»Woher wißt Ihr das?«
»Ich habe sie soeben im Grasgarten gehört. Nehmt Euch in acht! Er ist Euretwegen gekommen!«
Er hatte keine Zeit, ihr mehr zu sagen, denn jetzt kam auch Ermengarde, von Gillette und Margot begleitet, die von ihrer mächtigen Persönlichkeit fasziniert schien. Cathérine hatte die weiteren Erklärungen auf später vertagt. Josse übrigens war wieder wie ein echter Geist in den Schatten getaucht. Daran dachte sie bei dem frugalen Mahl aus Kichererbsen, Milch und Äpfeln, während ihr Blick von dem langen, ruhigen Gesicht van Eycks zu dem munteren, lebhaften Ermengardes schweifte. Diese war so fröhlich, wie sie seit vielen Tagen nicht gewesen war, und Cathérine sagte sich, daß Josse sehr wohl recht haben könnte: Sie hatte den Maler erwartet. Andererseits, welchen Zusammenhang konnte dieses Treffen mit ihr, Cathérine, haben? Sie war nicht die Frau, die eine so erregende Frage lange ohne Beantwortung ließ, und als nach beendeter Mahlzeit Ermengarde, sich reckend und fürchterlich gähnend, aufstand, beschloß sie, zum Angriff überzugehen. Schließlich war der Maler bis zum Beweis des Gegenteils ihr Freund. Es würde seine Sache sein, den Beweis zu liefern!
Als die dicke Gräfin sich anschickte, den Raum zu verlassen, und van Eyck einen Kerzenhalter ergriff, um sie zu begleiten, hielt Cathérine ihn zurück:
»Jan! Ich möchte Euch gern sprechen!«
»Hier?« fragte er, einen unruhigen Blick auf eine Gruppe von Bergbewohnern werfend, die, um eine Schüssel Kichererbsen auf dem Boden sitzend, gemächlich in einer Ecke des Saales aß.
»Warum nicht? Diese Leute kennen unsere Sprache nicht. Es sind Basken. Schaut Euch ihre wilden Augen und ihre dunklen Gesichter an. Sie schenken uns überhaupt keine Aufmerksamkeit. Und dann«, fügte sie mit leisem Lächeln hinzu, »was läßt Euch glauben, daß die zwischen uns getauschten Worte von der Art sind, die den erstbesten interessieren könnten?«
»Ein Gesandter mißtraut immer … das ist sein Beruf!« erwiderte van Eyck mit einem Lächeln, das dem Catherines seltsam verwandt war. »Aber Ihr habt recht, wir können sprechen. Worüber?«
Cathérine antwortete nicht sofort. Sie ging langsam zu dem roh gebauten Kamin, in dem das Feuer allmählich herunterbrannte, stützte den Arm auf den Sims und legte ihre Stirn darauf. So ließ sie einen Augenblick die ganze Wärme durch alle Glieder ihres Körpers dringen. Sie liebte das Feuer wegen der merkwürdigen Zweiheit, die es in sich barg und die es je nach Umständen zum besten Freund oder zum schlimmsten Feind des Menschen machen konnte. Das Feuer, das erstarrtes Fleisch wiedererwärmte, das Brot bäckt und den Weg in der dunkelsten Nacht erhellt, das Feuer, das zerstört und verwüstet, das foltert und ausrottet! … Als Cathérine spürte, daß sie würde kämpfen müssen, war sie froh, das Feuer neben sich zu haben.
Van Eyck respektierte ihr Schweigen. Sein Künstlerauge war im übrigen von der schmalen Silhouette gefangen, die sich vom rötlichglühenden Hintergrund abhob. Der Fall der Robe paßte sich den Kurven ihres Körpers mit anatomischer Genauigkeit an. Das feine Profil schien aus Gold gemeißelt, und die langen Wimpern, welche die blauen Augen bedeckten, warfen einen erregenden Schatten. Und der Maler sagte sich erschauernd, daß diese Frau noch nie so schön gewesen war! Leben und Leiden hatten ihr die äußerste Frische der ersten Jugend geraubt, hatten sie aber geläutert. Ihre Schönheit war menschlicher und gleichzeitig reservierter geworden. Sie hatte den reinen Glanz eines himmlischen Geschöpfes, trotzdem war der sinnliche Zauber, den sie ausstrahlte, fast unerträglich.
Wenn der Herzog sie wiedersieht, dachte van Eyck, wird er sich ihr zu Füßen werfen wie ein Sklave … oder er wird sie umbringen! Aber er wagte nicht, seine eigenen Gefühle weiter zu analysieren. Im Wirrwarr seiner Gedanken trat nur eines klar hervor: der herrische, wütende Wunsch, diese quälende Schönheit noch ein einziges Mal auf einem Bild festzuhalten! Er entdeckte, daß sein letztes Werk, das Doppelporträt eines jungen Bürgers namens Arnolfini und seiner jungen Frau, auf das er mit Recht stolz war, ihm jetzt neben dem Porträt, das er von der neuen Cathérine malen könnte, schal vorkam. Und er war so völlig in seine Gedanken versunken, daß die Stimme der jungen Frau ihn zusammenfahren ließ: »Jan«, sagte sie leise, »warum seid Ihr gekommen?« Sie sah ihn nicht an, erriet trotzdem den Einwand, den er hervorsprudeln würde. »Nein«, fügte sie lebhaft hinzu, »gebt Euch nicht die Mühe zu lügen! Ich weiß sehr wohl Bescheid! Ich weiß, daß Ermengarde Euch erwartete, und ebenfalls, daß ich in diesem Rendezvous eine Bedeutung für mich zu sehen habe. Ich möchte wissen, welche?«
Sie gab ihre nachdenkliche Haltung auf, wandte sich um und blickte ihm ins Gesicht. Ihre großen, fragenden Augen lagen auf ihm. Wieder fühlte der Künstler, wie ihn soviel Anmut erzittern ließ.
»Dame Ermengarde hat nicht mich im besonderen erwartet, Cathérine, sondern einen Boten aus Burgund. Der Zufall wollte es, daß ich es war …«
»Der Zufall? Glaubt Ihr, ich hätte alle Gewohnheiten des Herzogs Philippe vergessen? Ihr seid sein geheimer Lieblingsgesandter … nicht irgendein Bote! Was habt Ihr der Gräfin gesagt?«
»Nichts!«
»Nichts?«
Van Eyck lächelte belustigt und fuhr fort: »Nein, nichts, meine schöne Freundin! Ich habe ihr nichts zu sagen.«
»Hättet Ihr mir etwas zu sagen … mir?«
»Vielleicht! Aber ich werde es Euch nicht sagen.«
»Warum nicht?«
»Weil die Stunde dazu noch nicht reif ist!«
Als die zarten Augenbrauen der jungen Frau sich zusammenzogen, trat der Maler auf sie zu und ergriff ihre Hände.
»Cathérine! Ich bin immer Euer Freund gewesen … und ich hätte leidenschaftlich gewünscht, mehr zu sein! Ich schwöre Euch bei meiner Ehre als Edelmann, daß ich immer der Eurige bin und daß ich Euch um nichts in der Welt etwas Böses antun würde. Könnt Ihr mir nicht vertrauen?«
»Vertrauen? Das ist alles so sonderbar, so verworren! Wie hat man in … Burgund erfahren, daß ich mit der Dame de Châteauvillain zusammen reise? Hat der Astrologe des Herzogs es in den Sternen gelesen?«
Diesmal brach der Maler in Lachen aus.
»Daran glaubt Ihr doch nicht – und mit Recht! Dame Ermengarde hat die Nachricht überbringen lassen. Ein von ihr geschickter Bote …«
Ein Zornesausruf schnitt ihm das Wort ab:
»Sie? Sie hat es gewagt? … Und sie nennt sich meine Freundin?«
»Sie ist Eure Freundin, Cathérine, aber sie ist nur Eure Freundin … nicht die des Mannes, dessen Namen Ihr tragt. Seht, sie glaubt ehrlich, und sie hat es immer geglaubt, daß Ihr einen falschen Weg einschlugt, daß Ihr niemals das Glück in der Richtung finden könntet, die Ihr gewählt habt. Es scheint, gesteht es, daß das Schicksal ihr immer recht gegeben hat …«
»Es ist nicht ihre Sache, das zu beurteilen! Es gibt etwas, was sie nie verstehen wird: die Liebe, die ich für meinen Gatten hege! Ich weiß wohl, daß man am Hofe Herzog Philippes mit dem Wort Liebe sehr verschiedenartige Gefühle bezeichnet, unter denen das Verlangen den größten Platz einnimmt. Aber für mich ist meine Liebe etwas Unvergleichliches. Arnaud und ich bilden eine Einheit, ein einziges Fleisch und Blut! Ich leide seine Schmerzen mit, und wenn man mich in Stücke schnitte, würde jedes einzelne dieser Stücke noch hinausschreien, daß ich Arnaud liebe … Aber weder Ermengarde noch der Herzog können solche Gefühle begreifen!«
»Glaubt Ihr? Bei Dame Ermengarde könnte es so sein. Sie ist einzigartig mütterlich und liebt Euch wie ihre eigene Tochter. Was Euch Unbehagen einflößt, ist, daß sie Herzog Philippe gegenüber ein ähnliches Gefühl hegt. Sie hat ihn nie mit ihrer Kritik und mit den bittersten Wahrheiten verschont, aber sie liebt ihn wie eine Mutter, und sie zermartert sich das Herz, weil sie geächtet ist, da ihr Sohn die Waffen gegen Philippe ergriffen hat. Sie hat geglaubt, ihm Freude zu bereiten, indem sie ihm Nachricht von Euch gab. Eben auch eine Art, ihm zu beweisen, daß sie ihn noch zärtlich liebt! Was ihn betrifft …«