Zitadelle in den Gewitterwolken.

Kopfschüttelnd und lächelnd wandte sich Tanis ab und bemerkte, daß Dalamar auf das Portal zeigte. »Dort ist er. Caramon ist wieder auf seine Stellung zurückgekehrt.«

Schnell durchquerte der Halb-Elf das Zimmer und wartete wieder vor dem Portal.

Er konnte Caramon sehen, immer noch eine winzige Gestalt in einer glänzenden Rüstung. Dieses Mal jedoch trug er jemanden in seinen Armen.

»Raistlin?« fragte Tanis verwirrt.

»Crysania«, erwiderte Dalamar.

»Vielleicht lebt sie ja noch!«

»Es wäre besser für sie, wenn sie nicht mehr leben würde«, widersprach Dalamar kalt. Bitterkeit hatte seine Stimme und seinen Gesichtsäusdruck verhärtet. »Besser für uns alle! Jetzt muß Caramon eine schwere Entscheidung treffen.«

»Wie meinst du das?«

»Es wird ihm sicher einfallen, daß er sie retten könnte, wenn er sie durch das Portal zurückbringt. Und damit wären wir auf Gedeih und Verderb seinem Bruder oder der Königin oder beiden ausgeliefert.«

Tanis schwieg und beobachtete weiter. Caramon kam mit der weißgekleideten Frau in seinen Armen dem Portal immer näher und näher.

»Was weißt du über ihn?« fragte Dalamar abrupt. »Welche Entscheidung wird er treffen? Als ich ihn das letzte Mal sah, war er ein betrunkener Hanswurst, aber seine Erlebnisse scheinen ihn verändert zu haben.«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Tanis beunruhigt eher zu sich als zu Dalamar. »Der Caramon, den ich einst kannte, war nur eine halbe Person, die andere Hälfte gehörte seinem Bruder. Er ist jetzt anders. Er hat sich tatsächlich verändert.« Tanis kratzte sich am Bart und runzelte die Stirn. »Armer Mann. Ich weiß nicht...«

»Ah, anscheinend hat jemand eine Entscheidung für ihn gefällt«, sagte Dalamar. In seiner Stimme mischte sich Angst mit Erleichterung.

Als Tanis in das Portal schaute, sah er Raistlin. Er sah die letzte Begegnung zwischen den Zwillingsbrüdern.

Tanis sprach später nie mit irgend jemandem über diese Begegnung. Obgleich die Bilder, die er sah, und die Worte, die er hörte, unauslöschbar in sein Gedächtnis gebrannt waren, spürte er, daß er darüber nicht reden konnte. Ihnen eine Stimme zu verleihen hätte sie erniedrigt und ihnen ihr entsetzliches Grauen und ihre entsetzliche Schönheit weggenommen. Aber oft, wenn er niedergeschlagen oder unglücklich war, würde er sich an das letzte Geschenk einer Seele erinnern, die der Dunkelheit anheimgefallen war, und er würde seine Augen schließen und den Göttern für diesen Segen danken.

Caramon brachte Crysania durch das Portal. Tanis lief vor, um ihm zu helfen, und nahm Crysania in seine Arme. Verwundert starrte er auf den großen Mann mit dem magischen Stab, dessen Licht immer noch hell leuchtete.

»Bleib bei ihr, Tanis«, sagte Caramon, »ich muß das Portal schließen.«

»Beeil dich!« Tanis hörte, wie Dalamar heftig die Luft einzog. Er sah den Dunkelelfen entsetzt in das Portal starren. »Schließ es!« schrie er.

Tanis hielt Crysania in seinen Armen, sah auf sie herab und erkannte, daß sie im Sterben lag. Ihr Atem kam stockend. Ihre Haut war aschgrau und ihre Lippen blau. Aber er konnte nichts für sie tun, außer sie an einen sicheren Ort bringen.

Sicherheit! Er sah sich um, und sein Blick glitt zu der dunklen Ecke, wo eine andere sterbende Frau gelegen hatte. Sie war vom Portal am weitesten entfernt. Sie würde dort sicher sein – so sicher wie überall, vermutete er traurig. Er legte sie nieder und machte es ihr so bequem wie möglich. Dann kehrte er hastig zu der Öffnung in der Leere zurück.